OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 24.09.2018 - 8 ME 63/18 - asyl.net: M26711
https://www.asyl.net/rsdb/M26711
Leitsatz:

[Anforderungen an die Aufforderung zur Passbeschaffung:]

Eine Passverfügung, die die Beibringung des Nachweises über die Passbeantragung fordert, kann in geeigneten Fällen dahin auszulegen sein, dass von dem Betroffenen verlangt wird, die offensichtlich erforderlichen Schritte zu unternehmen, um in den Besitz eines solchen Nachweises zu kommen.

In Einzelfällen kann eine Passverfügung unvollstreckbar sein, wenn sich die zu vollstreckende Handlungs­pflicht, einen Nachweis über die Passbeantragung zu erbringen, nicht durch Angabe der dazu erforderlichen Schritte konkretisieren lässt.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Passverfügung, Zwangsmittel, Zwangsgeld, Vollstreckbarkeit, Suspensiveffekt,
Normen: VwVG § 11, VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

[...]

31 Rechtsgrundlage der Zwangsgeldfestsetzung ist § 70 Abs. 1 NVwVG iVm § 64 Abs. 1, § 65 Abs. 1 Nr. 2, § 67 Nds. SOG. Die nach diesen Vorschriften erfolgende Vollstreckung einer Handlungspflicht setzt voraus, dass die zu erzwingende Handlung nur vom Willen des Pflichtigen abhängt; denn anderenfalls wäre ein Versuch, auf seinen Willen einzuwirken, sinnlos. Ist der Pflichtige zur Erfüllung der Handlungspflicht rechtlich oder tatsächlich auf die Mitwirkung eines Dritten angewiesen, so kann die Vollstreckung möglich sein, wenn der Pflichtige gegenüber dem Dritten weisungsbefugt ist oder dieser durch eigenständigen Verwaltungsakt zur Duldung oder Mitwirkung verpflichtet worden ist (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 2.2.2015 - 4 LA 249/13 -, NVwZ-RR 2015, 857, juris Rn. 15; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 20.9.2005 - 10 S 971/05 -, DAR 2006, 168, juris Rn. 25; App/Wettlaufer, Praxishandbuch Verwaltungsvollstreckungsrecht, 5. Aufl. 2011, § 30 Rn. 8; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 14. Aufl. 2008, § 13 Rn. 33). Dass die Vornahme der Handlung allein vom Willen des Pflichtigen abhängt, ist keine Voraussetzung der Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes, sondern der Verwaltungsvollstreckung. Das bedeutet zugleich, dass die Bestandskraft des Grundverwaltungsakts von der Prüfung dieses Erfordernisses im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Festsetzung eines Zwangsmittels nicht entbindet.

32 Die gegenüber der Antragstellerin zu vollstreckende Handlungspflicht ist von fremder Mitwirkung abhängig, die weder von ihr noch von dem Antragsgegner herbeigeführt werden kann. Mit der Beschwerde wird gerügt, der Antragstellerin sei es wegen der Weigerung des serbischen Generalkonsulats nicht möglich, einen serbischen Heimatpass zu beantragen. Damit wird letztlich geltend gemacht, die durch den Grundverwaltungsakt auferlegte Pflicht hänge nicht nur vom Willen der Antragstellerin ab.

33 Die zu vollstreckende Handlungspflicht ergibt sich aus dem Bescheid vom 8. April 2013. Danach hat die Antragstellerin einen gültigen serbischen Heimatpass oder einen Nachweis über die zwischenzeitlich erfolgte Beantragung vorzulegen. Angesichts der erkennbaren Verwaltungspraxis des serbischen Generalkonsulats wird ein Antrag auf Passerteilung von dieser Behörde erst bei Vollständigkeit der Unterlagen entgegengenommen, so dass ein Nachweis über die Antragstellung ohne deren Mitwirkung nicht erbracht werden kann.

34 Nach dem in der Behördenakte befindlichen, undatierten Merkblatt ist "für die Beantragung" eines neuen Reisepasses die Vorlage der dort benannten Unterlagen erforderlich. Am 28. Mai 2014 hat das Generalkonsulat bescheinigt, dass ein Antrag auf Beschaffung von Urkunden gestellt wurde. In Bescheinigungen vom 7. April 2015 und 2. März 2016 hieß es, der Antrag auf Anmeldung der Eheschließung habe nicht gestellt werden können, weil die erforderlichen Urkunden nicht vorgelegen hätten. Auf den Formularen besteht jeweils auch die Möglichkeit, das Feld "Beantragung des Reisepasses" anzukreuzen, wobei des weiteren entweder "Der entsprechende Antrag wurde heute gestellt." oder "Der entsprechende Antrag konnte heute nicht gestellt werden, weil" mit den Auswahlmöglichkeiten "die erforderlichen Urkunden nicht vorlagen.", "die/der Genannte in R. Serbien nicht registriert ist." und "die/der Genannte kein Staatsangehörige/r von R. Serbien ist." angekreuzt werden können. Für das Gericht ergibt sich daraus mit überwiegender Wahrscheinlichkeit, dass die Bescheinigung, der Antrag auf Erteilung eines Reisepasses sei gestellt worden, von dem Generalkonsulat nur zu erlangen ist, wenn die erforderlichen Unterlagen vorgelegt werden, wobei das Generalkonsulat bestimmt, welche Unterlagen es als erforderlich ansieht.

35 Allerdings dürfte es möglich sein, eine Passverfügung, die die Beibringung des Nachweises über die Passbeantragung fordert, in geeigneten Fällen dahin auszulegen, dass von dem Betroffenen verlangt wird, die offensichtlich erforderlichen Schritte zu unternehmen, um in den Besitz eines solchen Nachweises zu kommen. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn aufgrund eines aktuellen Merkblattes der Vertretung des Heimatlandes bekannt ist, welche Unterlagen für eine Antragstellung benötigt werden, und der Fall nicht durch Besonderheiten gekennzeichnet ist.

36 So verhält es sich im Fall der Antragstellerin hingegen nicht. Aufgrund des Merkblattes war vielmehr von vornherein erkennbar, dass die Vorlage von Staatsangehörigkeitsnachweis, Geburtsurkunde und Lichtbilddokument nicht zur Entgegennahme des Passantrags führen würde. Denn in dem Merkblatt wurde mitgeteilt, dass Personen, die eine Ehe bei einer ausländischen Behörde geschlossen haben, welche noch nicht in das Heiratsregister der Republik Serbien eingetragen wurde, keinen Antrag auf Ausstellung des neuen Reisepasses stellen können. Die Eheschließung der Antragstellerin in Dänemark war bekannt. Welche Verfahrensschritte und Unterlagen von den serbischen Behörden in einem solchen Fall gefordert werden, ist hingegen offen.

37 In einem durch derartige Besonderheiten gekennzeichneten Fall fehlt es an der Vollstreckbarkeit der Grundverfügung, wenn die zu vollstreckende Handlungspflicht, einen Nachweis über die Passbeantragung zu erbringen, sich nicht durch Angabe der dazu erforderlichen Schritte konkretisieren lässt. Die Behörde kann es nicht dabei belassen, die nicht allein vom Willen der pflichtigen Person abhängige Erbringung des Nachweises zu fordern und es dieser zu überlassen, die Anwendung des Zwangsmittels dadurch abzuwenden, dass sie den Nachweis führt, welche Voraussetzungen von Seiten der Vertretung des Heimatstaates aufgestellt werden und dass sie diese erfüllt habe. Vielmehr bleibt der Ausländerbehörde hier, will sie eine vollstreckungsfähige Passverfügung erlassen, nichts anderes übrig, als in der Passverfügung die Beschaffung konkreter Dokumente und deren Vorlage bei dem Generalkonsulat (sowie ggf. weitere notwendige Verfahrensschritte) anzuordnen. Welche das im Einzelfall sind, muss sie im Wege der Amtsermittlung unter Heranziehung des Ausländers feststellen. Dieser ist nach § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verpflichtet, der Ausländerbehörde vollständig anzugeben, welche Unterlagen und Verfahrensschritte die konsularische Behörde ihm gegenüber als erforderlich bezeichnet hat.

38 Dagegen widerspräche es dem Charakter des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens, wollte man es in dem vorliegenden, durch besondere Dokumentenforderungen des Generalkonsulats gekennzeichneten Verfahren ausreichen lassen, dass die zu vollstreckende Handlungspflicht allgemein in der Passbeschaffung besteht. Denn im Vollstreckungsverfahren wird grundsätzlich nicht geprüft, ob die Nichtbefolgung der Handlungspflicht verschuldet ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.1.2003 - 1 C 5.02 -, BVerwGE 117, 332, juris Rn. 19; Niedersächsisches OVG, Urt. v. 23.2.2017 - 11 LB 94/16 -, NVwZ-RR 2017, 479 , juris Rn. 42). Allein eine Unmöglichkeit der Befolgung kann der zwangsweisen Durchsetzung entgegenstehen (vgl. Sadler, VwVG. VwZG, 9. Aufl 2014, § 15 Rn. 74). Die Fassung des vorliegend zu vollstreckenden Verwaltungsakts hat aber zur Folge, dass die Beteiligten vorliegend darum streiten, ob die Antragstellerin es zu verantworten hat, dass ihr bislang kein Pass ausgestellt worden ist.

39 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Zwangsgeld keinen Strafcharakter hat, so dass entgegen dem Prüfungsansatz des Verwaltungsgerichts nicht nach den Gründen zu fragen ist, aus denen seit der Aufforderung zur Passbeschaffung oder der letzten Zwangsgeldfestsetzung keine Passbeschaffung erfolgt ist, sondern ausschließlich, ob die Erfüllung der Handlungspflicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.3.2006 - 1 C 11.05 -, BVerwGE 125, 110, juris Rn. 8 f.) möglich ist. Das zögerliche und ausweichende Verhalten, das die Antragstellerin bislang in Bezug auf die Erfüllung ihrer Passpflicht auch nach Überzeugung des Gerichts an den Tag gelegt hat, genügt für die Anwendung von Verwaltungszwang daher nicht. [...]