OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23.10.2018 - 7 A 10866/18 - asyl.net: M26739
https://www.asyl.net/rsdb/M26739
Leitsatz:

Die Ausweisung eines Sexualstraftäters hat generalpräventive Wirkung, wenn sie Ausländer, die aus einem nicht der Gleichberechtigung von Mann und Frau verpflichteten Kulturkreis stammen, abschrecken, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu begehen.

Es ist unter generalpräventiven Gesichtspunkten von besonderer Bedeutung, wenn die Sexualstraftat Ausdruck einer durch ein frauenverachtendes Weltbild geprägten Einstellung ist. Die Ausweisung verdeutlicht dann den Willen des deutschen Staates, solche Straftaten mit allen erforderlichen Maßnahmen zu verhindern.

Die aus spezialpräventiver Sicht zu prüfende Gefahr, dass ein Sexualstraftäter seine Tat wiederholt, ist ernsthaft zu besorgen, solange er seine frauenverachtende Einstellung nicht nachhaltig geändert hat.

Die rechtzeitige Beantragung der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis steht in Bezug auf das Bleibe­interesse dem Besitz der Aufenthaltserlaubnis nicht gleich.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Ausweisung, Generalpräventiver Zweck, Straftat, Sexualdelikt, Ausweisungsinteresse,
Normen: AufenthG § 54 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

13 Unter generalpräventiven Gesichtspunkten von besonderer Bedeutung ist das sich aus dem vorgenannten Strafurteil ergebende Geschehen im Vorfeld der Tat und insbesondere die sich daraus ergebende Einstellung der Täter. Sie kannten das Opfer, das wie sie einen türkischen bzw. kurdischen Migrationshintergrund aufweist. Die 16jährige nahm allerdings westliche Wertvorstellungen an. Sie kleidete und schminkte sich nach westlicher Mode und ging ohne Begleitung aus. Allein dies qualifizierte sie nach dem Welt- und Frauenbild der Täter bereits als zu verachtende "Schlampe, die es mit jedem und gerne auch mit mehreren Männern gleichzeitig treibe". Aus diesem Grund wählten die Täter die Jugendliche als Opfer mit der Absicht aus, mit ihr gleichzeitig Sexualverkehr zu haben.

14 Die dieser Auswahl zu Grunde liegende Schlussfolgerung, junge Frauen, die allein ausgehen und sich nach westlicher Mode kleiden und schminken, seien "leicht zu haben", zeugt von einem archaischen Frauenbild, welches mit dem im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden Verständnis von der Rolle der Geschlechter nicht in Einklang zu bringen ist. Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar, gleich ob es sich um Männer oder Frauen handelt. Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Diese Rechte bilden den Rahmen, den das deutsche Recht für den selbstbewussten und selbstbestimmten Umgang der Geschlechter miteinander vorsieht. Damit ist die Vorstellung, Frauen mit westlich geprägtem Auftreten stünden ohne weiteres für sexuelle Handlungen zur Verfügung, nicht vereinbar. Es ist Aufgabe des Rechts der Gefahrenabwehr – und damit des Ausweisungsrechts nach dem Aufenthaltsgesetz – zu verhindern, dass eine solche, nicht an der Gleichberechtigung von Mann und Frau ausgerichtete Vorstellung Ausländer, die sich nicht an den Wertvorstellungen des Grundgesetzes orientieren, zu Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung verleitet.

15 Vor diesem Hintergrund ist die Ausweisung des Klägers zur Verhinderung schwerer Straftaten erforderlich, indem einer Vielzahl von jungen Männern verdeutlicht wird, dass der deutsche Staat nicht nur Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung bestraft, sondern auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen ergreift. Adressaten sind Männer, die dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen nicht die Bedeutung beimessen, die ihm nach dem Grundrechtsverständnis des Grundgesetzes zukommt. Gerade im früheren Umfeld des Klägers dürften solche junge Männer anzutreffen sein. Nach der Stellungnahme zur Sozial- und Kriminalprognose der JVA D. vom 10. Januar 2017 war der Kläger früher Mitglied einer üblen und sich ins Dissoziale hinein entwickelnden Clique. In deren Verhalten sei auch die Verachtung gegenüber Frauen zum Ausdruck gekommen. Den ausländischen Mitgliedern dieser Gruppe wird durch die Ausweisung des Klägers verdeutlicht, dass der deutsche Staat präventive Maßnahmen zum Schutz der Frauen ergreift. Personen aus diesem Kreis, die eine frauenverachtende Einstellung haben, wird so aufgezeigt, dass Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nicht nur straf- sondern auch aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben. Umgekehrt würde das Anliegen des Staates, das sexuelle Selbstbestimmungsrecht zu schützen, beeinträchtigt, wenn der Kläger trotz der schwer- und langwierigen Folgen seiner Tat für das Opfer weiter in Deutschland bleiben dürfte. Der Umstand, dass er seine Strafe vollständig verbüßt hat, steht dem nicht entgegen. Mit der Freiheitsstrafe wird das begangene Unrecht geahndet, während die Ausweisung der Gefahrenabwehr dient. [...]