OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 06.07.2018 - 3 Bs 97/18 - asyl.net: M26446
https://www.asyl.net/rsdb/M26446
Leitsatz:

1. Ein auf Untersagung der Abschiebung gerichteter Antrag nach § 123 VwGO kann nach zwischenzeitlich vollzogener Abschiebung – jedenfalls in der ersten Instanz – in einen Antrag auf Gestattung der Wiedereinreise umgestellt werden. Die Umstellung muss den engen Voraussetzungen des § 91 VwGO genügen. Dem steht nicht entgegen, dass § 123 VwGO keine § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO entsprechende Regelung eines Folgenbeseitigungsanspruchs enthält. § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO hat nur verfahrensrechtliche Bedeutung und erleichtert eine prozessuale Geltendmachung.

2. Die in § 11 Abs. 9 Satz 3 AufenthG vorgeschriebene Hinweispflicht bezieht sich angesichts des Wortlautes ("erstmaligen"), der Gesetzessystematik und ausweislich der Entstehungsgeschichte nur auf § 11 Abs. 9 Satz 2 AufenthG – nachträgliche Verlängerung der Frist – und nicht auf die in § 11 Abs. 9 Satz 1 AufenthG vorgesehene Ablaufhemmung.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Abschiebung, Wiedereinreise, Umgangsrecht, Folgenbeseitigungsanspruch, Klageänderung,
Normen: VwGO § 123, VwGO § 91, VwGO § 80 Abs. 5 S. 3, AufenthG § 11 Abs. 9 S. 3,
Auszüge:

[...]

Einer Antragsänderung steht nicht entgegen, dass § 123 VwGO keine § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO entsprechende Regelung eines Folgenbeseitigungsanspruchs enthält (in diese Richtung wohl VGH München, Beschl. v. 28.1.2016, 10 CE 15.2653, juris Rn. 18; OVG Münster‚ Beschl. v. 9.3.2007, 18 B 2533/06, NVwZ-RR 2007, 492, juris Rn. 35; VGH Mannheim, Beschl. v. 24.3.2006, 11 S 325/06, HTK-AuslR; OVG Magdeburg, Beschl. v. 6.6.2016, 2 M 37/16, juris Rn. 10, wobei in diesen Fällen erst im Beschwerdeverfahren die einstweilige Rückführung begehrt und der Antrag umgestellt wurde). § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO hat – wie auch § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO – nur verfahrensrechtliche Bedeutung und erleichtert eine prozessuale Geltendmachung mit der Folge, dass die Einbeziehung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO lediglich eine Erweiterung des ursprünglichen Begehrens und damit gemäß § 173 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 2 ZPO keine Antragsänderung darstellen dürfte (vgl. OVG Koblenz, Beschl. v. 11.7.2017, 7 B 11079/17, Asylmagazin 2017, 414, juris Rn. 23). Hiervon unbenommen besteht auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO die Möglichkeit zur Antragsänderung, die sodann den engen Voraussetzungen des § 91 VwGO genügen muss (vgl. OVG Koblenz, Beschl. v. 11.7.2017, 7 B 11079/17, a. a. O., juris Rn. 23; OVG Bremen, Beschl. v. 19.5.2017, 1 B 47/17, AuAS 2017, 148, juris Rn. 19). [...]

Die Verfügung vom 27. November 2014 dürfte auch noch wirksam und der Antragsteller von dem zweijährigen Einreise- und Aufenthaltsverbot zumindest für eine Restlaufzeit von mehr als acht Monaten noch betroffen sein. Zwar ist denkbar, dass die Antragsgegnerin mit der Verfügung vom 23. Januar 2018 die Verfügung vom 27. November 2014 ersetzen wollte. Da der Bescheid vom 23. Januar 2018 nicht wirksam geworden ist, würde eine etwaig darin konkludent enthaltene Aufhebung des Bescheids vom 27. November 2014 jedoch keine Regelungswirkung entfalten. Die Sperrfrist ist auch noch nicht abgelaufen: Der Antragsteller wurde am 2. Dezember 2014 abgeschoben. Im Laufe des Jahres 2015, mithin vor Ablauf der zweijährigen Sperrfrist am 1. Dezember 2016 ist er wieder eingereist. Am 1. August 2015 ist die Regelung in § 11 Abs. 9 Satz 1 AufenthG in Kraft getreten, wonach der Ablauf einer Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt wird, wenn ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet einreist. Dies bedeutet, dass (unerlaubte) Aufenthaltszeiten bis zum 31. Juli 2015 entsprechend der bis dahin geltenden Rechtslage für den Fristablauf weiterhin unerheblich sind, während Aufenthalte im Bundesgebiet, die entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot erfolgen, unabhängig vom Zeitpunkt der (unerlaubten) Wiedereinreise ab dem 1. August 2015 eine Hemmung des Fristablaufs begründen (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 8.11.2016, 7 A 11058/15, juris Rn. 21 m. w. N.). Da der Antragsteller spätestens am 25. Oktober 2015 – hier begannen die Umgangskontakte – wieder ins Bundesgebiet eingereist war, war der Ablauf der Frist jedenfalls vom 25. Oktober 2015 bis zum 22. Februar 2018 – der erneuten Abschiebung – gehemmt. Nach Abzug der im Ausland verbrachten Aufenthaltszeiten läuft die Sperrfrist mithin noch mindestens für mehr als acht Monate. Die Ablaufhemmung ist auch nicht deswegen nicht eingetreten, weil der Antragsteller auf diese Wirkung nicht hingewiesen wurde. Die Ablaufhemmung tritt nach dem klaren Wortlaut von Gesetzes wegen ein. § 11 Abs. 9 Satz 3 AufenthG, der eine Hinweispflicht vorsieht, bezieht sich angesichts des Wortlautes ("erstmaligen"), der Gesetzessystematik und ausweislich der Entstehungsgeschichte (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 18/4097, S. 38) nur auf § 11 Abs. 9 Satz 2 AufenthG - nachträgliche Verlängerung der Frist – und nicht auf die in § 11 Abs. 9 Satz 1 AufenthG vorgesehene Ablaufhemmung. [...]