VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 05.07.2018 - 1 A 175/18 - asyl.net: M26394
https://www.asyl.net/rsdb/M26394
Leitsatz:

Die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG kann im Einzelfall einem Betroffenen nicht entgegengehalten werden, der seinen arabischen Namen in der ursprünglich vom BAMF verwandten Transkription auf seinen Briefkasten schreibt und der über die Personaldatenveränderung auf eine andere Transkription nicht informiert wird.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Libanon, Schiiten, Zustellung, Transkription, Zustellungsfiktion, interne Fluchtalternative, Schreibweise, Transliteration, Umschrift, Name, Nachname, Familienname,
Normen: AsylG § 10 Abs. 2 S. 4,
Auszüge:

[...]

19 Die Klagefrist wird mit der Zustellung oder, wenn eine solche nicht vorgesehen ist, der Eröffnung oder Verkündung des Bescheids in Lauf gesetzt, § 57 Abs. 1 VwGO. Eröffnet (bekanntgegeben) wurde der streitgegenständliche Bescheid dem Kläger mit der Herausgabe durch das Bundesamt am 22. Januar 2018 (s. Aktenvermerk, BA 003, Bl. 136). Auf den letzten Zustellungsversuch am 25. November 2017 ist hingegen nicht abzustellen. Dem Kläger kann nicht die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG entgegengehalten werden. Danach muss der Ausländer Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann. Nach Satz 2 gilt das Gleiche, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist. Nach § 10 Abs. 1 AsylG hat der Ausländer während der Dauer des Asylverfahrens vorzusorgen, dass ihn Mitteilungen des Bundesamtes, der zuständigen Ausländerbehörde und der angerufenen Gerichte stets erreichen können; insbesondere hat er jeden Wechsel seiner Anschrift den genannten Stellen unverzüglich anzuzeigen.

20 Voraussetzung für den Eintritt der Fiktionswirkung ist, dass der erfolglose Zustellversuch ordnungsgemäß erfolgt ist, was unter anderem dann nicht der Fall ist, wenn an der letzten bekannten Anschrift nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungszustellungsgesetzes ordnungsgemäß hätte zugestellt werden können, dies aber zu Unrecht unterblieben ist. Hiervon ausgehend greift die Zustellungsfiktion dann nicht ein, wenn der Antragsteller im Zeitpunkt des erfolglosen Zustellversuchs unter der Anschrift, an die zugestellt werden sollte, wohnhaft war, eine ordnungsgemäße Zustellung also hätte erfolgen können (VG Düsseldorf, Beschl. v. 5. Februar 2015 – 13 L 3079/14.A – juris Rn. 7 ff).

21 Hier hätte jedenfalls eine ordnungsgemäße Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten nach § 180 ZPO erfolgen können, wenn das Bundesamt den Bescheid an den Kläger mit der Schreibweise "..." adressiert hätte. Denn der Kläger hatte seinen Briefkasten mit diesem Namen beschriftet und damit eine ordnungsgemäße Zuordnung des Briefkastens zu seiner Wohnung (vgl. Schultzky in: Zöller, ZPO, 32 Aufl. 2018, § 180 Rn. 5) ermöglicht. Es gibt insbesondere keinerlei Hinweise darauf, dass der Kläger die Annahme des Bescheids durch eine fehlerhafte Beschriftung seines Briefkastens unmöglich machen und damit verweigern wollte i.S.d. § 179 ZPO.

22 Der Kläger verstieß bei der Beschriftung seines Briefkastens auch nicht gegen seine Sorgfaltspflicht aus § 10 Abs. 1 AsylG. Er hatte keine Veranlassung, die Schreibweise seines Namens auf seinem Briefkasten zu ändern. Die ursprüngliche Schreibweise insbesondere seines Nachnamens in zwei Worten "XX" und Zusatz war ihm von der am 24. Mai 2016 ausgestellten BÜMA (Bl. 26 BA 003) bekannt. Dass die Beklagte seine Personaldaten am 26. Mai 2016 von ... in ... geändert hatte, wurde zwar der Landesaufnahmebehörde bekannt gegeben, nicht aber ihm. Der Kläger hätte diese Änderung zwar aus den nachfolgenden Dokumenten, etwa der Aufenthaltsgestattung (vgl. BA 003, Bl. 68; Bl. 138) oder Anschreiben ersehen können. Da die Beklagte aber weiterhin auch die ursprüngliche Schreibweise verwandte (dazu sogleich), war dies weder zwingend noch für den mit dem deutschen Verwaltungshandeln nicht vertrauten Kläger weiter aufzuklären. Demgegenüber war der Beklagten aus gescheiterten Zustellungen bekannt, dass der Kläger die ursprüngliche Schreibweise seines Namens, ..., auf seinem Briefkasten verwandte. So kamen mit einem entsprechenden Vermerk die Zustellungsurkunden über die Ladung zur Anhörung im Mai 2017 (BA 003, Kl. 47) und über die Zuweisungsentscheidung im November 2017 an das Bundesamt zurück (BA 003, Bl. 112). Die Ladung zur Anhörung schickte das Bundesamt dann an den Kläger unter der ursprünglichen Schreibweise seines Namens (BA 003, S. 70); sie konnte am 9. Juni 2017 zugestellt werden. Erst nachdem auch die Zustellung des Bescheids vom 7. November 2017 an den Kläger in der neueren Schreibweise an der Beschriftung des Briefkastens gescheitert war (BA 003, Bl. 131), forderte die Beklagte ihn mit Schreiben vom 20. November 2017 (BA 003, Bl. 115) dazu auf, die Beschriftung seines Briefkastens zu ändern und fügte die Datenberichtigung aus Mai 2016 bei. Dieses Schreiben adressierte sie an den Kläger in der neuen Schreibweise mit einfachem Schreiben. Dass der Kläger dieses Schreiben nicht erhalten hat, ist glaubhaft, auch wenn ein Rücklauf an das Bundesamt nicht aktenkundig ist. [...]