OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 31.07.2017 - 7 B 11276/17 - asyl.net: M26771
https://www.asyl.net/rsdb/M26771
Leitsatz:

[Keine Ausbildungsduldung für bereits qualifizierte Personen mit langjähriger, einschlägiger Berufserfahrung:]

1. Die Aufnahme einer Berufsausbildung durch einen Ausländer, der eine entsprechende Berufsqualifikation bereits durch langjährige, einschlägige Berufserfahrung erworben hat, ist rechtsmissbräuchlich und deshalb nicht geeignet, dringende persönliche Gründe im Sinne des § 60a Abs 2 S 4 AufenthG [...] zu belegen, die ansonsten bereits durch die Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung in gesetzlich typisierter Weise als vorhanden gelten (Rn.7).

2. Eine qualifizierte Ausbildung im Sinne des § 60a Abs 2 S 4 AufenthG [..] ist darauf gerichtet, die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt notwendigen beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten (berufliche Handlungsfähigkeit) in einem geordneten Ausbildungsgang zu vermitteln und den Erwerb der erforderlichen Berufserfahrungen zu ermöglichen (vgl. § 1 Abs 3 BBiG, § 32 HWO [..] i.V.m. § 1 Abs 3 BBiG). In Abgrenzung dazu handelt es sich um berufliche Fortbildung, wenn es darum geht, die berufliche Handlungsfähigkeit zu erhalten und anzupassen oder zu erweitern (vgl. § 1 Abs 4 BBiG) (Rn.8).

3. Ein nur formales Ausbildungsverhältnis, in dem ein bereits einschlägig berufsqualifizierter Ausländer - gegebenenfalls nach kurzer Einarbeitung - wie eine ausgebildete Fachkraft eingesetzt werden kann, der Privilegierung des § 60a Abs 2 S 4 AufenthG [...] zu unterstellen, würde einen Fehlanreiz schaffen, unter den Bedingungen eines Ausbildungsverhältnisses einschlägig ausgebildete ausländische Fachkräfte zu beschäftigen, die dies aufgrund der Aussicht auf eine Duldung und die Möglichkeit, sodann einen Aufenthaltstitel nach § 18a Abs 1a AufenthG [...] zu erhalten, trotz ihrer bereits vorhandenen Berufsqualifikationen akzeptieren (Rn.12).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Rechtsmissbrauch, Berufsqualifikation, Duldung, Ausbildung, Fortbildung, qualifizierte Berufsausbildung, Berufsausbildung,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4, AufenthG § 18a Abs. 1a, AufenthG 60a Abs. 2 S. 3,
Auszüge:

[...]

7 Hinsichtlich der auf die bereits vorhandene Berufsqualifikation des Antragstellers zu 1. gestützten Ablehnung eines Anordnungsanspruchs bedarf es allerdings keines Rückgriffs auf die im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Erteilung oder Versagung der Beschäftigungserlaubnis. Vielmehr stellt sich die Aufnahme der Berufsausbildung durch den Antragsteller zu 1., der eine entsprechende Berufsqualifikation bereits durch seine langjährige, einschlägige Berufserfahrung erworben hat (zum Erwerb von Berufsqualifikationen durch einschlägige Berufserfahrung vgl. die Begriffsbestimmung in § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Feststellung der Gleichwertigkeit von Berufsqualifikationen – BQFG –), als rechtsmissbräuchlich dar und ist deshalb nicht geeignet, dringende persönliche Gründe zu belegen, die auch im Rahmen des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG den Grund für die Duldung bilden und außerhalb einer rechtsmissbräuchlichen Umgehung indes bereits durch die Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung als tatbestandlich erfüllt gelten. Werden jedoch – wie hier – Normzweck und Gesetzessystematik dadurch umgangen, dass inhaltlich keine Ausbildung erfolgt, sondern einem bereits berufsqualifizierten Ausländer durch eine – inhaltlich nicht erforderliche – Ausbildung zunächst ein Duldungsanspruch und sodann die erleichterte Aussicht auf einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Beschäftigung verschafft werden, greifen die in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Erwägungen nicht, die bei Aufnahme einer qualifizierten Ausbildung – die auch inhaltlich eine Ausbildung darstellt – die Annahme dringender persönlicher Gründe tragen. Der Gesetzgeber hat nämlich gerade keine Duldung für bereits berufsqualifizierte Ausländer vorgesehen, um damit dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sondern hat insoweit an den sonst geltenden Bestimmungen zur Arbeitsimmigration festgehalten und lediglich die qualifizierte Berufsausbildung privilegiert. Mithin fehlt es in Bezug auf den Antragsteller zu 1. trotz dessen formal aufgenommener qualifizierter Berufsausbildung an dringenden persönlichen Gründen als Grundlage für einen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG.

8 Das Beschäftigungsverhältnis des Antragstellers zu 1. ist keine Ausbildung im Sinne der Norm. Eine qualifizierte Ausbildung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG, die in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf erfolgen muss und dadurch im Wesentlichen die anerkannten Aus- und Fortbildungsabschlüsse nach dem Berufsbildungsgesetz – BBiG – und der Handwerksordnung – HwO – sowie vergleichbare bundes- oder landesrechtlich geregelte Berufsabschlüsse oder diesen Berufsabschlüssen entsprechende Qualifikationen erfasst, ist darauf gerichtet, die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt notwendigen beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten (berufliche Handlungsfähigkeit) in einem geordneten Ausbildungsgang zu vermitteln und den Erwerb der erforderlichen Berufserfahrungen zu ermöglichen (vgl. § 1 Abs. 3 BBiG, § 32 HWO i.V.m. § 1 Abs. 3 BBiG). In Abgrenzung dazu handelt es sich um berufliche Fortbildung, wenn es darum geht, die berufliche Handlungsfähigkeit zu erhalten und anzupassen oder zu erweitern (vgl. § 1 Abs. 4 BBiG).

9 Die Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist überdies im Zusammenhang mit der Regelung in § 18a Abs. 1a AufenthG zu betrachten (sogenannte 3 + 2 Formel). Danach ist demjenigen, dem eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG erteilt worden ist, nach erfolgreichem Abschluss dieser Berufsausbildung für eine der erworbenen beruflichen Qualifikation entsprechenden Beschäftigung eine Aufenthaltserlaubnis für die Dauer von zwei Jahren zu erteilen, wenn die Voraussetzungen nach § 18a Abs. 1 Nrn. 2 bis 7 AufenthG vorliegen und die Bundesagentur für Arbeit nach § 39 AufenthG zugestimmt hat. Die Verbindung mit § 18a AufenthG, der die Aufenthaltserlaubnis für qualifizierte Geduldete zum Zweck der Beschäftigung regelt, trifft in Absatz 1 eine Unterscheidung zwischen demjenigen, der eine qualifizierten Ausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf abgeschlossen hat (Nr. 1 Buchstabe a.), und einer bereits im Ausland qualifizierten Fachkraft (Nr. 1 Buchstabe c.), indem unterschiedliche Anforderungen an die im Ermessen stehende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis formuliert werden. Mithin ist für im Ausland qualifizierte Fachkräfte, denen eine Zustimmung zur Ausübung einer ihrer Qualifikation entsprechenden Beschäftigung nach § 6 Abs. 2 BeschV durch die Bundesagentur für Arbeit erteilt werden kann, gesetzlich ein anderer Weg der Arbeitsimmigration vorgesehen als für diejenigen, denen die berufliche Handlungsfähigkeit durch die Ausbildung erst vermittelt wird, die also durch die Ausbildung erst in die Lage versetzt werden, mit der dann erworbenen Berufsqualifikation einen Beitrag zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses zu leisten (zum Aspekt der Sicherung des Fachkräftenachwuchses durch das Instrument der Ausbildungsduldung vgl. Stellungnahme des Bundesrates vom 6. Februar 2015, BR-Drucks. 642/14 [Beschluss], S. 6, auf die die Beschlussempfehlung und der Bericht des Innenausschusses vom 1. Juli 2015, BT-Drucks. 18/5420, S. 27, ausdrücklich Bezug nehmen).

10 Die Gesetzesmaterialen zur Duldung zu Ausbildungszwecken, deren Erteilung bei Einführung dieses besonderen dringenden persönlichen Grundes zunächst im Ermessen der Ausländerbehörde stand und einer Altersbegrenzung unterlag (vgl. § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG i.d.F. vom 27. Juli 2015, BGBl. I 1386), verdeutlichen an mehreren Stellen, dass damit der besonderen Konstellation der qualifizierten Berufsausbildung Rechnung getragen werden soll. [...]