VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 12.04.2002 - 12 TG 808/02 - asyl.net: M2631
https://www.asyl.net/rsdb/M2631
Leitsatz:

Eine Aufenthaltsbewilligung zu Studienzwecken kann nicht mehr verlängert werden, wenn der Ausländer schon mehrmals die Fachrichtung gewechselt und das Studium der Publizistik nach insgesamt mehr als 20 Semestern nicht abgeschlossen hat.

Die Aufenthaltsrechte aus Art. 7 ARB 1/80 dienen nicht dazu, dem Kind türkischer Arbeitnehmer die Aufnahme, Fortsetzung oder Beendigung eines Studiums zu ermöglichen.

 

Schlagwörter: D (A), Türken, Aufenthaltsbewilligung, Verlängerung, Aufenthaltserlaubnis, Familienangehörige, Eltern, Arbeitnehmer, Einbürgerung, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Beschwerde, Studium, Studienfachwechsel, Studiendauer
Normen: ARB Nr. 1/80 Art. 9; ARB Nr. 1/80 Abs. 13; ARB Nr. 1/80 Art. 7; VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 146 Abs. 4; AuslG § 28 Abs. 2; AuslG § 28 Abs. 3 S. 1
Auszüge:

Eine Aufenthaltsbewilligung zu Studienzwecken kann nicht mehr verlängert werden, wenn der Ausländer schon mehrmals die Fachrichtung gewechselt und das Studium der Publizistik nach insgesamt mehr als 20 Semestern nicht abgeschlossen hat.

Die Aufenthaltsrechte aus Art. 7 ARB 1/80 dienen nicht dazu, dem Kind türkischer Arbeitnehmer die Aufnahme, Fortsetzung oder Beendigung eines Studiums zu ermöglichen.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Entgegen der Auffassung des Antragstellers haben Ausländer und Widerspruchsbehörde sowie Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Voraussetzungen für die Verlängerung der studienbezogenen Aufenthaltsbewilligung nicht erfüllt sind.

Dieser hat nämlich bisher über 20 Semester studiert und dennoch sein Studium nicht abgeschlossen. Er hat mehrmals die Fachrichtung gewechselt, obwohl die Änderung der Fachrichtung einen nach § 28 Abs. 3 AuslG grundsätzlich unzulässigen Wechsel des Aufenthaltszwecks darstellt und im Übrigen der Wechsel nicht innerhalb von 18 Monaten nach Beginn des Studiums erfolgt ist und die jeweiligen Studienleistungen nicht mit dem Ergebnis anzurechnen waren, dass sich die Gesamtstudiendauer um nicht mehr als 18 Monate verlängerte (vgl. dazu Nr. 28.5.2.4.1. AuslG-VwV). Es ist weder vom Antragsteller dargetan noch von der Ausländerbehörde festgestellt, dass der Antragsteller aufgrund der Eigenart der verschiedenen Studiengänge, seiner persönlichen Studienleistungen oder des angestrebten Abschlusses die besonderen Voraussetzungen für einen mehrmaligen Fachrichtungswechsel erfüllt hat (zum Fachrichtungswechsel vgl. z.B. OVG Nordrhein-Westfalen, 12.10.2000 - 18 B 67/00 -, EZAR 014 Nr. 11 = AuAS 2001,86; OVG Hamburg, 03.03.1998 - Bs VI 65/97 -, EZAR 014 Nr. 9; SächsOVG, 27.01.1997 - 3 S 437/96 -, EZAR 014 Nr. 8). Deswegen erscheint es bereits bedenklich, dass dem Antragsteller überhaupt die Aufnahme des Studiums der Publizistik aufenthaltsrechtlich gestattet worden ist. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die bisherigen Verlängerungen der Aufenthaltsbewilligung für das Studium der Publizistik vom Gesetzeszweck des § 28 AuslG gedeckt waren. Der Akteninhalt lässt nämlich nicht erkennen, dass der Antragsteller ein ordnungsgemäßes Studium in dem Sinne betrieben hat, dass er die durchschnittliche Studiendauer an der von ihm besuchten Hochschule im Studiengang Publizistik nicht um mehr als drei Semester überschritten hat (Nr. 28.5.2.3 Satz 1 und 3 AuslG-VwV). Schließlich kann - worauf letztlich für die von dem Antragsteller jetzt erstrebte nochmalige Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung abzustellen ist - nicht festgestellt werden, dass mit einem Abschluss des Studiums in absehbarer Zeit zu rechnen ist (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, 21.08.1998 -17 B 2314/96 -, EZAR 014 Nr. 10 = InfAuslR 1998,493; OVG Nordrhein-Westfalen, 04.01.1994 -18 A 2083/93 -, EZAR 014 Nr. 4; Hess. VGH, 04.09.1991 - 13 TH 1983/91 -, EZAR 014 Nr. 2).

Der mehrmalige Wechsel der Fachrichtung und das Verstreichenlassen der bisherigen in Aussicht genommenen Zeitpunkte für den Abschluss der Magisterarbeit und des Studiums insgesamt lassen nicht erkennen, dass sich der Antragsteller in der Vergangenheit ernsthaft um den Abschluss seines Studiums bemüht hat und deshalb damit zu rechnen ist, dass er es in absehbarer Zeit, also im kommenden Sommersemester, abschließen wird. Er hat mehrmals die angekündigten und von der Hochschule für Publizistik bestätigten Abgabetermine nicht eingehalten, und im Hinblick auf die einschlägige Studienordnung ist zugrunde zu legen, dass er frühestens im Jahre 2003 sein Studium abschließen könnte, falls er die Magisterarbeit zu dem jetzt vorgesehenen Termin am 3. Mai 2002 abgeben sollte.

Bei der insoweit erforderlichen Prognose steht der Ausländerbehörde kein Ermessen zu, sie hat vielmehr aufgrund der in der Vergangenheit erbrachten Studienleistungen zu beurteilen, ob der Aufenthaltszweck des Studienabschlusses noch in einem angemessenen Zeitraum erreicht werden kann (§ 28 Abs. 2 Satz 2 AuslG). In diesem Zusammenhang kann nicht zu Gunsten des Antragstellers berücksichtigt werden, dass die Ausländerbehörde in der Vergangenheit in äußerst großzügiger Weise die Studierwilligkeit und -fähigkeit des Antragstellers mit dem Ziel eines alsbaldigen Studienabschlusses bejaht und ohne ausreichend konkrete Bescheinigungen der Hochschule jeweils einen Studienabschluss in absehbarer Zeit als wahrscheinlich angenommen hat. Bei der insoweit erforderlichen zuverlässigen Einschätzung des weiteren Ablaufs des Studiums kommt es auch nicht darauf an, aus welchen Gründen im Einzelnen der Antragsteller in der Vergangenheit sein Studium nicht zügig betrieben und zu Ende gebracht hat. Es besteht kein im Rahmen von § 28 AuslG berücksichtigungsfähiges öffentliches Interesse daran, dass ausländische Studierende ohne konkrete Ausrichtung auf den erfolgreichen Abschluss an deutschen Hochschulen studieren.

Im Ergebnis zu Recht haben Ausländer - und Widerspruchsbehörde sowie Verwaltungsgericht auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund von Art. 7 ARB 1/80 abgelehnt. Von dieser unmittelbar anwendbaren assoziationsrechtlichen Bestimmung werden einmal Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, erfasst und zum anderen Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben. Beide Personengruppen können nicht nur die Erlaubnis zur Beschäftigung als Arbeitnehmer verlangen, sondern auch die Genehmigung ihres Aufenthalts, um eine Beschäftigung in Deutschland ausüben zu können (Nr. 3.1.1. der Allgemeinen Anwendungshinweise zum ARB 1/80 - AAH - ARB 1/80; Text in Renner, Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeits- und zum Ausländerrecht, 2001, S. 543 ff.).

Es ist nicht dargetan, dass der Antragsteller die Voraussetzungen einer der beiden Bestimmungen erfüllt. Dabei kann offen bleiben, ob einem assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht des Antragstellers die Einbürgerung seiner Eltern im Jahre 1998 entgegensteht. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts scheitert das Aufenthaltsbegehren insoweit aber nicht an der Sperrwirkung von § 28 Abs. 3 Satz 1 AuslG, weil Assoziationsrecht diesem Verbot vorgeht.

Aufgrund der Bestimmung des Art. 7 ARB 1/80 steht Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer ebenso wie Arbeitnehmern selbst aufgrund Art. 6 ARB 1/80 neben dem Recht auf Zulassung zur Beschäftigung und zum regulären Arbeitsmarkt implizit ein dem entsprechendes Aufenthaltsrecht zu (Gutmann, Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer Staatsangehöriger, 2. Aufl., 1999, S. 68 ff.; Dienelt, Aktuelle Fragen zum Aufenthaltsrecht türkischer Staatsangehöriger, 2001, S. 5 ff.; Renner, Ausländerrecht in Deutschland, 1998, Rdnr. 5/168 ff.; jew. mit Nachw. der Rspr. des EuGH). Beiden Personengruppen wird aber in erster Linie ein Beschäftigungsrecht und nicht ein Aufenthaltsrecht eingeräumt. Sie können also nicht die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung verlangen, wenn sie die Aufnahme einer Beschäftigung oder deren Fortsetzung nicht beabsichtigen. Nachdem der Antragsteller seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Beschäftigung in einem türkischen Zeitungsverlag ausdrücklich zurückgenommen hat, kann daher ein mit einem Beschäftigungsrecht zusammenhängendes Aufenthaltsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 nicht mehr Gegenstand einer Aufenthaltsgenehmigung im vorliegenden Verfahren sein.

Unabhängig davon kann sich der Antragsteller auf Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 deshalb nicht berufen, weil er die Aufenthaltsbewilligung zum Zwecke des Studiums erhalten hat und ihm nicht die Genehmigung erteilt worden ist, zu seinen damals schon in Deutschland lebenden Eltern zuzuziehen (dazu Dienelt, a.a.O., Rdnr. 77; Renner, a.a.O., Rdnr. 5/228; EuGH, 17.04.1997 - C-351/95 -, EZAR 811 Nr. 30 = NVwZ 1997, 1104 - Kadiman). Selbst wenn diese Vorschrift auch dann anwendbar wäre, wenn ein Familienangehöriger aus einem anderen Grund als dem der Familienzusammenführung nach Deutschland zuzieht und dann tatsächlich mit einem bereits hier lebenden und arbeitenden Familienmitglied zusammenlebt, kann der Antragsteller daraus keine Ansprüche herleiten, weil sich den vorliegenden Akten nicht entnehmen lässt, dass er tatsächlich mit seinen Eltern zusammen gelebt hat oder zusammen lebt.

Darüber hinaus kann sich der Antragsteller auch nicht auf Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 berufen, weil er bisher in Deutschland eine Berufsausbildung nicht abgeschlossen hat. Entgegen seiner Auffassung steht ihm aufgrund dieser Bestimmung kein Aufenthaltsrecht zu dem Zweck zu, eine Berufsausbildung zu beginnen, fortzusetzen oder zu beenden.

Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 erfordert zwar nicht eine weitere Beschäftigung seiner Eltern als Arbeitnehmer in Deutschland, sondern lässt eine derartige Beschäftigung in der Vergangenheit für eine Dauer von mindestens drei Jahren genügen (EuGH, 19.11.1998 - C-21 0/97 -, EZAR 814 Nr. 6 = NVwZ 1999, 281 - Akman; Renner, a.a.O., Rdnr. 5/238). Die den Kindern türkischer Arbeitnehmer unabhängig von ihrem Alter eingeräumte Privilegierung knüpft aber an den erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung an und dient nicht dem Zweck, deren Aufnahme oder Beendigung zu erleichtern.

Schließlich kann sich der Antragsteller schon deshalb nicht mit Erfolg auf Art. 9 und 13 ARB 1/80 berufen, weil er nicht bei seinen Eltern wohnt und weil sich die Voraussetzungen für Studium und Aufenthalt von Studenten (dazu Renner, ZAR 2000,195 u. 2001, 51) durch § 28 AuslG gegenüber früher nicht verschlechtert haben.

Wenn sich nach alledem die ausländerbehördliche Ablehnung eines weiteren Aufenthaltsrechts für den Antragsteller als offensichtlich rechtmäßig erweist, sprechen überwiegende öffentliche Interessen für eine sofortige Vollziehung der Ausreisepflicht des Antragstellers.