VG Mainz

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Zitieren als:
VG Mainz, Beschluss vom 09.02.2018 - 4 L 1411/17.MZ - asyl.net: M26351
https://www.asyl.net/rsdb/M26351
Leitsatz:

1. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die sofortige Vollziehung der Rücknahme einer Einbürgerung ist der besonderen Bedeutung der Statusentscheidung über die Staatsangehörigkeit für den Betroffenen im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung Rechnung zu tragen. Bei einem nicht vollständig aufgeklärten Sachverhalt können deshalb bereits begründete Zweifel an der offensichtlichen Rechtmäßigkeit der Rücknahme einer sofortigen Vollziehung entgegenstehen (Rn.19).

2. Zum Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG (juris: RuStAG) (Rn.14).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Einbürgerung, Rücknahme, deutsche Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeit, freiheitliche demokratische Grundordnung, Täuschung, unvollständige Angaben, Hamas, Islamische Gemeinschaft in Deutschland, Palästinenser,
Normen: VwGO § 80 Abs. 5, StAG § 35 Abs. 1, StAG § 11 S. 1 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

30 Die vorgenannten Gesichtspunkte begründen auf der Grundlage der nur möglichen summarischen Prüfung zumindest Zweifel, die einem Offensichtlichkeitsurteil hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Rücknahmebescheids der Antragsgegnerin vom 11. Dezember 2017 hier entgegenstehen. Angesichts der Bedeutung des Staatsangehörigkeitsstatus für den Antragsteller, der Rücknahmeentscheidung mit ihrer "Alles oder Nichts"-Wirkung, der Intensität der Beeinträchtigung bei einer auch nur vorübergehenden Entziehung, der Dauer von fünf Jahren – zugleich die äußerste zeitliche Grenze, innerhalb der nach § 35 Abs. 3 StAG eine Rücknahme überhaupt erfolgen dürfte –, in denen der Antragsteller die deutsche Staatsangehörigkeit innehatte (vgl. zur Bedeutung des Zeitmoments OVG RP, Beschluss vom 6.8.2010 – 7 B 10849/10 –, ESOVG) und der drohenden Staatenlosigkeit des Antragstellers, die zwar nach § 35 Abs. 2 StAG in der Regel nicht der Rücknahme entgegensteht, aber hier in der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist (vgl. OVG RP, Beschluss vom 6.8.2010 – 7 B 10849/10 –, ESOVG), überwiegt hier deshalb das Suspensivinteresse des Antragstellers das grundsätzlich bestehende öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Verhältnisse im Staatsangehörigkeitsrecht. Darüberhinausgehende öffentliche Interessen – etwa zwingende Sicherheitsinteressen – hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen. Dagegen spräche hier aber auch, dass die Erkenntnisse, auf die die Rücknahmeentscheidung gestützt wurde, zumindest dem Ministerium des Innern und für Sport überwiegend bereits seit mehreren Jahren bekannt waren, ohne dass dies zum Anlass für ein früheres Einschreiten genommen wurde. [...]