LSG Hessen

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Zitieren als:
LSG Hessen, Urteil vom 24.08.2018 - L 5 EG 15/15 - asyl.net: M26736
https://www.asyl.net/rsdb/M26736
Leitsatz:

1. Anspruch auf Erziehungsgeld haben nicht freizügigkeitsberechtigte Drittstaatsangehörige nur dann, wenn ihnen eine Erwerbstätigkeit erlaubt ist. Nicht ausreichend ist eine Nebenbestimmung, nach der eine Erwerbstätigkeit nur mit Erlaubnis der Ausländerbehörde möglich ist (unter Verweis auf Teilurteil des BSG vom 30. September 2010, B 10 EG 9/09 R).

2. Ein Anspruch auf Erziehungsgeld kann auch durch die Erlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit begründet werden.

3. Der Anspruch auf Erziehungsgeld wird nur durch den tatsächlichen Besitz eines solchen Aufenthaltstitels begründet; der bloße Anspruch darauf reicht nicht aus.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Drittstaatsangehörige, Aufenthaltserlaubnis, Beschäftigungserlaubnis, Erziehungsgeld, selbständige Erwerbstätigkeit, Arbeitsgenehmigung, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen,
Normen: BErzGG § 1 Abs. 6, AufenthG § 25 Abs. 5, AufenthG § 4 Abs. 2 AufenthG,
Auszüge:

[...]

Davon ausgehend bedarf es weiterhin der Erfüllung der Voraussetzung einer Aufenthaltserlaubnis, die auch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat. Nicht ausreichend ist insoweit eine Nebenbestimmung, mit der eine Erwerbstätigkeit nur mit Erlaubnis der Ausländerbehörde gestattet ist, weil hierdurch ausdrücklich eine gesonderte Zustimmungsentscheidung vorbehalten wird, an der verwaltungsintern ggf. auch die Bundesagentur mitzuwirken hat (BSG, Teilurteil vom 30. September 2010, B 10 EG 9/09 R). Erforderlich ist vielmehr eine Nebenbestimmung zur Aufenthaltserlaubnis, mit der ausdrücklich die Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit geregelt wird. [...]

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass weder die Erziehungsgeldbehörden noch die Gerichte die von den Ausländerbehörden getroffenen Entscheidungen materiell-rechtlich zu überprüfen haben (vgl. Tillmanns/Mutschler, Praxiskommentar zum Mutterschutzgesetz und Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, 2. Aufl., § 1 BEEG Rdnr. 143). Vielmehr kommt es, wie dies bereits dem Wortlaut von § 1 Abs. 6 Nr. 2 1. Halbsatz BErzGG 2006 entnommen werden kann, auf die tatsächliche Innehabung (den Besitz) des Aufenthaltstitels an, der zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt, und der bloße Anspruch hierauf reicht nicht aus (ständige Rechtsprechung des BSG, so z. B. für die identische Vorschrift des § 1 Abs. 7 BEEG: Urteil vom 10. Juli 2014, B 10 EG 5/14 R m.w.N.; ebenso Roos/Bieresborn a.a.O. Rdnr. 50). Dementsprechend ist dem Beklagten nicht zu folgen, der zwar ebenfalls auf den tatsächlichen Besitz des Aufenthaltstitels abstellt, hiervon jedoch in Ansehung der erlaubten selbständigen Erwerbstätigkeit wiederum nicht ausgeht, sondern stattdessen die Rechtsgrundlage für die von der Ausländerbehörde getroffene Nebenbestimmung infrage stellt. Eine derart im Ergebnis widersprüchliche Prüfung ist weder mit dem Gesetzeswortlaut noch der genannten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vereinbar. Dementsprechend kommt es auch nicht darauf an, ob die Berechtigung zur selbständigen Erwerbstätigkeit grundsätzlich eine Aufenthaltserlaubnis nach § 21 AufenthG voraussetzt. Vielmehr sind die Gründe, die hier die Ausländerbehörde dazu bewogen haben, einerseits eine Beschäftigung (unselbständige Erwerbstätigkeit) von der Erlaubnis der Ausländerbehörde abhängig zu machen, andererseits eine selbständige Erwerbstätigkeit ohne Einschränkung zu erlauben, gänzlich unerheblich. Ebenso wenig kann es darauf ankommen, wie aber der Beklagte meint, ob die Klägerin tatsächlich einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist bzw. beabsichtigt hat nachzugehen. Nach allem ist für die Prüfung des Anspruches von der tatsächlich ausgestellten Aufenthaltserlaubnis mit der Nebenbestimmung "Selbständige Erwerbstätigkeit erlaubt" auszugehen.

Diese Nebenbestimmung erfüllt die Voraussetzung des § 1 Abs. 6 Nr. 2 1. Halbsatz BErzGG 2006, wonach es auf den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ankommt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat. Hätte der Gesetzgeber hierbei lediglich eine unselbständige Erwerbstätigkeit (Beschäftigung, vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV) als Voraussetzung regeln wollen, wäre dies im Wortlaut entsprechend zum Ausdruck gekommen. Der stattdessen gewählte Begriff "Erwerbstätigkeit" umfasst dagegen sowohl eine nichtselbständige Arbeit als auch eine selbständige Erwerbstätigkeit. Hiermit stehen die Gesetzesmaterialien im Einklang (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss, Bundestags-Drucksache - BT-Drucks. - 16/1368, Seite 8 f.). [...]