OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 21.12.2018 - 10 LB 201/18 - asyl.net: M26898
https://www.asyl.net/rsdb/M26898
Leitsatz:

Kein Abschiebungsverbot für in Italien Schutzberechtigte, keine Verletzung subjektiver Rechte bei 30tägiger Ausreisefrist entgegen dem Gesetz:

"1. Die Aufnahmebedingungen für in Italien bereits anerkannte Schutzberechtigte weisen keine systemischen Mängel auf, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK bei ihrer Rücküberstellung nach Italien begründen (Festhalten an Senatsurteil vom 6. April 2018 - 10 LB 109/18 - [asyl.net: M26400], juris).

2. Es ist nicht zu erkennen, dass sich die Situation von anerkannten Schutzberechtigten in Italien seit dem Urteil des Senats vom 6. April 2018 (- 10 LB 109/18 - [asyl.net: M26400], juris) in entscheidungserheblicher Weise verändert hätte.

3. Setzt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG - entgegen § 36 Abs. 1 AsylG - eine Ausreisefrist von 30 Tagen statt von einer Woche, verletzt dies den betreffenden Asylantragsteller nicht in seinen Rechten. Denn mit der Fristverlängerung sind unmittelbar lediglich rechtliche Vorteile (Verlängerung der Frist und aufschiebende Wirkung der Klage) verbunden. Die in der verwaltungs­gerichtlichen Rechtsprechung teilweise angeführten mittelbaren "Nachteile" (Wegfall der Rechtsfolgen des § 37 Abs. 1 AsylG) sind völlig ungewiss, nämlich vom Ausgang des betreffenden gerichtlichen Eilverfahrens abhängig, falls der Asylantragsteller im Falle der Frist nach § 36 Abs. 1 AsylG einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt hätte."

(Amtliche Leitsätze, vgl. zur Ausreisefrist auch OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20.12.2018 - 10 A 11029/18 – asyl.net: M26907)

Schlagwörter: Italien, Aufnahmebedingungen, Drittstaatenregelung, ausländische Anerkennung, internationaler Schutz in EU-Staat, Ausreisefrist, Suspensiveffekt, Anerkannte,
Normen: GR-Charta Art. 4, EMRK Art. 3, AsylG § 36 Abs. 1, VwGO § 80 Abs. 5, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, AsylG § 37, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7,
Auszüge:

[...]

40 Auch ist nicht zu erkennen, dass sich die Umstände in Italien seit dem Urteil des Senats vom 6. April 2018 in entscheidungserheblicher Weise verändert hätten. Dies hat der Senat bereits in zwei Nichtzulassungsbeschlüssen aus August bzw. September 2018 entschieden, in denen zur Begründung der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG insbesondere Äußerungen des zum 1. Juni 2018 ernannten Ministerpräsidenten Italiens Giuseppe Conte und des neuen italienischen Innenministers Matteo Salvini angeführt worden waren. Ob es tatsächlich zu einer Kürzung der Leistungen für Asylbewerber bzw. der Mittel für die Flüchtlingsbetreuung komme und ob sich daraus systemische Mängel ergeben würden, sei derzeit noch nicht absehbar (Senatsbeschlüsse vom 06.08.2018 - 10 LA 320/18 -, juris Leitsatz und Rn. 6 f. - zu Dublin-Rückkehrern -, und vom 12.09.2018 - 10 LA 345/18 -, nicht veröffentlicht, Urteilsabdruck Seite 5 - zu anerkannten Schutzberechtigten -). Eine maßgebende Veränderung ergibt sich auch nicht aus dem im Schriftsatz des Klägers vom 16. Dezember 2018 in Bezug genommenen so genannten Salvini-Dekret (Dekret n. 113 vom 4. Oktober 2018). Das nicht näher konkretisierte Vorbringen des Klägers, das Dekret habe insbesondere massive Einschränkungen beim Zugang zu einer Unterbringung (v.a. für anerkannte Schutzberechtigte) zur Folge, findet schon keine Bestätigung. Die mit dem Dekret verbundene Verschärfung des Asylrechts in Italien betrifft den Kläger als bereits anerkannten Schutzberechtigten nicht. Richtig ist, dass es eine Neuorganisation der Verteilung und Unterbringung von Asylbewerbern geben soll. Die meisten von ihnen sollen in großen Auffangzentren untergebracht werden. Gerade aber anerkannte Flüchtlinge (und ledige unbegleitete Minderjährige) sollen auf kleinere Unterkünfte verteilt werden, um ihre Integration zu erleichtern (https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-09/italien-migrationspolitik-aslyrecht-verschaerfung-matteo-salvini. Für diesen Personenkreis sollen die SPRAR erhalten bleiben (https://www.borderline-europe.de/sites/default/files/projekte_files/2018_09_25_Italien-Salvinis%20Dekret%20der%20Asylrechtsverschärfungen_JIAN _0.pdf). Ungeachtet dessen hat der Senat seiner Entscheidung vom 6. April 2018 ohnehin zugrunde gelegt, dass grundsätzlich die maximale Aufenthaltsdauer in einer SPRAR-Einrichtung nur sechs Monate beträgt (a.a.O., Rn. 44). [...]

44 Dass das Bundesamt die dem Kläger gesetzte Ausreisefrist entgegen § 36 Abs. 1 AsylG an der Auffangregelung des § 38 Abs. 1 AsylG orientiert und damit von einer Woche auf 30 Tage verlängert hat, vermag den Kläger nicht in seinen Rechten zu verletzen, da mit der Fristverlängerung unmittelbar lediglich rechtliche Vorteile (Verlängerung der Frist und aufschiebende Wirkung der Klage) verbunden sind und die in der Rechtsprechung (u.a. VG Bayreuth, Urteil vom 01.12.2017 - B 3 K 17.33153 -, juris) teilweise angeführten mittelbaren „Nachteile“ (Wegfall der Rechtsfolgen nach § 37 Abs. 1 AsylG) völlig ungewiss, nämlich vom für den Kläger positiven Ausgang des betreffenden gerichtlichen Eilverfahrens abhängig sind, falls der Kläger im Falle der Frist nach § 36 Abs. 1 AsylG einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt hätte (vgl. hierzu ausführlich VG Göttingen, Urteil vom 15.10.2018 - 3 A 745/17 -, juris Leitsatz 1 und 2 sowie Rn. 40 ff.). Schließlich begegnet auch die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Auch der Kläger selbst hat gegen die in dem angefochtenen Bundesamtsbescheid vom 5. September 2017 angenommene Angemessenheit einer 30monatigen Frist keine Einwände erhoben. [...]