1. Eine vorgeburtliche Vaterschaftsanerkennung begründet allein kein Abschiebungshindernis.
2. Eine Wartezeit von zehn Monaten zur Nachholung des Visumsverfahrens ist nicht unzumutbar, auch wenn dies bedeutet, dass der Vater erst einige Zeit nach der Geburt wieder einreisen kann
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
14 [...] Der Umstand, dass der Antragsteller zu 6. die Vaterschaft des ungeborenen Kindes der deutschen Staatsangehörigen Frau Y. anerkannt hat, vermittelt ihm keinen Anspruch darauf, vorläufig im Bundesgebiet geduldet zu werden. Es besteht kein Abschiebungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit gemäß § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Daher können auch die Antragsteller zu 1. und. 2. kein Abschiebungshindernis aufgrund der Personensorge für den minderjährigen Antragsteller zu 6. geltend machen und folglich besteht kein Abschiebungshindernis in Bezug auf die minderjährigen Antragsteller zu 3. bis 5. wegen eines Verbleibes ihrer Eltern im Bundesgebiet.
15 Eine nichteheliche Vaterschaft des Ausländers hinsichtlich des ungeborenen Kindes einer deutschen Staatsangehörigen entfaltet für sich genommen noch keine aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen in Ansehung des Grundrechts nach Art. 6 GG (OVG Saarlouis, Beschluss vom 24.04.2008 – 2 B 199/08 –, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 29. Juni 2010 – 8 ME 159/10 –, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 28. November 2011 – 10 CE 11.2746 –, juris; Haedicke in: HTK AuslR, § 60a AufenthG/ zu Abs. 2 Satz 1 - familiäre Gründe, Stand: 04.06.2017, Rn. 5; a.A. wohl Funke-Kaiser in GK AufenthG, § 60a, Stand: März 2015, Rn. 171 m.W.N., wonach die Ausreise für einen angemessenen Zeitraum vor und nach der Geburt zumindest dem ausländischen Ehegatten unzumutbar sei, wenn keine anderweitigen besonderen Umstände gegen den Aufenthalt sprechen). Die Schutzverpflichtungen aus Art. 6 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG können zunächst dann in Betracht kommen, wenn eine Risikoschwangerschaft und der darauf beruhende Bedarf an Unterstützung der Schwangeren glaubhaft gemacht wird. Sie werden aber auch - bei fehlenden Hinweisen auf eine Risikoschwangerschaft - in Betracht kommen, wenn aus anderen Gründen eine besondere Hilfsbedürftigkeit der schwangeren Mutter gegeben ist. Hiervon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der Ausländer gegenüber den zuständigen Behörden mit Zustimmung der Mutter seine Vaterschaft anerkannt hat und beide bereits in Verhältnissen leben, die die gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes als sicher erwarten lassen. Zudem muss grundsätzlich auch in einer solchen Konstellation die vorübergehende Ausreise des Kindesvaters unzumutbar sein, wovon regelmäßig nur dann ausgegangen werden kann, wenn mit seiner rechtzeitigen Rückkehr zum Geburtstermin nicht gerechnet werden kann (Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 02. Oktober 2009 – 3 B 482/09 –, Rn. 6, juris). [...]
18 Allein die pränatale Anerkennung der Vaterschaft genügt nach Auffassung der Kammer nicht, um schützenswerte Vorwirkungen der Vater-Kind-Beziehung zu begründen, da in diesem Fall die Aufenthaltsbeendigung des werdenden Vaters nicht zwangsläufig mit einer Verletzung der Rechtsposition des ungeborenen Kindes einhergeht. Dieser Einschränkung steht nach Auffassung der Kammer auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht zur aufenthaltsrechtlichen Bedeutung der durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK geschützten Beziehung von Vätern zu ihren (geborenen) Kindern, insbesondere Kleinkindern, entgegen (vgl. hierzu etwa BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 05. Juni 2013 – 2 BvR 586/13 –, juris; Beschlüsse vom 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 –, NVwZ 2006, 682 und vom 8.12.2005 – 2 BvR 1001/04 –, InfAuslR 2006, 122 ff.). Danach besteht die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates zum Schutz der Familie und der Träger des Grundrechts aus Art. 6 GG darin, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren die familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 76, 1 <49 ff.>; 80, 81 <93>). Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, S. 171 <173>; BVerfGK 2, 190 <194>), auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 -, InfAuslR 2000, S. 67 <68>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, S. 682 <683>). Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes haben kann (vgl. BVerfGK 7, 49 <56>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, S. 682 <683>). Grundsätzlich ist es aber mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen (BVerfG Beschl. v. 4.12.2007 – 2 BvR 2341/06, BeckRS 2008, 33618).
19 Unter Anwendung dieser Maßstäbe besteht kein rechtliches Abschiebungshindernis. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Fall die Vorwirkungen von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK streitgegenständlich sind, die mangels tatsächlicher Beziehung zwischen Vater und Kind eine schwächere Rechtsposition darstellen, als die bereits gelebte und verfestigte Beziehung zwischen einem Vater zu seinem geborenen Kind. Auch ist im vorliegenden Fall zu beachten, dass eine Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers zu 6. keine dauerhafte und endgültige Trennung von der Mutter und dem ungeborenen Kind zur Folge hätte. Der Antragsteller muss zwar die Einholung eines nationalen Visums vom Kosovo aus nachholen, im Übrigen sind aber keine offenkundigen Umstände ersichtlich, aufgrund derer dem Antragsteller zu 6. eine Familienzusammenführung nach dem hierfür vorgesehenen Verfahren dauerhaft verwehrt bleibt, so dass auch eine spätere Aufnahme der Lebensgemeinschaft die verfassungsrechtlich garantierten Rechtspositionen der Beteiligten nicht in unzulässiger Weise verkürzt.
20 Die Kammer erachtet unter Berücksichtigung der erörterten Gesamtumstände auch eine vorübergehende Trennung vor dem Hintergrund der derzeitigen Wartezeiten bei der Deutschen Botschaft Pristina für zumutbar. Für die Terminsvereinbarung zur Beantragung von Visa zur Familienzusammenführung ist derzeit eine Wartezeit von 10 Monaten möglich. Es wird nicht verkannt, dass hierdurch eine zeitlich nicht unerhebliche Trennung – auch nach der Geburt – entsteht, zumal die Antragsteller als kosovarische Staatsangehörige keine "Anhang II-Staater" sind und nicht unter die Privilegierung des Art. 1 Abs. 2 EG-VisaVO i.V.m. Art. 20 SDÜ und Art. 6 SGK fallen. Dennoch ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass der Entbindungstermin voraussichtlich erst im November sein wird, so dass bei einer umgehenden Beantragung der Visa bzw. eines Termins ca. vier Monate der Wartezeit in den Zeitraum vor der Geburt fallen würden. Auch ist die voraussichtliche Trennungszeit vor dem Hintergrund der bisherigen zeitlichen Abläufe zu betrachten. [...]