VG Augsburg

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Zitieren als:
VG Augsburg, Urteil vom 30.10.2018 - Au 6 K 18.50815 - asyl.net: M26750
https://www.asyl.net/rsdb/M26750
Leitsatz:

Keine systemischen Mängel in Slowenien:

1. In Slowenien liegen für Personen, die dort einen Asylantrag gestellt haben, weder systemische Mängel hinsichtlich des Asylverfahrens noch der Aufnahmebedingungen für Asylsuchenden vor.

2. Eine Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen führt nicht zu einem Anspruch auf Selbsteintritt gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO, wenn die Ehe im Herkunftsstaat noch nicht bestand. Den Schutzsuchenden ist es zumutbar, nach Slowenien zurückzukehren und von dort aus ein Visumsverfahren zum Familiennachzug zu betreiben.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Dublinverfahren, systemische Mängel, Slowenien, Aufnahmebedingungen, Asylverfahren, Selbsteintritt, Eheschließung,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, VO 604/2013 Art. 18 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3, AsylG § 34a Abs. 1 S.1, VO 604/2013 Art. 3 Abs. 2, VO 604/2013 Art. 17 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

23 4. Gründe, von einer Überstellung nach Slowenien nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO abzusehen, sind nicht ersichtlich.

24 Diese Vorschrift setzt voraus, dass es sich als unmöglich erweist, einen Kläger an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Kläger in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GrCH mit sich bringen. [...]

25 Dieser Regelung liegt das Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - juris) bzw. der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10, C-493/10 - juris) zugrunde. Danach gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der EU-Grundrechtecharta entspricht. Allerdings ist diese Vermutung widerleglich. [...]

26 Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung ist nach Überzeugung des Gerichts nicht davon auszugehen, dass der Kläger in Slowenien aufgrund systemischer Schwachstellen des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. VG Augsburg, U.v. 20.6.2018 - Au 6 K 18.50565 - juris Rn. 29 ff.; VG Frankfurt, B.v. 23.4.2018 - 6 L 1029/18.F.A - juris Rn. 8 ff.; VG Karlsruhe, B.v. 12.4.2018 - A 1 K 2045/18 - juris Rn. 5; VG München, B.v. 16.10.2017 - M 3 K 17.52638 - juris Rn. 23 ff.; VG Bayreuth, B.v. 15.03.2017 - B 3 S 17.50104 - juris Rn. 32; VG Magdeburg, B.v.19.02.2015 - 9 B 67/15 - juris Rn. 20 ff. m.w.N.; VG Regensburg, B.v. 15.01.2015 - RO 4 K 14.50301 - juris Rn 27 ff.). [...]

27 Systemische Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Slowenien, die einer Abschiebung des Klägers entgegenstehen würden, wurden weder glaubhaft vorgetragen noch sind diese ersichtlich. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Slowenien über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches prinzipiell funktionsfähig ist und insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Auch liegen dem Gericht keine Kenntnisse darüber vor, dass namhafte sachverständige Institutionen, Nicht-Regierungsorganisationen oder insbesondere der UNHCR eine Empfehlung dahingehend ausgesprochen hätten, Asylbewerber nicht nach Slowenien zu überstellen. [...]

29 Nach der Schließung der Westbalkanroute wurden zwar Personen, die nach Slowenien einreisten und keinen Asylantrag stellten, inhaftiert (Amnesty International, Slowenien 2017, www.amnesty.de/jahresbericht/2017/slowenien). Da der Kläger jedoch in Slowenien einen Asylantrag gestellt hat, droht ihm insoweit keine Inhaftierung. In Slowenien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Slowenien 1.12.2016, S. 7). Wurde in Slowenien - wie hier - vor der Ausreise ein Asylverfahren eröffnet, das noch läuft, wird dieses bei Dublin-Rückkehrern fortgesetzt. Dublin-Rückkehrer haben Zugang zu materieller Unterstützung wie Unterkunft, Verpflegung, medizinischer Versorgung und Kleidung (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Slowenien, v. 1.12.2016, S. 7). Fremde werden nicht in ein Land abgeschoben, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politischer Gesinnung bedroht wäre, oder in ein Land, in dem ihnen Folter, unmenschliche und entwürdigende Behandlung oder Bestrafung droht (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Slowenien, v. 1.12.2016, S. 9). Die relevante EU-Gesetzgebung wurde von Slowenien umgesetzt. Asylbewerber werden entweder in einem Asylheim untergebracht oder erhalten finanzielle Unterstützung im Falle einer privaten Unterbringung. In der Unterkunft hat der Asylbewerber das Recht auf Verpflegung, medizinische Notversorgung, kostenlose Rechtsberatung, Bildungsprogramme, humanitäre Hilfe und ein Taschengeld von 18 EUR monatlich. Nach neun Monaten kann eine Beschäftigung ausgeübt werden. Die Unterbringung in Slowenien ermöglicht ein würdiges Leben; die Asylunterkünfte waren am 1. Dezember 2016 unter ihrer Kapazität belegt (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Slowenien, v. 1.12.2016, S. 10). [...]

31 6. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die ein Selbsteintrittsrecht der Beklagten nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO begründen könnten, liegen nicht vor.

32 a) Soweit der Kläger geltend macht, in der Bundesrepublik lebe seine Ehefrau, ist dies im Dublin-System im vorliegenden Fall unerheblich. Da die Ehe im Herkunftsstaat (Türkei) noch nicht bestand, handelt es sich bei seiner Ehefrau nicht um eine Familienangehörige i.S.d. Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO. Bei seiner Ehefrau handelt es sich um eine deutsche Staatsangehörige und damit des Weiteren auch nicht um eine Begünstigte internationalen Schutzes i.S.d. Art. 9 Dublin III-VO oder um eine Asylbewerberin i.S.d. Art. 10 f. Dublin III-VO. Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO ist ebenfalls nicht anwendbar, da der Ehegatte anders als die Verwandten des Asylantragstellers in der Norm nicht genannt wird. Im Übrigen fehlt es auch insoweit an einer familiären Bindung bereits im Herkunftsstaat. Somit liegt zwischen der Eheschließung des Klägers und seinem Asylverfahren kein Sachzusammenhang vor, der eine asylrechtliche Familienzusammenführung geböte. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO setzt demgegenüber außergewöhnliche humanitäre Gründe voraus, da es nicht dazu dienen soll, das Zuständigkeitssystem der Dublin III-VO - insbesondere auch im Hinblick auf die darin enthaltenen Regelungen zu den Voraussetzungen der Familienzusammenführung - auszuhöhlen. Eine Eheschließung in der Bundesrepublik führt daher nicht zu einer Ermessensreduzierung auf null (so auch VG Berlin, B.v. 15.12.2017 - 33 L 1020.17 A - juris Rn. 13). [...]

41 Dem Kläger ist es unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe zumutbar, im Rahmen seines Asylverfahrens nach Slowenien zurückzukehren und von dort aus sein Visumverfahren zum Familiennachzug zu betreiben (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 20.3.2018 - 22 L 79/18.A - juris Rn. 32 ff.). [...]