OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 11.07.2018 - 13 LB 50/17 - asyl.net: M26672
https://www.asyl.net/rsdb/M26672
Leitsatz:

1. Die Voraussetzung des § 6 Abs. 5 Satz 3, 1. Alt. FreizügG/EU, die Verurteilung zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren, ist auch dann erfüllt, wenn sich die Höhe der Sanktion erst durch einen nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss nach § 460 i.V.m. § 462 Abs. 1 Satz 1 StPO ergibt.

2. Allein das Überschreiten der Unschädlichkeitsschwelle des § 6 Abs. 5 Satz 3, 1. Alt. FreizügG/EU reicht zur Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nicht aus. Erforderlich ist immer eine umfassende Prüfung, ob die konkrete Tat Anlass gibt, von einer zwingenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit auszugehen.

3. Zu den Voraussetzungen zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Unionsbürger, Straftat, Verlust des Freizügigkeitsrechts,
Normen: FreizügG/EU § 6 Abs. 5 S. 3,
Auszüge:

[...]

42 Die Feststellung nach § 6 Abs. 1, 2 und 3 FreizügG/EU setzt - nach dem (zur damals noch vorgesehenen Ausweisung eines EU-Bürgers ergangenen) Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. August 2004, a.a.O., juris Rn. 24 ff. - erstens - voraus, dass aufgrund des persönlichen Verhaltens des Betroffenen außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (st. Rspr. des EuGH, Urt. v. 27.10.1977- Rs. 30/77 - (Bouchereau),- Slg. 1977, 1999 = NJW 1978, 479, Rn. 33 ff.; Urt. v. 29.4.2004 - C-482/01 und C-493/01 -, DVBl. 2004, 876, Rn. 66). Dieser Maßstab verweist - anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizeirecht - nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich ein Grundinteresse der Gesellschaft, das berührt sein muss. Eine strafrechtliche Verurteilung kann eine Ausweisung/Verlustfeststellung nur insoweit rechtfertigen, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (vgl. EuGH, Urt. v. 29.4.2004, a.a.O, Rn. 67 m.w.N.). Die Gefährdung kann sich im Einzelfall auch allein aufgrund des abgeurteilten Verhaltens ergeben (EuGH, Urt. v. 27.10.1977, a.a.O., Rn. 30; BVerwG Urt. v. 27.10.1978 - I C 91.76 -, BVerwGE 57, 61, 65 f., Beschl. v. 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140, 146). Es besteht aber keine dahingehende Regel, dass bei schwerwiegenden Taten das abgeurteilte Verhalten die hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen begründet (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.6.1998 - 1 C 27.95 -, InfAuslR 1999, 59). Eine vom Einzelfall losgelöste oder auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützte Begründung der Ausweisung/Verlustfeststellung ist in jedem Fall unzulässig (vgl. EuGH, Urt. v. 26.2.1975 - Rs. 67/74 - (Bonsignore), Slg. 1975, 297).

43 Ob die Begehung einer Straftat nach deren Art und Schwere (vgl. auch EuGH, Urt. v. 29.4.2004, a.a.O., Rn. 99) ein persönliches Verhalten erkennen lässt, dass ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, kann ebenfalls nur aufgrund der Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Erforderlich und ausschlaggebend ist die unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Bewertung des persönlichen Verhaltens des Unionsbürgers und die insoweit anzustellende aktuelle Gefährdungsprognose (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.8.2004, a.a.O., Rn. 25, vgl. auch: BayVGH, Beschl. v. 22.10.2012 - 10 ZB 12.1655 -, juris Rn. 4 f.). Das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung besagt nicht, dass eine "gegenwärtige Gefahr" im Sinne des deutschen Polizeirechts vorliegen müsste, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Es verlangt vielmehr eine hinreichende - unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende - Wahrscheinlichkeit, dass der Ausländer künftig die öffentliche Ordnung im europarechtlichen Sinne beeinträchtigen wird (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 27.10.1978, a.a.O., S. 66). Ob eine Wiederholungsgefahr in diesem Sinne besteht, kann nicht - gleichsam automatisch - bereits aus der Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung geschlossen, sondern nur aufgrund einer individuellen Würdigung der Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Zu prüfen ist u.a., ob eine etwaige Verbüßung der Strafe erwarten lässt, dass der Unionsbürger künftig keine die öffentliche Ordnung gefährdenden Straftaten mehr begehen wird. Fehlt es bereits an einer gegenwärtigen und schwerwiegenden Gefahr für wichtige Rechtsgüter, darf eine Verlustfeststellung nicht verfügt werden und aufrechterhalten bleiben (vgl. wiederum: BVerwG, Urt. v. 3.8.2004, a.a.O., Rn. 26, m.w.N.).

44 Darüber hinaus hängt die Rechtmäßigkeit der Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 FreizügE/EU - zweitens - davon ab, ob das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit das private Interesse des Unionsbürgers an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.8.2004, a.a.O., Rn. 27). Diese Abwägung hat die Ausländerbehörde im Rahmen der in jedem Falle gebotenen Ermessensentscheidung vorzunehmen. Bei der Prüfung, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen jeweils liegt, ist stets die besondere Rechtsstellung der vom Gemeinschaftsrecht privilegierten Personen und die besondere Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit zu berücksichtigen (vgl. EuGH, Urt. v. 29.4.2004, a.a.O., Rn. 96). Wie bei jeder Ermessensentscheidung ist bei der Interessenabwägung außerdem den Grundrechten Rechnung zu tragen (vgl. EuGH, Urt. v. 29.4.2004, a.a.O., Rn. 97). Die dem Gemeinschaftsrecht immanenten Grundrechte wirken auf die Schranken ein, denen die gemeinschaftsrechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit unterliegt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.5.1990 - 1 B 64.90 -, juris Rn. 5). Neben den verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechten haben insoweit die in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankerten Grundrechte, die nach Art. 6 Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union von dieser zu achten sind, eine besondere Bedeutung. Namentlich der nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK garantierte Schutz des Familienlebens ist zugunsten des Unionsbürgers zu beachten. Bei der Beurteilung, ob der beabsichtigte Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel, dem Schutz der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, steht, sind bei der Verlustfeststellung wie bei der Ausweisung eines Straftäters insbesondere Art und Schwere der begangenen Straftat, die Dauer seines Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat, die Zeit, die seit der Begehung der Straftat verstrichen ist, die familiäre Situation des Betroffenen und das Ausmaß der Schwierigkeiten zu berücksichtigen, denen er, sein Ehegatte und - gegebenenfalls - seine Kinder im Herkunftsland begegnen können (vgl. EuGH, Urt. v. 29.4.2004, a.a.O., Rn. 98 f. unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 2.8.2001 in der Rechtssache Boultif, InfAuslR 2001, 476; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 1.3.2004 - 2 BvR 1570/03 -, EuGRZ 2004, 317; BVerwG, Beschl. v. 22.2.1993 - 1 B 7.93 -, Buchholz 402.26 § 12 AufenthG/EWG Nr. 9; EGMR, Urt. v. 31.10.2002 - 37295/97 - (Yildiz), InfAuslR 2003, 126).

45 Gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU darf eine Feststellung nach Absatz 1 nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden. Bei Unionsbürgern, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, darf gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe vom mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherheitsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht (§ 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU).

46 Hier kann sich der Kläger auf den erhöhten Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen, da er seinen rechtmäßigen Aufenthalt bereits seit 1996 in der Bundesrepublik Deutschland hat. Die danach erhöhten Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung sind nicht erfüllt.

47 1. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU liegen nicht vor.

48 a. Allerdings ist gegen den Kläger durch Gesamtstrafenbeschluss des Landgerichts L. vom 9. Juli 2013 nachträglich eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verhängt worden. Das reicht für die Überschreitung der Schwelle des § 6 Abs. 5 Satz 3, 1. Alt. FreizügG/EU grundsätzlich aus. Wie bereits das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat, ist es unerheblich, dass die Gesamtstrafenbildung durch Beschluss und nicht durch Urteil erfolgt ist (vgl. zur Ausweisung: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 54 AufenthG Rn. 8). Sinn und Zweck der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe ist es, die durch eine getrennte Aburteilung entstandenen Vor- und Nachteile auszugleichen, so dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, auch nach getrennter Aburteilung noch nachträglich so zu behandeln sind, dass der Täter im Ergebnis weder besser noch schlechter gestellt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 7.7.2010 - 1 StR 212/10 -, juris Rn. 25). Der Gesetzgeber hat in § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU die Formulierung "wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten" gewählt und somit bewusst die Fälle, in denen eine Gesamtstrafenbildung erfolgt, einbezogen (vgl. zu diesem Wortlautargument im Rahmen der Auslegung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990: BVerwG, Urt. v. 31.8.2004 - 1 C 25.03 -, juris Rn. 11). Wurde die Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 StGB unterlassen, weil etwa die vorherige Verurteilung unbekannt oder noch nicht rechtskräftig war, Vorakten fehlten, die Strafgewalt nicht ausreichte oder der letzte Strafrichter die Regelung des § 55 StGB verkannt hat (vgl. Dölling/Duttge /Rössner, Gesamtes Strafrecht, 2. Aufl. 2011, § 460 StPO, Rn. 3), besteht die Verpflichtung zur nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach § 460 StPO, bei der der Verurteilte so gestellt werden soll, als habe bereits der letzte Tatrichter die Gesamtstrafe gebildet (vgl. Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl. 2013, § 460 Rn. 1). Diese Entscheidung ergeht nach § 462 Abs. 1 Satz 1 StPO durch Beschluss. Nach Sinn und Zweck des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU kann die zufällige Form der Entscheidung aber keine unterschiedlichen Rechtsfolgen nach sich ziehen. Entscheidend ist zunächst die Höhe der Freiheitsstrafe und nicht die Frage, ob diese Sanktion im Urteils- oder Beschlusswege zustande gekommen ist. Allerdings dürfen Strafen aus verschiedenen Urteilen, bei denen es (i.d.R. wegen des Fehlens der Voraussetzungen des § 55 StGB) nicht zu einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gekommen ist, nicht schlichtweg zusammengerechnet werden (vgl. Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 6 FreizügG/EU Rn. 41), da es sich in diesen Fällen nicht mehr um eine Strafe handelt.

49 b. Allein das Überschreiten der Unschädlichkeitsschwelle des § 6 Abs. 5 Satz 3, 1. Alt. FreizügG/EU, die Verurteilung zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Taten, reicht jedoch nicht aus. Es ist immer eine umfassende Prüfung erforderlich, ob die konkrete Tat Anlass gibt, von einer zwingenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit auszugehen. Das wird in der Regel nur bei schwersten Straftaten und Vorliegen einer Wiederholungsgefahr der Fall sein (vgl. Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 6 FreizügG/EU Rn. 63).

50 Der Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU, dient der Umsetzung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Unionsbürgerrichtlinie). Er setzt nicht nur das Vorliegen einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit voraus, sondern darüber hinaus, dass die Beeinträchtigung einen besonders hohen Schweregrad aufweist. Eine Ausweisungsmaßnahme/Verlustfeststellung ist hier auf außergewöhnliche Umstände begrenzt (vgl. EuGH, Urt. v. 23.11.2010 - C-145/09 -, juris, Rn. 40 f.). Die Verlustfeststellung muss auf eine individuelle Prüfung des Einzelfalls gestützt werden und kann nur dann mit zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt werden, wenn sie angesichts der außergewöhnlichen Schwere der Bedrohung für den Schutz der Interessen, die mit ihr gewahrt werden sollen, erforderlich ist; Voraussetzung ist weiter, dass dieses Ziel unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer im Aufnahmemitgliedstaat des Unionsbürgers und insbesondere der schweren negativen Folgen, die eine solche Maßnahme für Unionsbürger haben kann, die vollständig in den Aufnahmemitgliedstaat integriert sind, nicht durch weniger strikte Maßnahmen erreicht werden kann. Dabei ist insbesondere der außergewöhnliche Charakter der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit aufgrund des persönlichen Verhaltens der betroffenen Person nach Maßgabe der verwirkten und verhängten Strafen, des Grades der Beteiligung an der kriminellen Aktivität, des Umfangs des Schadens und gegebenenfalls der Rückfallneigung, gegen die Gefahr abzuwägen, die Resozialisierung des Unionsbürgers in dem Aufnahmemitgliedstaat, in den er vollständig integriert ist, zu gefährden (vgl. EuGH, Urt. v. 23.11.2010, a.a.O., Rn. 49 f.). Im Falle einer Verurteilung wegen Straftaten ist Art. 28 Abs. 3 Buchst. a) der Unionsbürgerrichtlinie dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) angeführten (Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität) als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen kann, mit denen eine Verlustfeststellung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist. Zudem setzt eine Verlustfeststellung voraus, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (vgl. EuGH, Urt. v. 22.5.2012 - C-348/09 -, juris Rn. 33 f.). Ob die Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU durch eine Vielzahl kleinerer Straftaten erfüllt werden, die für sich genommen nicht geeignet sind, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft zu begründen, ist dabei ohne Bedeutung (vgl. EUGH, Urt. v. 4.10.2007 - C-349/06 -, juris Rn. 28 ff. (zu Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80); a.A. Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 6 FreizügG/EU, Rn. 16). [...]