Keine Haftanordnung im Hauptsacheverfahren, wenn nur vorläufige Freiheitsentziehung beantragt wurde:
1. Das Haftgericht darf die Haft nicht in der Hauptsache anordnen, wenn die Behörde mit ihrem Haftantrag um eine vorläufige Freiheitsentziehung im Wege der einstweiligen Anordnung nachgesucht hat.
2. Bei Zweifeln, wie die Gerichtsentscheidung einzuordnen ist, spricht für das Vorliegen einer Haftanordnung im Hauptsacheverfahren das Fehlen von Ausführungen zur Notwendigkeit der einstweiligen Anordnung, die abschließende und nicht nur vorläufige Feststellung der Haftgründe, die Überschreitung der Höchstdauer von sechs Wochen sowie die Rechtsmittelbelehrung.
3. Ein unterbliebener Haftantrag kann von der Behörde zwar nachgeholt werden, allerdings tritt die Heilung nur mit Wirkung für die Zukunft ein.
(Leitsatz des Einsenders)
[...]
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Sie ist zulässig. [...]
b) Der Statthaftigkeit des Rechtsmittels steht § 70 Abs. 4 FamFG nicht entgegen.
aa) Hiernach findet die Rechtsbeschwerde nicht statt gegen im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG ergangene Beschlüsse über vorläufige Freiheitsentziehungen. Das gilt auch für auf § 62 FamFG gestützte Feststellungsanträge, da der Gesetzgeber mit der Regelung in § 70 Abs. 4 FamFG klar zum Ausdruck gebracht hat, dass einstweilige Anordnungen keiner rechtlichen Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren unterworfen sein sol-len (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 114/13, FGPrax 2015, 91 Rn. 6; Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 116/10, FGPrax 2011, 143 Rn. 7).
bb) Vorliegend hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Beschluss aber eine Entscheidung in der Hauptsache erlassen.
(1) Im Einzelfall kann allerdings zweifelhaft sein, ob eine Haftanordnung im Wege der einstweiligen Anordnung oder im Hauptsacheverfahren ergangen ist. Zweifel am Vorliegen einer Entscheidung in der Hauptsache können sich insbesondere dann ergeben, wenn - wie hier von der beteiligten Behörde - eine vorläufige Freiheitsentziehung im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG beantragt worden ist. Maßgebend für die rechtliche Qualifikation des freiheitsentziehenden Beschlusses ist jedoch nicht der Antrag der Behörde, sondern der Inhalt der gerichtlichen Entscheidung. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Haftanordnung im Hauptsacheverfahren sind das Fehlen von Feststellungen zur Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung, eine abschließende, nicht nur vorläufige Feststellung der Haftgründe, die Überschreitung der für einstweilige Haftanordnungen geltenden Höchstdauer von sechs Wochen (§ 427 Abs. 1 Satz 2 FamFG) und die Rechtsmittelbelehrung (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 114/13, FGPrax 2015, 91 Rn. 7; Beschluss vom 21. November 2013 - V ZB 96/13, FGPrax 2014, 87 Rn. 5).
(2) Danach ist vorliegend von einer Entscheidung in der Hauptsache auszugehen. [...]
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Anordnung des Ausreisegewahrsams durch das Amtsgericht im Hauptsacheverfahren ohne den nach § 417 Abs. 1 FamFG erforderlichen Antrag der Behörde auf den Erlass einer solchen Entscheidung ergangen ist.
a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 12 ff.; Beschluss vom 30. März 2017 - V ZB 128/16, NVwZ 2017, 1231 Rn. 6; Beschluss vom 17. Mai 2018 - V ZB 92/16, juris Rn. 5 jeweils mwN). [...]
b) Nach diesen Maßstäben lag der für die Haftanordnung des Amtsgerichts erforderliche Antrag nicht vor. Die beteiligte Behörde hat ausdrücklich um eine vorläufige Freiheitsentziehung im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 427 FamFG) nachgesucht. [...]
3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Zwar kann ein zunächst unterbliebener Haftantrag von der Behörde auch nachträglich - auch in der Beschwerdeinstanz - gestellt werden. Hiermit wird die mit einer richterlichen Haftanordnung ohne behördlichen Antrag einhergehende Verletzung des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG aber nicht rückwirkend geheilt, sondern lediglich beendet (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 114/13, FGPrax 2015, 91 Rn. 15). Ein nunmehr nachgeholter Haftantrag hätte somit hier auf die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung keine Auswirkungen, da die angeordnete Haftzeit bereits abgelaufen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar 2018 - V ZB 201/17, juris Rn. 10). [...]