OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 19.09.2018 - 13 ME 355/18 - asyl.net: M26623
https://www.asyl.net/rsdb/M26623
Leitsatz:

[Zum Arbeitsverbot für Geduldete aus sicheren Herkunftsstaaten:]

Ein Asylantrag ist - auch unter Berücksichtigung von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO und dessen Auslegung durch den EuGH (Urt. v. 26.7.2017 - C-670/16 [- Mengesteab gg. Deutschland (Asylmagazin 9/2017, S. 357 ff.) - asyl.net: M25274]) - erst dann gestellt im Sinne des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG in Verbindung mit § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG, wenn er vom Asylsuchenden grundsätzlich nach § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG bei der Außenstelle des Bundesamtes, die der für die Aufnahme des Ausländers zustän­digen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, und ausnahmsweise unter den in § 14 Abs. 1 Satz 2 AsylG genannten Voraussetzungen bei einer anderen Außenstelle oder in den in § 14 Abs. 2 AsylG genannten Fällen bei dem Bundesamt förmlich gestellt worden ist.

[Die Regelung des § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 3 AufenthG verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, obwohl sie an die Staatsangehörigkeit anknüpft.]

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Asylantrag, Beurteilungszeitpunkt, sichere Herkunftsstaaten, Asylgesuch, förmliche Asylantragstellung, Stichtag, Duldung, Ermessen, Bleibeperspektive, Gleichheitsgrundsatz,
Normen: GG Art. 16a Abs. 3, GG Art. 3 Abs. 1, RL 2013/32/EU Art. 6 Abs. 4, VO 604/2013 Art. 20 Abs. 2, VO 604/2013 Art. 20 Abs. 2 S. 1, AsylG § 14 Abs. 2, AsylG § 14 Abs. 1 S. 2, AsylG § 14 Abs. 1 S. 1, AsylG § 13 Abs. 1, AsylG § 14 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 3, AsylG § 29a,
Auszüge:

[...]

5 a) Der Erteilung einer Ausbildungsduldung steht § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG entgegen. Die aus Albanien und damit einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne des § 29a AsylG (in Verbindung mit Anlage II zu dieser Vorschrift) stammende Antragstellerin hat ihren Asylantrag im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG erst am 19. November 2015 und damit nach dem in § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG festgelegten Stichtag des 31. August 2015 gestellt.

6 Allerdings liegt nach § 13 Abs. 1 AsylG ein Asylantrag bereits dann vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG oder ein ernsthafter Schaden
im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht. Nach dem klaren Wortlaut des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG genügt es indes nicht, dass ein Asylantrag in diesem Sinne vorliegt (sog. Asylgesuch, vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.12.1997 - 1 B 219.97 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 11; GK-AsylG, § 13 Rn. 101 ff. (Stand: November 2014)). Der Asylantrag muss vielmehr auch "gestellt" worden sein (sog. Asylantrag im engeren Sinne, vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.12.1997, a.a.O.). Gestellt werden kann der Asylantrag grundsätzlich nach § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG nur bei der Außenstelle des Bundesamtes, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, und ausnahmsweise unter den in § 14 Abs. 1 Satz 2 AsylG genannten Voraussetzungen bei einer anderen Außenstelle oder in den in § 14 Abs. 2 AsylG genannten Fällen bei dem Bundesamt (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 8.12.2016 - 8 ME 183/16 - juris Rn. 6; OVG Nordrhein- Westfalen, Beschl. v. 18.8.2017 - 18 B 792/17 -, juris Rn. 5; OVG Hamburg, Beschl. v. 15.11.2017 - 3 Bs 252/17 -, juris Rn. 8; vgl. auch: Allgemeine Anwendungshinweise des BMI zur Duldungserteilung nach § 60a AufenthG vom 30.5.2017, S. 11; a.A.: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 9.10.2017 - 11 S 2090/17 -, juris Rn. 5 ff.; VG Freiburg, Beschl. v. 17.8.2017 – 3 K 5875/17 -, juris Rn. 10 ff.). Eine Korrektur der eindeutigen Regelung des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ist auch im Hinblick auf mögliche verwaltungsinterne Verzögerungen zwischen Asylgesuch und Asylantragstellung weder erforderlich noch zulässig, denn der Gesetzgeber hatte die starke Belastung des Bundesamtes bei Schaffung der Vorschrift im Oktober 2015 durchaus im Blick (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes, BT-Drs. 18/6185, S. 1 f. und Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes, BR-Drs. 446/15, S. 1 f.). [...]

8 Eine hiervon abweichende Betrachtung ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nicht durch Art. 20 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, (Dublin III-VO) und dessen Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof im Urteil vom 26. Juli 2017 (- C-670/16 -, juris Rn. 75 ff.) geboten. Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bezieht sich dieses Urteil ausschließlich auf die Regelungen der Antragstellung im sog. Dublin-Verfahren auf Grundlage der Dublin III-VO. Ausdrücklich weist der EuGH darauf hin, dass sich Art. 6 Abs. 4 der Asylverfahrensrichtlinie und Art. 20 Abs. 2 der Dublin III-VO hinsichtlich der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz zwar ähnelten, aber auch in wesentlichen Punkten unterschieden. Diese Vorschriften seien zudem Teil verschiedener Verfahren, die eigene Anforderungen aufwiesen und unterschiedlichen Regelungen unterlägen (EuGH, Urt. v. 26.7.2017, a.a.O., Rn. 99 ff.). Eine Übertragung der Auslegung des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 der Dublin III-VO auf das nationale Asylverfahrensrecht und die nationalen Bestimmungen zur Ausbildungsduldung, insbesondere in § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, hinsichtlich des Zeitpunkts der Antragstellung scheidet mithin aus.

9 b) Die Anknüpfung des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG an die Staatsangehörigkeit eines sicheren Herkunftsstaates im Sinne des § 29a AsylG verstößt entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. [...]

12 Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt ein hinreichender sachlicher Grund für die Differenzierung in § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG vor. Die von Art. 16a Abs. 3 GG vorgegebene asylverfahrensrechtliche Sonderstellung von Staatsangehörigen sicherer Herkunftsstaaten ist seit Langem anerkannt (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 - 2 BvR 1507/93, 2 BvR 1508/93 -, BVerfGE 94, 115, 132 ff.). Der Gesetzgeber geht in diesen Fällen zulässigerweise davon aus, dass Asylantragstellern aus diesen Ländern grundsätzlich weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung droht, sie mithin von vornherein eine geringe Bleibeperspektive haben. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn vollziehbar ausreisepflichtigen Staatsangehörigen dieser Länder, deren Asylanträge bereits abgelehnt worden sind, die Möglichkeit einer weiteren Verfestigung ihres Aufenthalts durch eine langfristige Ausbildungsduldung genommen wird. Es ist ein legitimer Zweck, auf diese Weise Fehlanreize zu beseitigen und so dem Zuzug weiterer Staatsangehöriger dieser Länder sowie der Stellung unberechtigter Asylanträge entgegenzuwirken (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes, BT-Drs. 18/6185, S. 1 f. und Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes, BR-Drs. 446/15, S. 1 f.). [...]