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LG Osnabrück

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Zitieren als:
LG Osnabrück, Beschluss vom 28.12.2018 - 11 T 628/18 - asyl.net: M26897
https://www.asyl.net/rsdb/M26897
Leitsatz:

Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaft wegen fehlender Anhörung zu Ermittlungsverfahren:

1. Hat das haftanordnende Gericht Kenntnis von anhängigen Ermittlungsverfahren, so muss es den Sachverhalt weiter aufklären und die betroffene Person hierzu persönlich anhören.

2. Bei einem Ermittlungsverfahren wegen Beförderungserschleichung gem. § 265a StGB handelt es sich nicht um eine sog. "begleitende Straftat" i.S.d. § 72 IV AufenthG, so dass das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft auch nicht entbehrlich war gemäß § 72 Abs. 4 S 3 und 5 AufenthG.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Abschiebung, Einvernehmen der Staatsanwaltschaft zur Abschiebung, begleitende Straftat, geringer Unwertgehalt, Beförderungserschleichung,
Normen: AufenthG § 72 Abs. 4, FamFG § 26, GG Art. 103 Abs. 1, FamFG § 420 Abs. 1, AufenthG § 95, AufenthG § 72 Abs. 4 S. 3, AufenthG § 72 Abs. 4 S. 5, StGB § 265a,
Auszüge:

[...]

Das Amtsgericht hat festgestellt, dass "Ermittlungsverfahren anhängig" seien, dass ein generelles Einvernehmen der Generalstaatsanwaltschaft vorliege und dass es sich nicht um eine erhebliche "Straftat" handele (Seite 3 des angefochtenen Beschlusses; GA 11). Da sich dieser Sachverhalt weder aus dem Haftantrag noch den beigefügten Unterlagen ergab, hätte das Amtsgericht, das offenbar auf anderem Wege Kenntnis von anhängigen Ermittlungsverfahren erlangt hat, den Sachverhalt weiter aufklären und den Betroffenen hierzu persönlich anhören müssen (vgl. u.a. BGH, FGPrax 2012, 44). Eine solche Sachverhaltsaufklärung ist ausweislich des Protokolls vom 6.6.2018 unterblieben (GA 5-8). Da der Betroffene keine Gelegenheit hatte, sich zu diesem entscheidungserheblichen Punkt zu äußern, beruht die angefochtene Haftanordnung zugleich auf einer Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

Das gemäß § 72 FamFG für die Abschiebung grundsätzlich erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft war, anders als das Amtsgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss meint, auch nicht nach§ 72 Abs. 4 S. 3 und 5 FamFG entbehrlich, weshalb eine Anhörung des Betroffenen auch unter diesem Gesichtspunkt nicht hätte unterbleiben dürfen. Eine "begleitende Straftat" im Sinne der Norm liegt nur vor, wenn sie in einem Zusammenhang mit einem möglichen Verstoß gegen § 95 AufenthG steht; eine generelle Herausnahme von Straftaten mit geringem Unwertgehalt ist vom Regelungsgehalt nicht umfasst (BGH, Beschluss vom 19.7.2018 - V ZB 179/15). Das gegen den Betroffenen ausweislich der Mitteilung der Polizeiinspektion vom 5.6.2018 geführte Ermittlungsverfahren betraf eine am 07.04.2018 verübte Beförderungserschleichung i.S.v. § 265a StGB (Fahrt mit dem Stadtbus ohne entwerteten Fahrschein; vgl. Mitteilung GA 46), die nicht in einem Zusammenhang mit einem möglichen Verstoß gegen § 95 AufenthG steht. [...]