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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 23.01.2018 - V ZB 53/17 - asyl.net: M26466
https://www.asyl.net/rsdb/M26466
Leitsatz:

[Keine erneute Anhörungspflicht bei Wechsel des Haftgrundes i.R.d. § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 i.V.m. § 2 Abs. 14 AufenthG durch das Beschwerdegericht:]

a) § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG enthält einen einheitlichen Haftgrund der Fluchtgefahr, der durch die Kriterien des § 2 Abs. 14 AufenthG gesetzlich näher ausgeformt ist.

b) Das Beschwerdegericht muss den Betroffenen grundsätzlich nicht erneut anhören, wenn es die angeordnete Sicherungshaft auf einen anderen der in § 2 Abs. 14 Nr. 1 bis 6 AufenthG festgelegten Anhaltspunkte für das Vorliegen von Fluchtgefahr stützen will, als es das Amtsgericht getan hat. Anders ist es, wenn zur Ausfüllung des Begriffs der Fluchtgefahr ein neuer Sachverhalt eingeführt wird, zu dem sich der Betroffene noch nicht persönlich äußern konnte.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Fluchtgefahr,
Normen: AufenthG § 62 Abs. 3, AufenthG § 62, AufenthG § 2 Abs. 14, AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5, FamFG § 62,
Auszüge:

[...]

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält einer rechtlichen Überprüfung stand. Das Beschwerdegericht hat die Haftanordnung rechtsfehlerfrei auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG gestützt.

1. Der Berücksichtigung des Haftgrundes durch das Beschwerdegericht stehen verfahrensrechtliche Hindernisse nicht entgegen. Es handelt sich, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht um einen neuen Haftgrund (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 16. Februar 2017 - V ZB 10/16, juris Rn. 9; Beschluss vom 7. Juli 2016 - V ZB 21/16, FGPrax 2016, 278 Rn. 6).

a) Allerdings haben die beteiligte Behörde und das Amtsgericht andere Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG als das Beschwerdegericht gesehen. [...]

b) Das hinderte das Beschwerdegericht jedoch nicht, die Fluchtgefahr auf den Anhaltspunkt des § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG zu stützen. § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG enthält einen einheitlichen Haftgrund der Fluchtgefahr, der durch die Kriterien des § 2 Abs. 14 AufenthG gesetzlich näher ausgeformt ist. [...]

2. a) Nach § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG kann die ausdrückliche Erklärung des Ausländers, dass er sich der Abschiebung entziehen will, ein Anhaltspunkt für eine Fluchtgefahr sein. Eine solche Erklärung liegt vor, wenn der Ausländer klar zum Ausdruck bringt, dass er nicht freiwillig in den in der Abschiebungsandrohung genannten Zielstaat reisen und sich vor allem auch nicht für eine behördliche Durchsetzung seiner Rückführung zur Verfügung halten würde (vgl. BT-Drucks. 18/4097, S. 33; Senat, Beschluss vom 12. Mai 2016 - V ZB 27/16, juris Rn. 5).

b) Die tatrichterliche Schlussfolgerung auf die Entziehungsabsicht unter-liegt einer Rechtskontrolle nur dahin, ob die verfahrensfehlerfrei festgestellten Tatsachen eine solche Folgerung als möglich erscheinen lassen (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Februar 2012 - V ZB 46/11, juris Rn. 9 mwN). Mit der Rechtsbeschwerde kann nicht geltend gemacht werden, dass die Folgerungen des Tatrichters nicht zwingend seien oder dass eine andere Schlussfolgerung ebenso naheliegt. [...]

3. Weil es sich bei § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG um einen einheitlichen Haftgrund handelt, muss das Beschwerdegericht den Betroffenen grundsätzlich nicht erneut anhören, wenn es die angeordnete Sicherungshaft auf einen anderen der in § 2 Abs. 14 Nr. 1 bis 6 AufenthG festgelegten Anhaltspunkte für das Vorliegen von Fluchtgefahr stützen will, als es das Amtsgericht getan hat. Anders ist es, wenn zur Ausfüllung des Begriffs der Fluchtgefahr ein neuer Sachverhalt eingeführt wird, zu dem sich der Betroffene noch nicht persönlich äußern konnte (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Januar 2018 - V ZB 28/17, zur Veröffentlichung bestimmt). So liegt es hier nicht. Der in § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG geregelte Anhaltspunkt für die Fluchtgefahr ergibt sich aus der Einlassung des Betroffenen bei der persönlichen Anhörung vor dem Haftrichter. [...]