Flüchtlingsanerkennung für einen Sudanesen wegen Konversion zum Christentum:
1. Seit 2017 durchlaufen alle in den Sudan zurückgeführten Personen ein besonderes Verfahren, bei dem sie von der Grenzpolizei und dem Geheimdienst befragt werden. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass dabei der noch offene Haftbefehl gegen den Kläger zur Kenntnis genommen wird.
2. Konvertierten Personen, die getauft sind und sich aktiv für die christliche Religion einsetzen, droht im Sudan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrelevante Verfolgung.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach den §§ 3 ff. AsylG. [...]
Der Kläger hat im gerichtlichen Verfahren überzeugend seinen in seinem Heimatland bzw. in Saudi-Arabien in Gang gesetzten Glaubenswechsel dargelegt. [...]
Des Weiteren konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung auch seine Vorverfolgung glaubhaft vortragen. [...] Der vorgelegte Haftbefehl steht der Glaubhaftigkeit des Vortrages des Klägers nicht entgegen. Die Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid, in dem Haftbefehl, nicht aber in dem Vortag des Klägers sei die Rede davon, dass dieser zunächst festgenommen, dann aber befreit worden sei, dürfte auf einer fehlerhaften Übersetzung des vorgelegten Haftbefehls beruhen. Nach der vom Gericht in Auftrag gegebenen Übersetzung des Haftbefehls durch den seit Jahren in Gerichtsverhandlungen eingesetzten und besonders erprobten Sprachmittlers, ist in diesem von einer Verhaftung und Befreiung keine Rede. Letzteres bemängelte zudem bereits der Kläger im gerichtlichen Verfahren unter Vorlage einer Stellungnahme eines allgemein beeidigten Dolmetschers für die arabische Sprache. Der weitere Einwand, der Haftbefehl betreffe den Kläger nicht, vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. Aufgrund der unterschiedlichen Alphabete ist die Übersetzung eines arabischen Namens in die deutsche Sprache allenfalls phonetisch möglich. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes steht bereits die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Auftrag gegebene Übersetzung nicht der Annahme entgegen, dass es sich um einen Haftbefehl gegen den Kläger handelt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der letzte Namensbestandteil nach dem Vortrag des vom Gericht eingesetzten Dolmetschers nicht bzw. schwer leserlich ist.
Wenn der Kläger in den Sudan zurückkehren müsste, bestünde die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass er einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt wäre. Seit 2017 gibt es nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes (über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan vom 16.11.2017, S. 21) im Sudan ein eigenes Verfahren zum Umgang mit rückgeführten Sudanesen. Diese werden zuerst von der Grenzpolizei und im Anschluss vom Nationalen Geheim- und Sicherheitsdienst befragt. Hierbei soll vornehmliches Ziel sein, festzustellen, ob die Rückgeführten politische Aktivisten oder Terroristen sein könnten. Angesichts dessen ist es überaus wahrscheinlich, dass der Kläger bei seiner Rückkehr über den Flughafen Khartum ebenfalls einer entsprechenden Überprüfung unterzogen und dabei der noch offene Haftbefehl zur Kenntnis genommen wird. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte für die Annahme, das Verfolgungsinteresse sei zwischenzeitlich erloschen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger mittlerweile getauft ist und sich aktiv für die christliche Religion einsetzt. Sollte dies den bereits sensibilisierten sudanesischen Sicherheitsbehörden bekannt werden, dürfte sich die Situation für den Kläger noch verschlechtern. Nach dem vorgenannten Lagebericht des Auswärtigen Amtes (S. 10) steht auf Apostasie, insbesondere den Übertritt eines Muslim zum Christentum, nach der 1983 eingeführten Scharia die Todesstrafe, deren Vollstreckung bis zum Vollzug der Hinrichtung durch Sprechen des islamischen Glaubensbekenntnisses abgewendet werden kann. Im Fall eines Apostasie-Verfahrens gegen Anhänger einer islamischen Sekte wurde das Verfahren 2011 auf diese Weise beendet. Im sogenannten Mariyam-Fall wurde 2014 eine schwangere Frau zum Tode verurteilt, durfte dann jedoch auf westliche Bemühungen hin mit ihrer Familie über Italien in die USA ausreisen. Das Todesurteil führte auch in der sudanesischen Gesellschaft zu Protesten. Die Nähe oder Distanz des Staates zu islamistischen Positionen ist letztlich das Ergebnis der Erforderlichkeit, Allianzen zu Staaten wie Saudi-Arabien zu unterhalten, auf deren Finanzen - direkt oder über Transferleistungen dort lebender Sudanesen - der sudanesische Staat angewiesen ist. Vor diesem Hintergrund hält es das Gericht auch in Anbetracht der glaubhaft geschilderten Vorgeschichte des Klägers im hier konkret zu entscheidenden Fall für beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger im Fall seiner Rückkehr mit einer empfindlichen Strafe rechnen müsste, die die Erheblichkeitsschwelle für die Annahme einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung i.S.v. §§ 3 ff. AsylG überschreitet. [...]