LG Köln

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Zitieren als:
LG Köln, Beschluss vom 06.07.2018 - 34 T 91/18 - asyl.net: M26879
https://www.asyl.net/rsdb/M26879
Leitsatz:

Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaft wegen fehlender mündlicher Belehrung einer nicht alphabetisierten Person:

1. Der Haftgrund des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG ist verbraucht, wenn die betroffene Person einen Asylantrag gestellt hat (unter Bezug auf BGH, Beschluss vom 28.10.2010- V ZB 210/10 - asyl.net: M17864).

2. Der Haftgrund des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 AufenthG setzt voraus, dass die betroffene Person nach § 50 Abs. 4 AufenthG belehrt wurde. Ist die Person nicht alphabetisiert, so muss eine mündliche Belehrung erfolgen. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Fluchtgefahr, Täuschung über Identität, Belehrung, Anzeigepflicht, Wechsel des Aufenthaltsortes, Analphabeten, Asylantrag, Asylverfahren, alphabetisiert, Meldepflicht, Haftanordnung, mündliche Belehrung, Haftgrund,
Normen: AufenthG § 62 Abs. 3, AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, AufenthG § 62, AufenthG § 50 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

a) Nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist ein Ausländer in Haft zu nehmen, wenn er auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist. In der Rechtsprechung des BGH ist aber anerkannt, dass der Haftgrund der Nr. 1 "verbraucht" wird, wenn der Ausländer zwischenzeitlich einen Asylantrag gestellt hat, denn dann beruht seine Ausreisepflicht nicht mehr auf der unerlaubten Einreise, sondern auf der Zurückweisung des Asylantrags (BGH, Beschl. v. 28.10.2010, V ZB 210/10). Der Betroffene hat am 30.11.2017 einen Asylantrag gestellt. [...]

c) Eine auf § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gestützte Haft erfordert nach der Rechtsprechung des BGH über den Wortlaut hinaus eine vorherige Belehrung des Ausländers. Dabei muss dem Betroffenen ein Hinweis auf die Anzeigepflicht und die Möglichkeit der Anordnung von Abschiebungshaft erteilt werden (BGH, Beschluss vom 20.10.2016, V ZB 167/14). Eine diesen Anforderungen genügende Belehrung ist dem Betroffenen nicht erteilt worden.

Eine ausreichende Belehrung findet sich auf dem ablehnenden Bescheid des BAMF vom 01.12.2017. Dieser ist dem Betroffenen aber nicht zugegangen. Eine im Rahmen des Asylverfahrens geltende Zugangsfiktion ersetzt keine für § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG tatsächlich zu erteilende Belehrung. [...]

Diese Belehrung erwähnt zwar Meldepflicht und Abschiebungshaft, der Ausländerakte lässt sich aber nicht entnehmen, dass dem Betroffenen die Belehrung nicht nur in schriftlicher Form ausgehändigt wurde, sondern auch mündlich erläutert wurde. Dies wäre aber geboten gewesen, da der Betroffene Analphabet ist. Der Betroffene hat bei seiner Anhörung angegeben, ihm gegenüber sei keine mündliche Erklärung abgegeben worden. Im Übrigen ist die Belehrung nach ihrem eigenen Wortlaut zum Zeitpunkt des Untertauchens für den Betroffenen nicht einschlägig gewesen. Nach der einleitenden Formulierung sollten die Meldepflicht und die Haftgefahr nur für den Fall gelten, dass bereits ein Bescheid des BAMF existiert, der eine Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung enthält. Einen solchen gab es aber zum Zeitpunkt des Untertauchens des Betroffenen noch nicht. Der später erlassene Bescheid ist ihm nicht bekannt geworden. [...]