OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Beschluss vom 22.08.2018 - 1 B 161/18 - asyl.net: M26515
https://www.asyl.net/rsdb/M26515
Leitsatz:

1. Zu den Anforderungen an eine Vergewisserung i.S.d. § 58a Abs. 1a AufenthG.

2. Unbegleitet i.S.d. § 58 Abs. 1a AufenthG ist eine minderjährige Ausländerin dann, wenn sie ohne Begleitung eines Erwachsenen, der im Rückkehrstaat Verantwortung für sie übernehmen kann und wird, abgeschoben werden soll.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: unbegleitete Minderjährige, Abschiebung, Suspensiveffekt, Betreuungsperson, Sorgerecht, Vergewisserung, Personensorge,
Normen: AufenthG § 58 Abs. 1a,
Auszüge:

[...]

Unbegleitet i.S.d. § 58 Abs. 1a AufenthG ist eine minderjährige Ausländerin dann, wenn sie ohne Begleitung eines Erwachsenen, der im Rückkehrstaat Verantwortung für sie übernehmen kann und wird, abgeschoben werden soll. Lediglich ein solches Verständnis wird dem mit Artikel 10 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie verfolgten Interesse des Kindeswohls (vgl. auch die Erwägung 22 der Richtlinie) gerecht. Es soll sichergestellt werden, dass die minderjährige Ausländerin im Heimatstaat in geeignete Betreuung gelangt. Ob sie sich während ihres Aufenthaltes in Deutschland in der Obhut eines verantwortlichen Erwachsenen befindet, ist daher insoweit ohne Belang. Dieses Verständnis entspricht im Übrigen auch der Definition in Artikel 2 lit. l der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 337 vom 20.12.2011, S. 9, ber. ABl. EU Nr. L 167 vom 30.06.2017, S. 58) – Qualifikationsrichtlichtlinie. Danach ist ein "unbegleiteter Minderjähriger" ein Minderjähriger, der ohne Begleitung eines für ihn nach dem Gesetz oder der Praxis des betreffenden Mitgliedsstaates verantwortlichen Erwachsenen in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats einreist, solange er sich nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen befindet; dies schließt Minderjährige ein, die nach der Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats dort ohne Begleitung zurückgelassen wurden. Dies trifft auf die Antragstellerin zu. Sie soll gerade ohne Begleitung eines für sie verantwortlichen Erwachsenen nach Gambia abgeschoben werden. Ihr Vater verfügt in Deutschland über eine Niederlassungserlaubnis und es ist nicht ersichtlich, dass er mit der Antragstellerin nach Gambia zurückkehren wird.

Das Migrationsamt hat sich bislang nicht vergewissert, dass die Antragstellerin in Gambia an eine Betreuungsperson oder an eine Institution übergeben werden kann, die zur Übernahme der Betreuung bereit und geeignet ist. Es liegt hier auch nicht etwa auf der Hand, dass die in Gambia lebende Mutter der Antragstellerin nach wie vor eine geeignete Betreuungsperson im Sinne des § 58 Abs. 1a AufenthG ist. Aus dem Vortrag der Antragstellerin und aus von ihr vorgelegten, angeblich von ihrer Mutter stammenden Erklärungen ergeben sich vielmehr durchaus Anhaltspunkte dafür, dass diese nicht mehr zu einer Betreuung der Antragstellerin bereit ist. Es wird von der Antragstellerin auch vorgetragen, dass das Sorgerecht durch die Erklärungen der Mutter nach gambischem Recht allein auf den Vater übertragen worden sei. Das Migrationsamt der Antragstellerin muss sich daher positiv von der Aufnahmebereitschaft der Mutter vergewissern. Aufzuklären wäre ggf. auch, ob es sich bei der von der Antragstellerin besuchten Schule um ein Internat handelt, das die Antragstellerin auch nach längerer Unterbrechung wieder aufnehmen würde. [...]