Verhältnis zwischen dem Verteilungsverfahren nach dem Ausländerrecht einerseits und nach dem Kinder- und Jugendhilferecht andererseits:
Kann ein behördliches Altersfeststellungsverfahren nach § 42 f SGB VIII nicht mehr abgeschlossen werden, bevor der Betroffene unstreitig volljährig wird, ist die Ausländerbehörde im Grundsatz nicht gehindert, im Anschluss ein ausländerrechtliches Verteilungsverfahren nach § 15a AufenthG einzuleiten.
(Amtlicher Leitsatz)
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Es ist unbestritten, dass das jugendhilferechtliche Verteilungsverfahren nach §§ 42b ff. SGB VIII in der Fassung des Gesetzes v. 28.10.2015 (BGBl. I S. 1802) als ein Sondersystem für unbegleitete minderjährige Ausländer anderen Verteilungsverfahren (§ 15a AufenthG bzw. §§ 45 ff. AsylG) vorgeht. Dies ist Folge der Primärzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für diese Personengruppe. Dieser Vorrang besteht hier aber bereits deswegen nicht, weil der Antragsteller bei Veranlassung seiner ausländerrechtlichen Verteilung bereits nach eigenen Angaben nicht mehr minderjährig war.
Das jugendhilferechtliche Verteilungsverfahren wirkt im vorliegenden Fall auch nicht in der Form nach, dass nach Erreichen der Volljährigkeit das Verfahren nach § 15a AufenthG ausgeschlossen wäre.
Ein solcher Ausschluss lässt sich zunächst § 15a AufenthG nicht entnehmen. Der Antragsteller macht einen zwingenden Grund im Sinne des § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG jedenfalls nicht ausdrücklich geltend. Er kann gegen die Anwendung des § 15a AufenthG auch nicht einwenden, das Migrationsamt Bremen sei für ihn bereits deshalb zuständig, weil es ihn faktisch im eigenen Zuständigkeitsbereich dulde. Richtig ist, dass § 15a AufenthG der Bestimmung der zuständigen Ausländerbehörde dient. Die Verteilung findet deshalb vor der Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebung oder die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis statt (§ 15a Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Erteilt die Ausländerbehörde des Aufenthaltsortes eine Duldung, weil die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist, erschiene es widersprüchlich, wenn sie durch den Erlass einer Vorspracheverpflichtung gleichzeitig ein Verteilungsverfahren einleiten würde. Ob dies auch dann gilt, wenn die Duldung nicht aufgrund der Minderjährigkeit erteilt wurde, sondern lediglich verfahrensbezogen ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Das Migrationsamt hat dem Antragsteller keine Duldung erteilt. Es hat auch sonst zu keinem Zeitpunkt deutlich gemacht, den weiteren Aufenthalt des Antragstellers regeln zu wollen. Im Gegenteil: Das Migrationsamt hat den Antragsteller bereits im vergangenen Sommer zu einer anstehenden Verteilung nach § 15a AufenthG angehört und von der weiteren Durchführung des Verfahrens nur deshalb Abstand genommen, um dem Anspruch des Antragstellers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu genügen.
Regelungen des SGB VIII stehen einer Anwendung des § 15a AufenthG ebenfalls nicht entgegen.
Soweit der Antragsteller im Ergebnis fordert, dass eine Verteilung nach § 15a AufenthG auch dann ausgeschlossen ist, wenn eine Verteilung nach §§ 42b ff. SGB VIII nicht durchgeführt werden konnte, überzeugt dies in dieser Allgemeinheit nicht. Auf eine jugendhilferechtliche Verteilung war hier nicht aus Gründen des Kindeswohls verzichtet worden. Vielmehr konnte sie, unabhängig vom Ablauf der in § 42b Abs. 4 Nr. 4 SGB VIII genannten Frist, bereits deshalb nicht durchgeführt werden, weil das behördliche Altersfeststellungsverfahren nicht mehr abgeschlossen werden konnte und deshalb nicht sicher feststand, ob der Antragsteller als Minderjähriger dem jugendhilferechtlichen Verteilungsverfahren unterliegt. Wäre er, wie es seiner Forderung entsprach, von vornherein als Minderjähriger eingestuft worden, wäre er nach Jugendhilferecht ebenfalls verteilt worden. Die Inanspruchnahme von Rechtsschutz gegen die Ablehnung der Inobhutnahme mit der Folge der fehlenden Verteilung nach § 42b SGB VIII führt jedenfalls nicht dazu, dass der Antragsteller nicht mehr ausländerrechtlich verteilt werden darf, wenn er unstreitig volljährig ist.
Ein Ausschluss des ausländerrechtlichen Verteilungsverfahrens folgt entgegen der Ansicht des Antragstellers auch nicht aus den Vorschriften des SGB VIII über die örtliche Zuständigkeit.
Der Antragsteller kann sich zur Begründung einer Zuständigkeit der Antragsgegnerin nicht auf § 88a Abs. 2 Satz 2 SGB VIII berufen. Die Regelung, die ebenfalls durch Gesetz v. 28.10.2015 (BGBl. I S. 1802) eingefügt wurde, knüpft für den Fall eines Ausschlusses einer Verteilung nach § 42b Abs. 4 SGB VIII an die Zuständigkeit des Jugendamts für die vorläufige Inobhutnahme an (Jugendamt des tatsächlichen Aufenthalts).
Der Antragsteller kann sich auf § 88a SGB VIII schon deshalb nicht berufen, weil die Vorschrift lediglich auf minderjährige Ausländer Anwendung findet. Speziell § 88a Abs. 2 Satz 2 SGB VIII regelt zudem nur die Zuständigkeit für die Inobhutnahme. Zu einer Inobhutnahme ist es im Fall des Antragstellers nicht mehr gekommen. Sie folgt insbesondere nicht aus der Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das Verwaltungsgericht, die nur zur Folge hatte, dass die Ablehnung der vorläufigen Inobhutnahme für die unstreitige Dauer der Minderjährigkeit nicht vollzogen werden durfte.
Auch ansonsten ist nicht ersichtlich, dass jugendhilferechtliche Zuständigkeitsbestimmungen die Befugnis zur Durchführung einer ausländerrechtlichen Verteilung ausschließen. Etwas anderes folgt vorliegend entgegen der Ansicht des Antragstellers auch nicht aus § 86a SGB VIII, der die örtliche Zuständigkeit für Leistungen an junge Volljährige regelt. Die Vorschrift bestimmt, dass grundsätzlich das Jugendamt des gewöhnlichen Aufenthalts (Abs. 1) bzw. – wenn ein solcher fehlt – des tatsächlichen Aufenthaltes (Abs. 3) zuständig ist. Begibt sich der Antragsteller aufgrund der nunmehr verfügten Verteilung nach ..., folgt aus dieser Vorschrift eine Zuständigkeit des dortigen Jugendamts. Sie schließt es aber nicht aus, den Antragsteller dorthin zu verteilen. [...]