1. Kein Flüchtlingsschutz wegen Entziehung vom Nationaldienst in Eritrea, da die Bestrafung zwar hart ist, aber nicht an asylrelevante Merkmale anknüpft.
2. Kein Flüchtlingsschutz für ein in Deutschland geborenes kleines Mädchen, da Genitalverstümmelung in Eritrea seit über zehn Jahren verboten ist, die Praxis stark rückläufig ist und von einem wachsenden Teil der Bevölkerung abgelehnt wird.
(Leitsätze der Redaktion)
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Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung können Strafverfolgung und Bestrafungen, wenn sie von einem weltanschaulich totalitären Staat ausgehen, als politische Verfolgung angesehen werden. Dahin schlagen solche Maßnahmen aber nur dann um, wenn sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt werden, die durch die Maßnahmen gerade wegen ihrer Religion, ihrer politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals getroffen werden sollen. Die außergewöhnliche Härte einer drohenden Strafe - insbesondere die in der Praxis verhängte und exekutierte Todesstrafe - , gibt allerdings regelmäßig dann Anlass zur Prüfung ihrer Asylrelevanz, wenn in einem totalitären Staat ein geordnetes und berechenbares Gerichtsverfahren fehlt und Strafen willkürlich verhängt werden, weil ein derartiges evidentes Fehlen rechtsstaatlicher Grundsätze ein Indiz für eine hinter der Strafnorm stehenden Verfolgung in einem asylerheblichen Merkmal sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 – 9 C 131/90, juris Rn. 19 f). Zwar ist ein solches Indiz besonders sorgfältig bei Anwendung menschenrechtswidriger Behandlungen, insbesondere Folter (vgl. insb. UN-Kommission, a.a.O., Report 2015, S. 369 ff, S. 396 ff, S. 446 ff) zu beachten. Dennoch kommt die Kammer nicht zur Überzeugung, dass die vom eritreischen Staat ausgehende zweifelsohne überzogene, über aus harte, nicht auf einem rechtsstaatlichen Verfahren beruhende strafrechtliche Verfolgung von Personen, die sich dem Nationaldienst entziehen und illegal ausreisen (vgl. SEM, Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22. Juni 2016, S. 21 im Falle der illegalen Ausreise; S. 44 Wehrdienstentziehung) gezielt an die über die kriminelle hinausgehende politische Komponente der dem Betroffenen zur Last gelegten Taten anknüpft, selbst dann, wenn diese ihm nur zugeschrieben wird (§ 3b Abs. 2 AsylG). Denn es fehlen Anhaltspunkte, dass nach der Sanktionierungspraxis für Wehrdienstverweigerer und Deserteure diese härter bestraft werden als die übrigen Straftäter. Diese folgt auch nicht aus der willkürlichen und außergerichtlichen Inhaftierung, denn willkürliche Festnahmen ohne Haftbefehle und Angabe von Gründen sind auch in anderen Fällen üblich (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 21. November 2016, S. 11. UN-Kommission, Report 2015, S. 221 Rn. 792). Überdies herrschen unmenschliche Haftbedingungen generell vor, wobei zwar zwischen den Straftaten unterschieden wird, jedoch ist nicht allein der politische Bezug für die Härte des Vollzugs entscheidend, wie beispielsweise unpolitische Straftaten wie Schmuggel oder Geldwechselgeschäfte zeigen (vgl. UN-Kommission, Bericht 2015, S. 248).
Nach Zugrundelegung und Auswertung der neueren Erkenntnisquellen auch im Übrigen lässt sich nicht feststellen, dass der eritreische Staat die Sanktionierungen von Dienstentziehung/Desertion und illegaler Ausreise generell an eine vermutete politische Überzeugung i. S. d §§ 3 Abs.1 Nr. 1, 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG knüpft, so dass es an einer für die Annahme einer politischen Verfolgung erforderlichen Verknüpfung zwischen den unter § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den unter § 3a AsylG aufgeführten Verfolgungshandlungen fehlt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. April 2018, a.a.O. Rn. 23). Denn die Vermutung, dass die vom totalitären Staat ausgehende außergewöhnliche Härte einer Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung neben der Ahndung kriminellen Unrechts auch der Bekämpfung von politischen Gegnern dient, greift nicht, wenn dem Verfolgerstaat bekannt ist, dass eine politische Überzeugung nicht vorhanden ist, so dass wegen der fehlenden politischen Motivation eine ihm missliebige politische Überzeugung gar nicht getroffen werden kann (BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1986 – 9 C 28.85-, Rn. 25, zit. nach juris, VG Düsseldorf, Urteil v. 16. März 2017, 6 K 12164/16.A, Rn. 55 zit. nach juris). In einem solchen Fall können die von dem totalitären Staat ausgehendenden Strafmaßnahmen auch nicht als Indiz für eine hinter der Strafnorm stehende Verfolgung in einem asylerheblichen Merkmal gewertet werden (sog. Politmalus vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 131/90 Rn. 19 ff).
Dass entgegen der Auffassung der Klägerin zu 1. nicht (mehr) davon ausgegangen werden kann, dass das Verlassen des Landes und die damit einhergehende Entziehung vom Wehrdienst als Ausdruck politischer Opposition bzw. Verrat aufgefasst wird, sprechen folgende Veränderungen, von denen trotz der wegen der Abschottung des Systems bestehenden Schwierigkeiten der Gewinnung verlässlicher Informationen auszugehen ist. Zuvörderst ist zunehmend zweifelhaft, ob der Nationaldienst den ursprünglich hohen politischen Stellenwert als Instrument der Nationenbildung zum Wiederaufbau des Landes nach dem Unabhängigkeitskrieg und zur Vermittlung der nationalen Ideologie beibehalten hat. Zwar liegt seine Hauptaufgabe in der Tat darin, die während des Unabhängigkeitskrieges entstandenen sozialen Werte der jungen Generation und damit der eritreischen Gesellschaft weiterzugeben. Zu diesem Zweck werden sämtliche jungen Männer und Frauen des Landes einberufen und in einer gemeinsamen Sprache - Tigrinya - ausgebildet. Wie bereits oben ausgeführt, absolvieren das 12. Schuljahr alle Schüler zentral in einem Ausbildungslager in Sawa, wo sie unter anderem ideologisch geschult werden und eine paramilitärische Ausbildung erfahren. Am Ende haben sie eine gemeinsame Identität und ignorieren ihren religiösen, ethnischen und regionalen Hintergrund. (vgl. EASO Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 32 ). Inzwischen darf aber nicht verkannt werden, dass heute insbesondere im Hinblick auf die jahrelang anhaltende Massenflucht vorwiegend junger Leute überwiegend wirtschafts- und entwicklungspolitischen Zielsetzungen, d.h. der wirtschaftliche Aufbau des Landes, im Vordergrund stehen. So wird angenommen, dass der ursprünglich mit "legitimen Zielsetzungen" verbundene Nationaldienst wegen seines unbedingten und unbefristeten Charakters (insb. des zivilen Dienstes) mittlerweile zu bloßer Zwangsarbeit "degeniert" sei. (vgl. Kibreab, The Open-Ended Eritrean National Service: The Driver of Forced Migration, S. 16, abrufbar unter www.ecoi.net). Auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen kommt zu dem Schluss, dass der Nationaldienst entgegen den mit der Proklamation ursprünglich verfolgten (politischen) Zielsetzungen heute in erster Linie der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes und der Aufrechterhaltung einer völkerrechtswidrigen Kontrolle des Staates über die Bevölkerung dient, UN-Kommission, Report of the detailed findings of the commission of inquiry on human rights in Eritrea, 6. Juni 2016, Rn. 234).
Des Weiteren ist davon auszugehen, dass sich das Phänomen illegaler Ausreise zu einer Massenfluchtbewegung ausgeweitet hat. Das deutet darauf hin, dass das eritreische Regime die Betroffenen im Rahmen seiner Sanktionierungsmaßnahmen gerade nicht nach flüchtlingsrelevanten, d.h. politischen, Kriterien auswählt und nicht wegen dieser Kriterien misshandelt und bestraft. (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 17. März 2017, a.a.O., Rn. 177 zit. nach juris). Nach jüngsten Schätzungen verlassen mehrere tausend Eritreer monatlich illegal ihr Land (vgl. Un-Kommission, a.a.O., Report 2015, S. 42 Rn. 151 bis zu 5000 monatlich). Fluchtauslöser sind in erster Linie die grundsätzlich unbefristete Dauer des Nationaldienstes, die jedenfalls im Militär drohende Gefahr willkürlicher Bestrafung oder Misshandlung, der Arbeitseinsatz an von Heimat und Familie entfernten Orten, die kärgliche Entlohnung, die Unterdrückung politischer, wirtschaftlicher und sozialer Rechte sowie fehlende privatwirtschaftliche Erwerbsmöglichkeiten und der damit einhergehende Verlust einer jeglichen Lebensperspektive (vgl. GIGA-Focus Afrika 2/2016,S.2; Amnesty International, Just Deserters, Dezember 2015, S.39 abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/afr64/2930/2015/en/ .
Im Hinblick auf diesen Massenexodus kann vernünftigerweise nicht angenommen werden, dass der Staat hinter jedem Flüchtling eine missliebige politische Überzeugung sieht, sondern dieser lässt den Schluss zu, dass dem eritreischen Staat bekannt ist, dass die übergroße Zahl von Asylbewerbern wegen der prekären und unfreien Lebensbedingungen im zeitlich unbefristeten Nationaldienst und nicht aufgrund einer regimefeindlichen Gesinnung flieht (VG Düsseldorf, Urteil vom 16. März 2017, 6 K 12164/16, Rn. 97 ff, zit. nach juris). Auch anhand der Inhaftierungspraxis ergeben sich - wie bereits ausgeführt - keine Anhaltspunkte für einen beachtlichen "Politmalus" von Wehrflüchtigen oder Deserteuren gegenüber anderen Inhaftierten. (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 23. März 2017, 6 K 7338/16.A, Rn.174 ff m.w.N und Hinweis in Rn. 169 darauf, dass auch nach dem UNCHR-Bericht vom Juni 2016, die Bestrafungen wegen Nichtableistung des Nationaldienstes und illegaler Ausreise an entscheidender Stelle des Berichts nicht als asylerhebliche Verfolgung erfasst werden; zit. nach juris).
Entscheidend gegen die Annahme einer generellen politischen Verfolgung aller Personen, die sich dem Nationaldienst entziehen, spricht schließlich der sich abzeichnende derzeitige Umgang mit freiwilligen - zumindest vorübergehenden - Rückkehrern (vgl. auch VG Regensburg, Urteil vom 27. Oktober 2016, Rn. 31 ff.). Nach neueren Erkenntnissen besteht für Rückkehrer die Möglichkeit, den sanktionsfreien "Diasporastatus" bei mindestens dreijährigem Auslandsaufenthalt zu erreichen. Danach bleiben die Rückkehrer verfolgungsfrei, wenn sie die sogenannte "Diasporasteuer" (2 %) an den eritreischen Staat entrichtet haben und für den Fall des noch nicht geleisteten Nationaldienstes ein Reueformular, was einem Schuldeingeständnis gleichkommt, unterschrieben haben. Darin erklären die Rückkehrer, dass sie durch die Nichtabsolvierung eine Straftat begangen haben und die Strafe dafür annehmen. Dann soll es - Richtlinien für das Vorgehen sind nicht zugänglich - in der Mehrheit dieser Fälle zumindest nicht zu einer tatsächlichen Bestrafung kommen (SEM. Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, S. 43). Auch der Bericht der UN-Kommission aus dem Jahr 2015 führt zwei aktuellere Fälle aus dem Jahr 2014 an, in denen Rückkehrer nicht bestraft worden seien. Zum einen handelt es sich um 7 ältere Männer, die im Gegensatz zu den jüngeren freigelassen worden seien und zum anderen betrifft es eine Gruppe zurückgekehrter Eritreer, die die Zahlung der Diasporasteuer belegen konnten, die nicht verhaftet oder eingezogen worden (vgl. S. 114, Rn. 436). Zurückgekehrte Eritreer, die sich mehr als drei Jahre im Ausland aufgehalten haben, können den Diaspora-Status beantragen. Das ihnen in der Folge ausgestellte Dokument namens Residence Clearance Form, befreit sie zunächst von der Dienstpflicht und ermöglicht ihnen einen Aufenthalt von bis zu drei Jahren (SEM, Update Nationaldienst, S. 33f). Es bleibt festzustellen, dass der eritreische Staat einerseits wirtschaftlichen Nutzen aus dem Exodus der Bevölkerung zieht, denn die Aufbausteuer macht ca. ein Drittel des Staatshaushalts aus, und andererseits versucht, mit drakonischen Maßnahmen (angeblicher Schießbefehl bei Fluchtversuchen, unterschiedliche Strafen nach fehlgeschlagenen Fluchtversuchen, Misshandlungen einschließlich Folterungen, Bestrafung von nahen Angehörigen bei erfolgreicher Flucht, Verweigerung von Reisepässen und Ausreisegenehmigungen) die massenhafte Flucht seiner Staatsangehörigen zu vermeiden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea, Oktober 2016, S. 17). Dennoch sprechen diese Optionen bei einer freiwilligen Rückkehr, die gerade auch für Personen gelten, die sich dem Nationalen Dienst entzogen haben, gegen die Annahme einer politischen Verfolgung, denn diese Haltung des eritreischen Staates, insbesondere das Nachgeben gegen Bezahlung, legt die Annahme nahe, dass möglicherweise der hinter der illegalen Ausreise Dienstpflichtiger stehenden politischen Haltung kein bedeutsamer Wert beigelegt wird (zum Überwiegen der ökonomischen Interessen vgl. auch VG Berlin, Urteil vom 1. September 2017, 28 K 166.17 A, juris Rn. 44). Dabei ist allein entscheidend, dass der eritreische Staat mit dieser Möglichkeit des Freikaufens seine Haltung offenbart, wonach die politische Haltung bei der Durchsetzung ökonomischer Interessen zweitrangig ist. Aus dieser Option lässt sich allerdings keine Zumutbarkeit für die Klägerin zu 1. dahingehend ableiten, dass sie auf eine freiwillige Rückkehr durch die Zahlung der Aufbausteuer und ein Strafanerkenntnis verwiesen werden kann (vgl. VG Berlin, Urteil vom 1. September 2017, a.a.O, Rn. 46). Allerdings ist für die Frage des Vorliegens eines flüchtlingsrelevanten Merkmals auch nicht von Bedeutung, ob dieses staatliche Vorgehen aus ethisch-moralischen Gründen verwerflich ist, denn entscheidend ist, dass die Zahlung der Aufbausteuer und das Reuebekenntnis nach neueren Erkenntnissen (zur Zeit) eine ungehinderte Wiederkehr in den Herkunftsstaat ermöglicht (vgl. SEM, Focus Eritrea, a.a.O. S. 33 ff, 43). Dieser Bericht fußt im Übrigen nicht allein auf Ankündigungen der eritreischen Regierung, sondern berücksichtigt auch Berichte internationaler Organisationen wie Amnesty International und der UN-Untersuchungskommission (S. 36 ff) sowie Einschätzungen internationaler Beobachter (S. 35 f).
Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die Sanktionierungspraxis des eritreischen Staates nicht auf die individuelle politische Überzeugung von Einzelpersonen oder von Mitgliedern einer als feindlich erachteten Personengruppe zielt, sondern die Strafen unterschiedslos und allgemein gegenüber allen Verweigerern/Deserteuren verhängt werden (so auch VG Augsburg, Urteil vom 11. August 2016, 1 K 16.30744, Rn. 27; VG Regensburg, Urteil vom 27.Oktober 2016, a.a.O., Rn. 33, und neuere Rechtsprechung VG Würzburg, Urt. vom 22. Mai 2017, W 3 k 16.31747, VG Gelsenkirchen, Urt. v. 17. Mai 2017, 1aK 1931/16.A. diese Rechtsprechung bejaht dagegen die Anerkennung subsidiären Schutzes bei einer Gesamtschau der Umstände, ausführlich VG Gelsenkirchen, Rn. 25 ff) Die ausufernden Sanktionsmaßnahmen, die menschenrechtswidrige Übergriffe generell und nicht nur gegenüber Andersdenkenden mitumfassen, dienen der Erzeugung eines allgemeinen Klimas der Angst zur Aufrechterhaltung einer völkerrechtswidrigen Kontrolle. Sie stellen sich als typische Begleiterscheinungen einer totalitären Herrschaftsmacht dar und rechtfertigen daher die Anerkennung subsidiären Schutzes, den das Bundesamt unter Ziffer 1 des Bescheids vom 25. August 2016 ausgesprochen hat. Wenn eine drohende Sanktionierung von Desertion, Dienstentziehung und/oder illegaler Ausreise durch Maßnahmen bis hin zur Folter sich potentiell auf sämtliche Teile der Bevölkerung erstreckt, bedarf es dagegen weiterer Umstände, um von einem zielgerichteten Vorgehen gegen eine als politisch feindlich erachteten Person oder Mitglied einer Gruppe ausgehen zu können (a.A.: VG Sigmaringen, Urt.v.29. Juni 2017 – A1 K 4946/19; VG Hamburg. Gerichtsbescheid vom 26. Oktober 2016 2016 – 4 A 1646/16 -; VG Aachen, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 7 K 2327/16; VG Hannover, Urteil vom 26. Oktober 2016 - 3 A 5251/16 -, VG Saarland, Urteil vom 22. Januar 2015, 3 K 403/14, VG Schwerin, Urteil vom 8. Juli 2016 - 15 A 190/16, VG Minden, Urteil vom 13. November 2014, 10 K 2815/13.A, alle zit. nach juris). [...]
uch der hier in Deutschland geborenen Klägerin zu 2. droht keine flüchtlingsrelevante Verfolgung. Abgesehen davon, dass sie bereits nicht im wehrdienstfähigen Alter ist, muss sie im Falle der Rückkehr auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Zwangsbeschneidung rechnen. Zwar zählen derartige gegenüber Mädchen und Frauen verübte Genitalverstümmelungen zu flüchtlingsrelevanten Verfolgungen, da das Asylmerkmal soziale Gruppe i.S.d.§ 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 4, 4.Halbsatz AsylG betroffen ist. Danach gilt eine Gruppe als eine bestimmte soziale Gruppe i.S.d.§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, wenn die Verfolgung allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft. Dies ist bei der weiblichen Genitalverstümmelung der Fall. Vorliegend bestehen allerdings keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin zu 2. im Falle ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Genitalverstümmelung bedroht ist. Zwar ist die Verbreitung von weiblicher Genitalverstümmelung (FGM) in Eritrea noch weit verbreitet. Nach der aktuellen Erkenntnislage sind die Zahlen der Betroffenen und auch ihrer Befürworter der weiblichen Genitalverstümmelung jedoch rückläufig. Seit dem 20. März 2007 ist diese verboten. Nach UNICEF-Angaben von 2010 sind 83 % aller Mädchen und Frauen von 15 - 49; aber nur 33 % der Mädchen von 0 -14 Jahren und nur 5 % der unter 5-jährigen Mädchen beschnitten (vgl. terres de femmes, Menschenrechte für die Frauen e.V. Stand September 2016), abrufbar unter www.frauenrechte.de und Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 25. Februar 2018, Stand November 2017, S. 14) Haben sich 1995 noch 57 % der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren für eine FGM ausgesprochen, waren es 2002 noch 49 % und heute nur noch 12 %. 82 % der Mädchen (15-49) und 85 % der Jungen und Männer sind der Meinung FGM solle gestoppt werden. (vgl. terre des femmes a.a.O., S. 2). Vor diesem Hintergrund kann nicht mehr ohne weiteres von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer der Klägerin zu 2. drohenden Genitalverstümmelung ausgegangen werden, zumal ihre Mutter, die Klägerin zu 1, eine - wie aus der Befragung in der mündlichen Verhandlung hervorgeht - entschiedene Gegnerin eines solchen weitreichenden Eingriffs ist. Dass sie einer anders denkenden Umgebung, insbesondere in familiärer Hinsicht, ausgesetzt wäre und sie sich anderenfalls trotz ihrer ablehnenden Haltung dieser gegenüber nicht durchzusetzen vermögen würde, hat die sehr selbstbewusste und kämpferisch wirkende Klägerin zu 1. nicht zur Überzeugung des Gerichts dargetan, da ihre Äußerungen über bloße vage Befürchtungen nicht hinausgingen. [...]