1. Die OLF (Oromo Liberation Front) ist eine Terrororganisation. Die Verfolgung tatsächlicher OLF-Mitglieder oder ihrer Unterstützer ist daher keine politische Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG, sondern dient der Verbrechensbekämpfung und Strafverfolgung.
2. Je länger die Haft im Heimatland zurückliegt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass der äthiopische Staat an Personen, die sich im Heimatland allenfalls politisch untergeordnet betätigt haben, noch Interesse zeigt.
3. Für Opfer staatlicher Repressionen besteht in Äthiopien grundsätzlich die Möglichkeit, ihren Wohnsitz in andere Landesteile zu verlegen und so der lokalen Bedrohungssituation zu entgehen.
4. Nicht jede Betätigung für eine der zahlreichen politischen äthiopischen Exilgruppen führt bei einer Rückkehr zu staatlichen Repressionen.
5. § 155 Abs. 4 VwGO ist eine Ausnahme zur grundsätzlichen Gerichtskostenfreiheit nach § 83b AsylG. So können der Klägerseite Dolmetscherkosten auferlegt werden, wenn diese unentschuldigt nicht am Termin teilnimmt oder dies erst so spät mitteilt, dass eine Abladung des Dolmetschers im ordnungsgemäßen Geschäftsgang nicht mehr in Betracht kommt.
(Amtliche Leitsätze)
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Bei der OLF handelt es sich um eine Terrororganisation, die vom äthiopischen Staat auch als solche verfolgt und bekämpft wird. Sie ist keine Gruppierung, die ihre Ziele (namentlich die Abspaltung der Oromo-Region vom äthiopischen Staat) mit politischen Mitteln verfolgt. Vielmehr rühmt sich der bewaffnete Arm der OLF beispielsweise in seinem letzten Tätigkeitsbericht aus dem Jahr 2012 damit, dass er Menschen getötet habe, die sich geweigert hätten, die Zusammenarbeit mit der äthiopischen Regierung einzustellen. Tatsächlich hat die OLF im Jahr 2012 etwa 65 Aktionen durchgeführt, darunter gezielte Tötungen, Angriffe auf Militärstützpunkte, Angriffe aus dem Hinterhalt und Gefechte. Die OLF selbst gibt an, dass dabei etwa 150 Menschen getötet wurden, darunter Soldaten, Polizeibeamte, Sicherheitsbeamte und Angehörige von Milizen. Angesichts dieser Zielrichtung der OLF stellen sich Maßnahmen, die der Verfolgung von OLF-Mitgliedern dienen, nicht als politische Verfolgung dar, ungeachtet des Umstands, dass die äthiopischen Sicherheitsbehörden dabei auch Menschenrechte Dritter verletzen. Sie knüpfen also nicht an ein Merkmal des § 3 Abs. 1 AsylG an, denn sie dienen allein der Verbrechensbekämpfung und Strafverfolgung, nämlich der Verfolgung von Mitgliedern der OLF.
Soweit einem Ausländer in seinem Heimatland Verfolgung droht, weil er zur Durchsetzung seiner politischen Überzeugung Gewalt anwendet, gilt die drohende Verfolgung dieser Gewaltanwendung und nicht dem Zugriff auf die politische Überzeugung (so bereits VG Kassel, Urt. v. 05.10.2017, 1 K 1926/17.KS.A). Diese Auffassung beruht auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der die Asylverheißung für politische Straftäter dort ihre Grenze findet, wo das Tun des Asylsuchenden wegen der von ihm eingesetzten Mittel von der Bundesrepublik Deutschland in Übereinstimmung mit der von ihr getragenen Völkerrechtsordnung missbilligt wird. Danach ist diese Grenze überschritten, wenn der Asylsuchende seine politische Überzeugung unter Einsatz terroristischer Mittel betätigt hat, also insbesondere unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen oder durch Angriff auf das Leben Unbeteiligter oder solche Aktivitäten unterstützt (BVerfG NVwZ 2017, 1526 [BVerfG 24.07.2017 - 2 BvR 1487/17] (1528, Rn. 37)). Daraus folgt wiederum, dass Maßnahmen eines Staates zur Abwehr des Terrorismus keine politische Verfolgung darstellen, soweit sie einem aktiven Terroristen oder Unterstützer terroristischer Aktionen gelten (VG Kassel, Urt. v. 05.10.2017, 1 K 1926/17.KS.A). [...]
Je länger mögliche Inhaftierungen her sind, desto unwahrscheinlicher ist es, dass der äthiopische Staat an Personen, die sich im Heimatland allenfalls untergeordnet politisch betätigt haben, noch Interesse zeigt (VG Kassel, Urt. v. 05.09.2017, 1 K 2320/17.KS.A). Hier ist die Haft nach eigenen Angaben im Jahr 2008 gewesen und damit vor 10 Jahren. Letztlich handelte es sich bei der Inhaftierung (ihre Richtigkeit einmal unterstellt) allenfalls um eine Einschüchterungsmaßnahme gegen den Kläger, die zwar hinsichtlich Dauer und Intensität die Schwelle der Asylrelevanz überschritten hat, bei der aber nunmehr nicht zu befürchten ist, dass dem Kläger weitere Maßnahmen landesweit drohen. Eventuellen lokalen Nachstellungen örtlicher Sicherheitskräfte kann sich der Kläger im Übrigen auch durch Wohnsitznahme in einem anderen Landesteil entziehen. So besteht damals wie heute die Möglichkeit für Opfer staatlicher Repressionen, ihren Wohnsitz in andere Landesteile zu verlegen und somit einer lokalen Bedrohungssituation zu entgehen (AA, Lagebericht vom 6. März 2017). Auch in Äthiopien besteht somit - von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen - eine inländische Fluchtalternative (so auch VG Kassel, Urt. v. 05.09.2017, 1 K 2320/17.KS.A; VG Ansbach BeckRS 2017, 123523).
Auch wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Oromo droht dem Kläger keine landesweite Verfolgung in Form der Gruppenverfolgung. Zwar kommt es in den Grenzgebieten der Siedlungsgebiete der Volksgruppen der Oromo und der Somali im Osten des Landes immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen sowohl zwischen den verschiedenen Volksgruppen als auch mit den Sicherheitskräften. Diese erreichen jedoch nicht die für eine Gruppenverfolgung erforderliche Intensität (ständige Rechtsprechung der Kammer, etwa VG Kassel, Urt. v. 05.10.2017, 1 K 1926/17.KS.A). Außerdem richten sich die staatlichen Übergriffe auch nicht gegen alle Oromo, sondern haben lediglich den Zweck, terroristische Aktivitäten (insbesondere solche der OLF) zu bekämpfen, die sich nicht am Friedensabkommen mit der Regierung im Oktober 2010 beteiligt hat und deren bewaffneter Arm vom äthiopischen Staat zu Recht als terroristische Gruppierung angesehen wird. [...]
Sollte der Vortrag des Klägers, er nehme "an den monatlichen Treffen der OLF, an Diskussionen und organisatorischen Aufgaben der OLF in Frankfurt am Main teil", als exilpolitische Betätigung zu verstehen sein, führt dies ebenfalls nicht zur politischen Verfolgung in Äthiopien. Erstens fehlt es an der Glaubhaftmachung. Zweitens führt nicht jede, wie auch immer geartete Form der Betätigung für eine der zahlreichen politischen äthiopischen Exilgruppen im Ausland bei einer Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen. Hier hat sich der Kläger selbst nach dem eigenen, dürren Vortrag in der Bundesrepublik nicht in herausgehobener Weise exilpolitisch betätigt, sondern lediglich als einer von vielen an Versammlungen teilgenommen. Er ist keine Person, die sich aus dem Kreis der Mitläufer als ernsthafter Oppositioneller heraushebt, zumal auch hier offen bleiben muss, ob und welchen Versionen des Klägers Glauben zu schenken ist.
An dieser Einschätzung hat sich für das Gericht auch nichts durch die jüngsten Ereignisse in Äthiopien geändert. So kam es seit Mitte 2015 zu Massenprotesten in der Provinz Oromia gegen umstrittene Landreformen, durch die u.a. das Gebiet der Hauptstadt Addis Abeba auf Kosten der Provinz Oromia ausgedehnt werden sollte. Zwar wurden einige Monate später die Pläne in Teilen zurückgenommen, doch die größte Ethnie der Oromo demonstrierte weiter für ihr Recht auf freie Meinungsäußerung. Nachdem sich auch andere Gruppierungen dem Protest angeschlossen hatten, kam es landesweit zu Demonstrationen, die immer wieder gewaltsam niedergeschlagen wurden. Bei diesen Polizeiaktionen starben Berichten zufolge mehrere hundert Demonstranten. Anfang Oktober 2016 kamen mindestens 50 friedliche Demonstranten bei einer Massenpanik in der Stadt Bishoftu ums Leben, die durch das gewaltsame Vorgehen der Polizei provoziert worden war. Als Folge hiervon rief die Regierung in Addis Abeba den Ausnahmezustand aus, der am 09. Oktober 2016 in Kraft trat und die Möglichkeiten für oppositionelle Gruppen noch weiter eingeschränkt hat (AA, Lagebericht vom 6. März 2017) und am 16. Februar 2018 erneut für 6 Monate verhängt worden ist.
Für das Gericht ist nicht erkennbar, dass diese Veränderung in Äthiopien konkrete Auswirkungen auf das Verhalten äthiopischer Sicherheitsbehörden in Deutschland hat. Soweit Schröder dies in seiner Auskunft an das VG Gießen vom 23. Februar 2017 annimmt und ausführt, dass eine Unterscheidung zwischen exponierten Tätigkeiten und solchen eher unbedeutender Art wegen der Willkür der äthiopischen Sicherheitsbehörden nicht zielführend sei, so bleibt er konkrete Beispiele für ein Einschreiten äthiopischer Stellen bei Rückkehrern schuldig. Das gleiche gilt für die ihm nunmehr folgende Rechtsprechung des VG Würzburg (BeckRS 2017, 117555). Dies ist sicherlich dem Umstand geschuldet, dass keine Abschiebungen nach Äthiopien stattfinden, d.h. lediglich theoretische Erwägungen angestellt werden. Schröder selbst betont zudem (auf Seite 50 seiner Stellungnahme), dass eine qualifizierte Verfolgungsprognose kaum möglich sei, weil das Vorgehen äthiopischer Stellen von einem hohen Maß an Beliebigkeit geprägt sei. Auch nach Schröder lassen sich damit generelle Kriterien nur schwer feststellen. Grundsätzlich kommt es daher auf den Einzelfall an, d. h. etwa darauf, ob eine Organisation von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation angesehen wird oder um welche Art exilpolitischer Aktivität es sich handelt (z. B. nachweisliche Mitgliedschaft, führende Position, Organisation gewaltsamer Aktionen) (AA, Lagebericht vom 6. März 2017). [...]