VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 18.07.2018 - 1 K 1083/17 - asyl.net: M26470
https://www.asyl.net/rsdb/M26470
Leitsatz:

1. Zu den Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis für im Aufenthaltsgesetz nicht vorgesehene Aufenthalts­zwecke gemäß § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG (Rn.24).

2. Der vermögende Ausländer, der sich in Deutschland niederlassen möchte, um hier von seinem Vermögen zu leben, stellt einen Anwendungsfall des § 7 Abs 1 S 3 AufenthG dar (Rn.25).

3. Als Vermögen im Rahmen des § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG sind nicht nur Bankguthaben, Aktiendepots o.ä. zu berücksichtigen, sondern auch Grundbesitz (Rn.27).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Aufenthaltszweck, sonstiger Aufenthaltszweck, Vermögen, Sicherung des Lebensunterhalts, Vermögensverwaltung, Grundbesitz, Immobilienbesitz,
Normen: AufenthG § 7 Abs. 1 S. 3
Auszüge:

[...]

26 b) Es besteht allgemein Einigkeit darüber, dass der vermögende Ausländer, der sich in Deutschland niederlassen möchte, um hier von seinem Vermögen zu leben, einen der Anwendungsfälle des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG darstellt (vgl. Nr. 7.1.3 Satz 3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG; Discher in GK-AufenthG, § 7 Rn. 240; Dienelt in Bergmann/Dienelt, AufenthG, 12. Aufl. 2018, § 7 Rn. 25; Maor in BeckOK, AufenthG § 7 Rn. 11; Fehrenbacher in HTK-AuslR, § 7 AufenthG, Rn. 4 zu Abs. 1 Satz 3 Nr. 1).

27 Damit fällt die Klägerin zu 1 grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Vorschrift. Sie beabsichtigt, in Deutschland von den Erträgen ihres Vermögens zu leben. Dies ist nicht etwa deshalb in Frage gestellt, weil es sich dabei um aus ihrem Grundbesitz resultierende Miet- und Pachteinnahmen handelt. Anders als die Beklagte meint, lässt sich dem Regelungsgehalt des Aufenthaltsgesetzes kein Grundsatz des Inhalts entnehmen, dass als Vermögen im Rahmen des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nur Bankguthaben, Aktiendepots o.ä. zu berücksichtigen sind. Dabei ist schon die Annahme verfehlt, Grundbesitz sei regelhaft weniger sicher als z.B. ein Bankguthaben oder ein Aktiendepot. Denn dies trifft ersichtlich nicht zu. Während unbelasteter Grundbesitz ein krisensicheres Vermögen darstellt, sind Bankguthaben in viel stärkerem Maße dem Risiko von Wertverlusten infolge von Krisen einzelner Staaten, der Finanzmärkte oder großer Unternehmen ausgesetzt. Gleichermaßen nicht überzeugend ist der Vortrag der Beklagten, Pacht- oder Miteinnahmen aus Grundbesitz könnten eher kurzfristig entfallen als z.B. Zinseinnahmen aus einem Bankguthaben. Abgesehen davon, dass es derzeit schwierig ist, bei einer risikofreien Geldanlage überhaupt noch nennenswerte Zinserträge zu erwirtschaften, übersieht die Beklagte, dass auch Miet- oder Pachtverträge keinesfalls in allen Fällen jederzeit gekündigt werden können. Auch im vorliegenden Fall handelt es sich um einen längerfristig abgeschlossenen Pachtvertrag, der bis ins Jahr 2021 Gültigkeit beansprucht und vorher nur durch eine außerordentliche Kündigung beendet werden kann. Schließlich verkennt die Beklagte, dass Grundbesitz, der sich wie hier in einem allgemeinen Wohngebiet befindet, auch bei einem Scheitern des Pachtverhältnisses ohne Weiteres anderweitig baulich genutzt und damit wirtschaftlich profitabel verwertet werden kann. Im Falle des mehr als 3.700 m² großen Grundstücks der Klägerin zu 1 wäre wohl ohne Weiteres der Verkauf an einen Bauträger zum Zwecke der Bebauung mit Wohnhäusern möglich. Nach vorsichtiger Schätzung, der auch der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nicht entgegengetreten ist, wäre im vorliegenden Fall ein Erlös von mindestens 600.000 €, eventuell aber auch deutlich mehr, zu erzielen.

28 c) Ferner muss nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ein begründeter Fall vorliegen. Dabei handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts um eine tatbestandliche Voraussetzung, die gerichtlich voll überprüfbar ist (BVerwG, Urteil vom 26.10.2010 - 1 C 16.09 - juris; einschränkend: Pfaff, ZAR 2011, S. 194 m.w.N.; a. A. wohl auch Fehrenbacher in HTK-AuslR, § 7 AufenthG, Rn. 4 zu Abs. 1 Satz 3 Nr. 1). Ein begründeter Fall ist dann anzunehmen, wenn unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik für die gesetzlich geregelten Aufenthaltszwecke der vom Ausländer konkret beabsichtigte Aufenthaltszweck die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sachlich rechtfertigen kann und die Rechtsordnung den Aufenthaltszweck nicht allgemein missbilligt (vgl. Discher in GK-AufenthG, § 7 Rn. 252 ff.). Der Ausländer muss also mit anderen Worten einen Grund für seinen Aufenthalt angeben, der nicht abwegig oder missbräuchlich erscheint (Maor in BeckOK, AufenthG § 7 Rn. 11).

29 Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Wunsch der Klägerin zu 1, aus den Erträgen ihres Grundbesitzes in Deutschland zu leben, kann die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sachlich rechtfertigen. Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass die Rechtsordnung diesen Aufenthaltszweck allgemein missbilligt oder der angegebene Grund für den Aufenthalt abwegig oder missbräuchlich erscheint.

30 Darüber hinaus kommt im Falle der Klägerin zu 1 hinzu, dass es sich bei ihrem Grundbesitz um ein in der Bundesrepublik Deutschland belegenes Vermögen handelt, das - anders als beispielsweise Bankvermögen - sinnvollerweise am Ort seiner Belegenheit verwaltet werden muss. Zwar weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass die Verwaltung auch durch Dritte erfolgen könnte. Dies wäre aber mit nicht unerheblichen Kosten verbunden. Auch gelegentliche Besuchs- oder Geschäftsaufenthalte der Klägerin zu 1 wären im Falle einer Rückkehr nach Kasachstan mit einem erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden.

31 Angesichts dessen liegt hier ersichtlich ein besonderer Grund im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vor. Der von der Klägerin zu 1 genannte Aufenthaltszweck ist sachlich nachvollziehbar und lässt keinerlei Anzeichen eines Missbrauchs erkennen.

32 d) Darüber hinaus wird man verlangen müssen, dass das Vermögen so groß ist, dass der Ausländer aus dessen Erträgen - mit einer gewissen Nachhaltigkeit - leben kann (Fehrenbacher in HTK-AuslR, § 7 AufenthG, Rn. 4 zu Abs. 1 Satz 3 Nr. 1). Dies dürfte schon aus der Systematik des Aufenthaltsgesetzes folgen, die im Rahmen des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zu berücksichtigen ist. Danach ist ein Zuzug in die sozialen Sicherungssysteme grundsätzlich unerwünscht. Ferner setzt der Zuzug eines Ausländers, der in Deutschland von seinem Vermögen leben möchte, gedanklich voraus, dass dieses Vermögen auch tatsächlich geeignet ist, den Lebensunterhalt des Ausländers zu gewährleisten. Letztlich kann aber dahinstehen, ob dieses Erfordernis zum Tatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gehört. Denn die Sicherung des Lebensunterhalts ist jedenfalls als allgemeine Erteilungsvoraussetzungen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) auch im Rahmen des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zu berücksichtigen (vgl. Discher in GK-AufenthG, § 7 Rn. 262).

33 Wollte man bei der Frage, ob der Lebensunterhalt durch die aus dem Grundvermögen fließenden Erträge nachhaltig gesichert ist, allein auf die Klägerin zu 1 abstellen, wäre sie wohl ohne Weiteres zu bejahen. Es spricht indes Vieles dafür, nicht nur die Klägerin zu 1 in den Blick zu nehmen. Da sie mit ihren minderjährigen Kindern, den Klägerinnen zu 2 und 3, zusammenleben möchte, ist wohl die gesamte Familie - als Bedarfsgemeinschaft - zu betrachten. Auch unter Berücksichtigung des Bedarfs der Klägerinnen zu 2 und 3 ist das Vermögen der Klägerin zu 1 aber geeignet, den Lebensunterhalt der Klägerinnen nachhaltig zu sichern. [...]