OVG Berlin-Brandenburg

Merkliste
Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.11.2018 - 3 S 89.18 - asyl.net: M26743
https://www.asyl.net/rsdb/M26743
Leitsatz:

Zu den Anforderungen an den Ausschluss von der Ausbildungsduldung wegen selbstverschuldeter Abschiebungshindernisse nach § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 2 AufenthG:

1. Gibt die Ausländerbehörde selbst keine klaren Hinweise zur Beschaffung eines Identitätsnachweises bzw. Reisedokuments, so kann sie der die Ausbildungsduldung begehrenden Person bzw. ihrem Vormund nicht vorwerfen, keine ausreichenden Mitwirkungshandlungen vorgenommen zu haben (hier: Nationalpass statt Laissez-Passer).

2. Nach den Verfahrenshinweisen der Ausländerbehörde Berlin (VAB) soll Jugendlichen und Heranwachsenden die Beschäftigung wegen selbstverschuldeter Abschiebungshindernisse nach § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 2 AufenthG nur dann versagt werden, wenn sie nicht mehr minderjährig sind und selbst die Handlung vorgenommen/unterlassen haben, die zum Ausschluss führt; eine Zurechnung des Verhaltens der Eltern erfolgt nicht. Dasselbe muss daher auch für einen gerichtlich bestellten Vormund (hier: Bezirksamt) gelten.

(Leitsätze der Redaktion; Zurückweisung der Beschwerde der Ausländerbehörde gegen ein zur Ausstellung der Ausbildungsduldung verpflichtendes Urteil des Verwaltungsgericht)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Libanon, minderjährig, Vertretenmüssen, Identitätsnachweis. Mitwirkungspflicht, Passbeschaffung, Laissez-Passer, Nationalpass, Vertreter, Vormundschaft, Ausländerbehörde, Zurechnung,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 2, AufenthG 60a Abs. 2 S. 4,
Auszüge:

[...]

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. [...]

2 Mit der Beschwerde macht der Antragsgegner geltend, der Erteilung der Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG stehe (allein) der Ausschlussgrund des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG entgegen. Nach dieser Vorschrift darf einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können. Zu vertreten hat er diese Gründe insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt (§ 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG). Dass der Antragsteller über seine Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht habe, macht der Antragsgegner letztlich selbst nicht geltend, auch wenn er meint, eine solche Täuschung stehe "im Raum", weil er "ohne einen Pass oder sonstige Papiere zum Identitätsnachweis" nach Deutschland eingereist und seine Angaben hierzu, zum Einverständnis seiner Eltern und zu Personaldokumenten nicht nachvollziehbar bzw. widersprüchlich seien. Hierauf komme es, so die Beschwerde, aber nicht an, weil der Antragsteller es aus anderen Gründen zu vertreten habe, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm nicht vollzogen werden könnten. Er verfüge nicht über ein zur Einreise in den Libanon berechtigendes Dokument und habe seine Pflichten nach §§ 3, 48 AufenthG verletzt, indem er sich nicht um ein Laissez-Passer bemüht habe. Diese Pflichtverletzung habe er auch zu vertreten, obwohl er minderjährig und damit nicht verfahrensfähig (§ 80 Abs. 1 AufenthG) sei, denn er müsse sich das Verhalten des zu seinem Vormund bestellten Bezirksamts von Berlin in gleicher Weise zurechnen lassen wie dies für andere gesetzliche Vertreter gelte. Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde bereits deshalb nicht zum Erfolg, weil es sich nicht mit der - selbständig tragenden - Erwägung des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt, auch nach den Verfahrenshinweisen der Ausländerbehörde Berlin (VAB), Ziffer 60a.6.1.2., solle Jugendlichen und Heranwachsenden die Ausübung einer Beschäftigung nur dann gemäß § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG versagt werden, wenn diese verfahrensfähig seien und die falschen Angaben bzw. die Täuschung von ihnen selbst gemacht bzw. begangen worden seien bzw. eine zumutbare und erforderliche Mitwirkungshandlung unterlassen werde. Wenn nach diesen Verfahrenshinweisen bei der Frage der Erlaubnis der Ausübung einer Erwerbstätigkeit eine Zurechnung des Verhaltens der Eltern nicht erfolgt, spricht alles dafür, dass für ein Verhalten des gerichtlich bestellten Vormunds, der zugleich eine Behörde des Landes Berlin ist, nichts anderes gilt. Davon, dass der Antragsteller minderjährig ist, geht auch der Antragsgegner aus.

3 Unabhängig davon legt die Beschwerde nicht dar, dass der Vormund des Antragstellers eine ihm mögliche und zumutbare Mitwirkungshandlung unterlassen hat. Soweit sie geltend macht, die "offenbar auf die Ausstellung eines libanesischen Nationalpasses gerichteten Anträge" vom 7. September und 14. September 2018 (Botschaftsvorsprachen) reichten nicht aus, der Antragsteller wäre vielmehr gehalten gewesen, sich um ein Laissez-Passer zu bemühen, berücksichtigt sie nicht, dass der Antragsgegner selbst den Antragsteller mehrfach, etwa mit Schreiben vom 10. August 2018 oder mit e-mail vom 21. September 2018, auf das Erfordernis der Vorlage eines Passes hingewiesen hat; in einer weiteren e-mail vom 5. Oktober 2018 werden Pass und Rückreisedokument gleichgesetzt, wenn es heißt, der Antragsteller müsse "zuerst einen Pass (Laissez-Passer!, kein DDV) vorlegen", dann könne die Prüfung (der Ausbildungsduldung) erfolgen. Angesichts derartiger Hinweise der Fachbehörde ist es dem als Vormund bestellten Bezirksamt nicht vorzuwerfen, wenn es sich zunächst um die Ausstellung eines Nationalpasses für den Antragsteller bemüht, von dem auch der Antragsgegner, wie die dem Antragsteller am 8. Oktober 2018 ausgestellte Bescheinigung zeigt, annimmt, dass es sich um einen libanesischen Staatsangehörigen handelt. [...]