VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 13.07.2018 - 10 A 1738/17 - asyl.net: M26578
https://www.asyl.net/rsdb/M26578
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für einen an paranoider Schizophrenie erkrankten, unter gesetzlicher Betreuung stehenden jungen Mann aus Afghanistan:

Eine für das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG erforderliche extreme Gefahrenlage kann sich im Einzelfall bei besonders schutzbedürftigen Personen ergeben. Dazu gehören insbesondere behandlungsbedürftig Erkrankte, Familien mit kleinen Kindern, alleinstehende Frauen und besonders von Diskriminierung Betroffene. Auch junge Männer können besonders schutzbedürftig sein, wenn sie z.B. schwer psychisch erkrankt sind.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, Schizophrenie, paranoide Schizophrenie, psychische Erkrankung, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, alleinstehender junger Mann, besonders schutzbedürftig,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. [...]

Im Falle des Klägers hat sich die allgemeine Gefahr In Afghanistan nach Überzeugung des Gerichts unter Gesamtwürdigung der jetzigen Bedingungen zu einer solch extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist. Nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen, die Gegenstand des Verfahrens sind, ist davon auszugehen, dass der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten wird, die eine Abschiebung in den Heimatstaat im jetzigen Zeitpunkt verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen lässt. [...]

Eine extreme Gefahrenlage kann sich aber im Einzelfall ergeben, wenn es sich um schutzbedürftige Rückkehrer handelt. Dazu gehören vor allem alte oder behandlungsbedürftig kranke Personen, Familien mit kleinen Kindern, alleinstehende Frauen und Personen, die aufgrund besonderer persönlicher Merkmale zusätzlicher Diskriminierung unterliegen. Aber auch junge männliche Erwachsene können ausnahmsweise dieser Gruppe zuzurechnen sein, wenn sie aufgrund der Umstände des Einzelfalles besonderen Schutzes bedürfen, etwa wenn sie an schweren psychischen Erkrankungen leiden (vgl. z.B. VG Hamburg, Urt. v. 23.2.2018, 10 A 1695/17; Urt.v. 8.1.2018, 10 A 9718/17; Urt. v. 13.11.2017, 4 A 6065/11; Beschl. v. 27.3.2017, 1 AE 3661/17; Urt. v. 2.3.2016, 10 A 5957/14).

In der Person des Klägers ist solch ein Einzelfall gegeben. Nach der Überzeugung des Gerichts verfügt der Kläger aktuell wegen seiner gesundheitlichen Verfassung nicht über die Fähigkeit, unter den in Afghanistan derzeit herrschenden harten Bedingungen zu überleben. In dem Arztbrief der Asklepios Klinik Nord, Wandsbek, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, vom ... 2018 wird bei dem Kläger eine paranoide Schizophrenie (F20.0) diagnostiziert, die mit Olanzapin und Sertralin behandelt wird. Vom ... 2017 bis zum ... 2018 war er dort in stationärer Behandlung. Die Aufnahme einer ambulanten Psychotherapie wird empfohlen. Zuvor war dem Kläger in einem Arztbrief der ... Klinik , Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, vom ... 2017, wo er vom ... bis zum ... 2017 wiederholt auf der geschlossenen Station gemäß Beschluss nach § 12 HmbPsychKG aufgenommen werden musste, bereits eine akute schizophreniforme psychotische Störung (F23.2) attestiert worden. [...]

Nach alledem ist im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung nicht davon auszugehen, dass der Kläger auf dem hart umkämpften afghanischen Arbeitsmarkt bestehen könnte. Das Gericht hält es gegenwärtig für ausgeschlossen, dass es ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan gelingen würde, ein jedenfalls spärliches Einkommen etwa durch Gelegenheitsarbeit zu erwirtschaften. [...]

Der Kläger wäre danach in Afghanistan in besonders hohem Maße auf fremde Unterstützung bei der Lebensunterhaltssicherung angewiesen. Diese könnte er nach Überzeugung des Gerichts nicht durch dort lebende Familienangehörige erlangen. [...]