OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Beschluss vom 18.12.2018 - 1 B 148/18 - asyl.net: M26867
https://www.asyl.net/rsdb/M26867
Leitsatz:

1. Unbegleitete minderjährige Ausländer, die vom Jugendamt (vorläufig) in Obhut genommen wurden, unterliegen nicht der Verteilung nach § 15a Abs. 1 Satz 1 AufenthG.

2. Wird der nicht nur vorläufig in Obhut Genommene volljährig, lebt die Verteilungsmöglichkeit nach § 15a AufenthG nicht wieder auf.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: unbegleitete Minderjährige, Volljährigkeit, Inobhutnahme, Verteilungsverfahren,
Normen: AufenthG § 15a, SGB VIII § 42, SGB VIII § 42a, SGB VIII § 42b,
Auszüge:

[...]

1. Unerlaubt eingereiste Ausländer, die weder um Asyl nachsuchen noch unmittelbar nach der Feststellung der unerlaubten Einreise in Abschiebungshaft genommen und aus der Haft abgeschoben oder zurückgeschoben werden können, werden gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 AufenthG vor der Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebung oder die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Länder verteilt. Der Antragsteller gehört zu dieser Personengruppe. Allerdings unterliegen unbegleitete minderjährige Ausländer, so lange sie von den Jugendämtern (vorläufig) in Obhut genommen werden, nicht der Verteilung nach § 15a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, da für diese im Hinblick auf die Verteilung der Vorrang des Jugendhilferechts und der dort in §§ 42b ff SGB VIII geregelten Verteilungsvorschriften gilt (vgl. OVG Bremen, Beschlüsse vom 27.7.2018 – 1 B 140/18 – und vom 07.06.2018 -1 B 92/18 -, juris). Erfolgt die Inobhutnahme nicht nur – gemäß § 42a SGB VIII – vorläufig, sondern gemäß § 42 SGB VIII, führt dies in Folge der damit regelmäßig verbundenen vorläufigen Unterbringung nach § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII für den Ausländer zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts, der die örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 a) BremVwVfG für die Erteilung eines Aufenthaltstitels oder einer Duldung bestimmt. Das Jugendamt hat insoweit das Recht und die Pflicht, den Aufenthalt des Minderjährigen zu bestimmen (Wiesner/Wiesner, 5. Aufl. 2015, SGB VIII § 42 Rn. 23). Diese am Minderjährigenschutz orientierte Befugnis geht den – ebenfalls der Aufenthaltsbestimmung dienenden - Befugnissen nach § 15a AufenthG vor.

2. Endet eine Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII dadurch, dass der betroffene Jugendliche volljährig wird, auch ohne dass ihm bisher eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Duldung erteilt wurde, ist kein Verteilungsverfahren nach § 15a AufenthG mehr durchzuführen. Zwar ist die Inobhutnahme nicht als ein die Verteilung nach dieser Vorschrift ausschließendes Tatbestandsmerkmal gesetzlich benannt. Dem mit der Verteilung nach § 15a AufenthG verfolgten Interesse, eine gleichmäßige Verteilung der aufgrund von unerlaubt eingereisten Ausländern hervorgerufenen Lasten zu erreichen, ist mit dem einer Inobhutnahme regelmäßig vorausgehenden jugendhilferechtlichen Verteilungsverfahren jedoch bereits Genüge getan. Auch dieses sieht eine Verteilung orientiert am Königsteiner Schlüssel (§ 42 c Abs. 1 SGB VIII) vor. Der Inobhutnahme von unbegleiteten ausländischen Minderjährigen gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII geht nach der gesetzlichen Konzeption zwingend eine vorläufige Inobhutnahme gemäß § 42a SGB VIII voraus, während derer das Jugendamt die Minderjährigkeit des Ausländers in einem Verfahren nach § 42f SGB VIII festzustellen und über die Anmeldung des Kindes oder Jugendlichen zur Verteilung oder den Ausschluss der Verteilung zu entscheiden hat (§ 42a Abs. 2 Satz 2 SGB VIII). Die gesetzliche Regelung geht damit davon aus, dass im Zeitpunkt der Inobhutnahme nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII sowohl eine die Minderjährigkeit bestätigende Altersfeststellung nach § 42f SGB VIII getroffen wurde als auch eine Verteilung entweder bereits vollzogen oder über deren Ausschluss entschieden ist. Dem Interesse an einer gleichmäßigen Lastenverteilung wird auch in denjenigen Fällen Rechnung getragen, in denen im jugendhilferechtlichen Verfahren eine Verteilung ausgeschlossen ist, weil gemäß § 42c Abs. 2 SGB VIII auch nichtverteilte Minderjährige auf die Quote angerechnet werden. [...]