Keine Flüchtlingsanerkennung bei Wehrdienstentzug durch legale Ausreise:
Schutzsuchende, die sich durch legale Ausreise aus Syrien dem Wehrdienst entzogen haben, ohne dass eine Verweigerung wegen völkerrechtswidrigen Militärdienstes nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG vorliegt, droht bei einer Rückkehr nach Syrien keine Verfolgung im Sinne von § 3a Abs. 1 AsylG aufgrund unterstellter oppositioneller Haltung. Denn bei legaler Ausreise fehlt es aus Sicht des syrischen Regimes an einem illoyalen Verhalten, welches dessen militärischen Bedürfnissen zuwiderläuft.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
e. Aufgrund der dargelegten Maßstäbe und der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ergibt sich zur Überzeugung des Senats für den Kläger auch keine begründete Furcht vor Verfolgung im Hinblick auf einen Militärdienstentzug und einer ihm aufgrund dieses Verhaltens vom syrischen Regime zugeschriebenen regimefeindlichen Gesinnung (vgl. dazu auch grundlegend: Urteil des Senats vom 4. Juni 2018 - 3 KO 155/18 -, in dem der Senat grundsätzlich die Militärdienstentziehung durch illegale Flucht ins Ausland als flüchtlingsrelevant bewertet). Im vorliegenden Fall ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass er im Falle einer (hypothetischen) Rückkehr mit Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a Abs. 1 AsylG zu rechnen hat.
aa. Der Kläger ist nach der geltenden Rechtslage in Syrien wohl militärdienstpflichtig, jedoch hat er sich dieser Pflicht nicht durch illegale Flucht ins Ausland entzogen.
Im Zeitpunkt seiner Ausreise aus Syrien am 03. bzw. 05.01.2016 war der am 01.01.1998 geborene Kläger, gerade 18 Jahre alt und damit volljährig geworden. Er war auch vom Militärdienst weder zurückgestellt noch befreit. Obwohl er nach seinen Angaben zum Zeitpunkt seiner Ausreise weder eine Einberufung erhalten, noch sein Wehrbuch abgeholt hatte und er auch noch keine Aufforderung zur Registrierung bzw. zum Abholen des Wehrbuchs erhalten hatte, war er - als Rekrut - wohl militärdienstpflichtig (vgl. zu der Rechts- und Tatsachenlage zur Militärdienstpflicht in Syrien: Urteil des Senats vom 4. Juni 2018 - 3 KO 155/18 - juris m.w.N.).
Dies kann im vorliegenden Fall jedoch letztlich dahinstehen. Zwar hat sich der Kläger einer danach etwa bestehenden Militärdienstpflicht - ohne den Militärdienst nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG zu verweigern - durch Ausreise und Verbleib im Ausland entzogen. Allerdings erfolgte die Ausreise ins Ausland nach Überzeugung des Senats nicht illegal.
Nach den dem Senat zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen spricht Überwiegendes dafür, dass bei Aus- und Einreisen insbesondere über internationale Flughäfen umfangreiche Personen- und Grenzkontrollen durch syrische Sicherheitsorgane stattfinden (vgl. für die Ausreise etwa: UNHCR, HKL Syrien, 04/2017, a.a.O. Seite 2 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 12. Oktober 2016 an das VG Trier - 1 K 2685/16.TR - Seite 1). Im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen bei Einreise werden alle Rückkehrer, mithin auch unverfolgt ausgereiste Asylbewerber, durch die syrischen Sicherheitsbehörden kontrolliert und befragt bzw. verhört (vgl. SV Petra Becker, 06.02.2017, a.a.O. Seite 1 f.; BAMF, 16.09.2016, a.a.O. Seite 4; Dt. Botschaft Beirut, 03.02.2016, a.a.O. Seite 1).
Der Kläger hat nach eigenen Angaben Syrien per Flugzeug über den internationalen Flughafen Damaskus via Beirut (Libanon) nach Istanbul (Türkei) verlassen. Bei der Abfertigung und Ausreisekontrolle konnte er neben den - von seinem Vater besorgten - Flugtickets auch einen gültigen Reisepass mit den erforderlichen Ausreisegenehmigungen und Visa vorlegen, so dass sich die von den Sicherheitsorganen des Regimes durchgeführte Sicherheitsüberprüfung unproblematisch gestaltete. Nach seinen Angaben erfolgten die erforderlichen Eintragungen (Ausreisegenehmigung, Visum) in den Reisepass unproblematisch durch die Reisepassbehörde, welche er in Begleitung seines Vaters einige Tage vor der Flugreise aufgesucht hatte.
bb. Vor diesem Hintergrund ist es zur Überzeugung des Senats nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger bei einer - wegen des ihm gewährten subsidiären Schutzes lediglich unterstellten - Rückkehr Verfolgungshandlungen syrischer Sicherheitskräfte i. S. v. §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG zu befürchten hat. Geht es - wie hier - darum, ob ein nicht vorverfolgt ausgereister Asylbewerber bei einer (gedachten) Rückkehr in das Herkunftsland Verfolgungshandlungen zu befürchten hat, steht im Vordergrund die Frage nach einem Verfolgungsgrund (§ 3c AsylG), an den eine Verfolgung im Sinne des § 3b Abs. 1 und 2 AsylG anknüpfen könnte (§ 3b Abs. 3 AsylG). An einem solchen fehlt es vorliegend. Der Kläger kann sich insbesondere nicht darauf berufen, dass ihn die syrischen Sicherheitskräfte mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als eine Person betrachten werden, die sich dem Militärdienst durch illegale Flucht ins Ausland entzogen hat, und der sie deshalb eine oppositionelle Gesinnung (§ 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG) unterstellen (vgl. dazu Thüringer OVG, Urteil vom 4. Juni 2018 - 3 KO 155/18 - juris). Wie ausgeführt ist der Kläger legal mit gültigem Reisepass und den erforderlichen Ausreisegenehmigungen und Visa aus Syrien ausgereist. Der Kläger hat daher - auch wenn er bei seiner Ausreise formal militärdienstpflichtig gewesen ist - aus der Sicht des syrischen Regimes kein illoyales Verhalten gezeigt, welches dessen militärischen Bedürfnissen zuwiderläuft. Er ist, auch wenn er gerade volljährig und damit militärdienstpflichtig geworden war, legal aus Syrien ausgereist und wird - eine Rückkehr angesichts des subsidiären Schutzes nach wie vor nur unterstellt - dem syrischen Staat ggf. für den Militärdienst zur Verfügung stehen. [...]