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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 03.07.2018 - VIII ZR 229/17 - asyl.net: M26701
https://www.asyl.net/rsdb/M26701
Leitsatz:

1. Eine Prozesspartei, die ihren Wohnsitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat hat, kann ihren Antrag auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe auch bei dem mit der Sache befassten deutschen Prozessgericht stellen.

2. Sie ist nicht verpflichtet, dem deutschen Gericht auf eigene Kosten Übersetzungen der von ihr eingereichten fremdsprachigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorzulegen.

(Leitsätze der Redaktion, im Anschluss an EuGH, Urteil vom 26. Juli 2017 - C-670/15, a.a.O. Rn 39 ff. - Šalplachta)

Schlagwörter: Prozesskostenhilfe, grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe, Übersetzung, Kosten, Übersetzungskosten, Unionsrecht,
Normen: ZPO § 114 Abs. 1 S. 2, ZPO § 1078, RL 2003/8/EG Art. 3, RL 2003/8/EG Art. 7, RL 2003/8/EG Art. 8, RL 2003/8/EG Art. 12
Auszüge:

[...]

20 2. Zu Unrecht ist das Berufungsgericht aber davon ausgegangen, dass eine Partei, die - wie hier der Kläger - ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union hat und ihren Antrag auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe unmittelbar bei dem deutschen Prozessgericht stellt, verpflichtet ist, auf eigene Kosten Übersetzungen der von ihr eingereichten fremdsprachigen Anlagen ihres Prozesskostenhilfeantrags vorzulegen. Zwar sieht § 1078 Abs. 1 Satz 2 ZPO vor, dass eingehende Anträge auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe in deutscher Sprache ausgefüllt und die Anlagen von einer Übersetzung in die deutsche Sprache begleitet sein müssen. Diese Vorschrift ist aber richtlinienkonform anhand der vorgenannten Richtlinie dahingehend auszulegen, dass Anträge auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe auch unmittelbar bei der Empfangsbehörde des Mitgliedstaats des Gerichtsstands (hier: dem deutschen Prozessgericht) gestellt werden können und die antragstellende Partei in einem solchen Fall nicht verpflichtet ist, dem Gericht auf eigene Kosten Übersetzungen der von ihr eingereichten fremdsprachigen Prozesskostenhilfeunterlagen, namentlich der Anlagen des Prozesskostenhilfeantrags, vorzulegen.

21 Ziel der Richtlinie ist gemäß deren Art. 1 Abs. 1 die Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen. Die Richtlinie zielt daher, wie ihren Erwägungsgründen 5 und 6 zu entnehmen ist, darauf ab, im Einklang mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union die Anwendung der Prozesskostenhilfe in Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug für Personen zu fördern, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten. Dabei dürfen unzureichende Mittel einer Prozesspartei den effektiven Zugang zum Recht ebenso wenig behindern wie Schwierigkeiten aufgrund des grenzüberschreitenden Bezugs einer Streitsache. Dementsprechend wird in Erwägungsgrund 18 der Richtlinie ausgeführt, dass die Komplexität und die Unterschiede der Gerichtssysteme der Mitgliedstaaten sowie die durch den grenzüberschreitenden Charakter von Streitsachen bedingten Kosten den Zugang zum Recht nicht behindern dürfen und die Prozesskostenhilfe daher die unmittelbar mit dem grenzüberschreitenden Charakter einer Streitsache verbundenen Kosten decken sollte. Da die Prozesskostenhilfe - mit Ausnahme der vorprozessualen Rechtsberatung - vom Mitgliedstaat des Gerichtsstands (oder vom Vollstreckungsmitgliedstaat) gewährt wird, wenn die Person, die Prozesskostenhilfe beantragt, ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Mitgliedstaat des Gerichtsstands hat, muss gemäß Erwägungsgrund 23 der Richtlinie dieser Mitgliedstaat sein eigenes Recht unter Einhaltung der in dieser Richtlinie festgeschriebenen Grundsätze anwenden (vgl. hierzu auch Art. 3, 5 und 6 der Richtlinie). [...]

25 Gemäß Art. 13 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie können Anträge auf (grenzüberschreitende) Prozesskostenhilfe entweder bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem der Antragsteller seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Übermittlungsbehörde), oder bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats des Gerichtsstands oder des Vollstreckungsmitgliedstaats (Empfangsbehörde) eingereicht werden. Dabei sind nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie Anträge auf Prozesskostenhilfe auszufüllen und die beigefügten Anlagen in die Amtssprache des Mitgliedsstaats der zuständigen Empfangsbehörde zu übersetzen, die zugleich einer der Amtssprachen der Europäischen Gemeinschaft entspricht. Die zuständige Übermittlungsbehörde unterstützt hierbei gemäß Art. 13 Abs. 4 der Richtlinie den Antragsteller unter anderem bei der Beschaffung der erforderlichen Übersetzung der Anlagen seines Prozesskostenhilfeantrags und leitet sodann der zuständigen Empfangsbehörde in dem anderen Mitgliedstaat den Antrag zu.

26 Die Prozesskostenhilfe wird gemäß Art. 12 der Richtlinie unbeschadet des Art. 8 der Richtlinie von der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats des Gerichtsstands gewährt oder verweigert. Nach Art. 8 der Richtlinie gewährt der Mitgliedstaat, in dem die Person, die Prozesskostenhilfe beantragt hat, ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, die erforderliche Prozesskostenhilfe gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie zur Deckung unter anderem der Kosten für die Übersetzung des Antrags und der erforderlichen Anlagen, wenn der Antrag auf Prozesskostenhilfe bei den Behörden dieses Mitgliedstaats eingereicht wird (Art. 8 Buchst. b der Richtlinie). [...]