1. Ist der Adressat eines Verwaltungsakts minderjährig und hat das Familiengericht das Jugendamt als Amtsvormund bestellt, dann wird der Verwaltungsakt in dem Zeitpunkt ordnungsgemäß zugestellt, in dem der betr. Bescheid (z. B.) im Fall der zulässigen Ersatzzustellung gemäß § 180 ZPO in den Briefkasten des Jugendamts eingelegt wird (Rn.14).
2. Daran ändert sich nichts dadurch, dass das Jugendamt die Ausübung der Aufgaben des Amtsvormunds gemäß § 55 Abs 2 S 1 SGB VIII (juris: SGB 8) einem/einer seiner Mitarbeiter/innen überträgt, der/die dadurch gemäß § 55 Abs 3 S 2 SGB VIII (juris: SGB 8) gesetzliche/r Vertreter/in des/der Minderjährigen wird (Rn.15).
3. Falls ein Rechtsbehelf des/der Minderjährigen dadurch verspätet eingelegt wird, dass eine Hilfsperson des Jugendamts (z. B. ein/e Mitarbeiter/in des Verwaltungssekretariats des Jugendamts) dem/der mit der Ausübung der Aufgaben des Amtsvormunds beauftragten Mitarbeiter/in zu spät vorgelegt hat, kann dem/der Minderjährigen Wiedereinsetzung in die Rechtsbehelfsfrist gewährt werden (Rn.16).
4. Das Verschulden einer Hilfsperson des Jugendamts ist dem Minderjährigen ebenso wenig zuzurechnen, wie das bei Hilfskräften eines bevollmächtigten Rechtsanwalts der Fall ist (Rn.18).
(Amtliche Leitsätze)
[...]
14 1.1 Allerdings war die Klagefrist bei Klageerhebung am 15.09.2017 verstrichen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - vom 22.08.2017, dem nach Aktenlage eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, wurde dem Jugendamt des Landratsamts Lörrach am 26.08.2017 durch Einlegen in den Briefkasten dieses Amts gemäß § 3 Abs. 2 VwZG in Verbindung mit § 180 ZPO wirksam zugestellt. Da der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig, das heißt beschränkt geschäftsfähig war (vgl. § 12 Abs. 1 und 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 106 BGB), musste der Bescheid gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 VwZG nicht ihm persönlich, sondern seinem gesetzlichen Vertreter zugestellt werden; das war nach dem Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Lörrach vom 29.08.2016 das Jugendamt (genau: Fachbereich Jugend & Familie, Spezialdienst Amtsvormundschaften/-pflegschaften) des Landratsamts Lörrach. Da die Zustellung auch ansonsten ordnungsgemäß erfolgt ist, wurde die Zustellung des angefochtenen Bundesamtsbescheids somit mit Einlegen in den Briefkasten des Jugendamts am 26.08.2017 bewirkt mit der Folge, dass die zweiwöchige Klagefrist am 11.09.2017 (einem Montag) ablief und die Klageerhebung am 15.09.2017 somit verspätet erfolgte.
15 Dieses Ergebnis wird durch die in § 55 SGB VIII getroffenen Regelungen nicht in Frage gestellt. Nach Absatz 2 Satz 1 dieser Vorschrift überträgt das Jugendamt die Ausübung der Aufgaben des Beistands, des Amtspflegers oder des Amtsvormunds einzelnen seiner Beamten oder Angestellten, der nach Absatz 3 Satz 2 dieser Vorschrift in dem durch die Übertragung umschriebenen Rahmen gesetzlicher Vertreter des Kindes oder Jugendlichen wird. Diese Regelungen betreffen nur die Ausübung der mit der Vormundschaft verbundenen Befugnisse, nicht die Amtsvormundschaft als solche. Die Handlungen und Erklärungen des/der Bediensteten, auf den/die die Ausübung dieser Befugnisse übertragen wird, sind dem Jugendamt als Amtsvormund zuzurechnen. § 55 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII ändert nichts daran, dass das Jugendamt - nicht zuletzt auch aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit - im Außenverhältnis, insbesondere für Zustellungen von Schriftstücken, gesetzlicher Vertreter des Kindes ist und bleibt (im Erg. ebenso: Hess. VGH, Beschl. v. 22.11.2000, AuAS 2001, 142; Hoffmann, in: Großkommentar zum Zivilrecht, Stand: 01.09.2018, § 1791b BGB Rn. 36, m.w.N.; Spickhoff, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 1791b Rn. 10, m.w.N.; Greßmann, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Stand: Aug. 2017, § 55 Rn. 12 und 15; Kunkel/Schimke, in: Jans/Happe/Saurbier/Maas, SGB VIII, Stand: Jan. 2018, § 55 Rn. 44, m.w.N.; Walther, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 55 Rn. 85, m.w.N.; ebenso zu § 37 Satz 2 und 3 JWG, der Vorgängerregelung von § 55 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 2 SGB VIII: BGH, Beschl. v. 20.06.1966 - IV ZB 60/66 -, juris, m.w.N.; a.A. ohne weitere Begründung: VG Schwerin, Urt. v. 13.04.2018 - 15 A 4249/17 As SN -, juris). Hiernach begann die Klagefrist in diesem Fall bereits mit Zustellung des angefochtenen Bundesamtsbescheids an das Jugendamt und nicht erst mit Zustellung bzw. (formloser) Bekanntgabe an den/die mit den Aufgaben des Amtsvormunds beauftragte/n Mitarbeiter/in des Jugendamts zu laufen.
16 1.2 Dem Kläger ist jedoch Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren ist. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Nach § 60 Abs. 2 VwGO ist der Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
17 Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die im Jugendamt des Landratsamts Lörrach mit der Wahrnehmung der Aufgaben des Amtsvormunds betraute Mitarbeiterin hat zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft vorgetragen: Sie sei in der Zeit vom 19.08.2017 bis zum 12.09.2017 wegen Urlaubs nicht im Dienst gewesen und der den Kläger betreffende Bundesamtsbescheid sei entgegen der zuvor für Vertretungsfälle getroffenen Vereinbarung mit dem sich bis dahin immer als zuverlässig erwiesenen Personal im Verwaltungssekretariat des Jugendamts nicht ihrer amtlichen Vertreterin (als Amtsvormund) vorgelegt, sondern unbearbeitet in ihr Postfach gelegt worden. Erst nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub habe sie den betreffenden Bescheid dort vorgefunden und sodann am 15.09.2017 die vorliegende Klage erhoben. Die Missachtung der Vertretungsregelung durch das Personal im Verwaltungssekretariat des Jugendamts sei ein einmaliger Vorfall gewesen; in der Vergangenheit habe die Vertretungsregelung immer geklappt.
18 Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass weder der Kläger noch dessen gesetzlicher Vertreter die Versäumung der Klagefrist zu vertreten haben. Die mit der gesetzlichen Vertretung des Klägers beauftragte Mitarbeiterin, deren Verschulden dem Kläger nach Maßgabe von § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen wäre, hat die gebotenen Vorkehrungen für die Weiterleitung von Verwaltungsvorgängen während des Urlaubs an ihre Vertreterin getroffen. Das Verschulden der Mitarbeiter/innen des Verwaltungssekretariats des Jugendamts, die diese Vorgaben missachtet haben, ist dem Kläger ebenso wenig zuzurechnen, wie das bei Hilfskräften eines bevollmächtigten Rechtsanwalts der Fall ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 60 Rn. 23, m.w.N.). [...]