VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Beschluss vom 07.12.2018 - 1 L 5453/18.TR - asyl.net: M26908
https://www.asyl.net/rsdb/M26908
Leitsatz:

Zeitlich befristete Anordnung der aufschiebenden Wirkung zur Beibringung weiterer Atteste:

"1. Der Nachweis eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat grundsätzlich durch ein den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG genügendes qualifiziertes ärztliches Attest zu erfolgen (vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. Oktober 2018 - 1 A 11020/18.OVG -; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 2. Oktober 2018 - 6 A 11552/17.OVG -).

2. Die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG, Art 124 LVerfRP) gebietet es jedoch, im eng beschränkten Ausnahmefall im Rahmen der summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten etwaig verbleibende, formell bedingte Restzweifel außer Acht zu lassen, wenn hinreichend greifbare Anhaltspunkte für den grundsätzlich lebensbedrohlichen Charakter der diagnostizierten Erkrankung - hier: intrakranielle Aneurysmata - vorliegen, die rechtzeitige Beibringung eines allen Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG genügenden Attests jedoch nachweislich faktisch unmöglich gewesen ist.

3. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn eine endgültige Beurteilung des Schweregrads der Erkrankung und der zu erwartenden Auswirkungen im Falle der hypothetischen Rückkehr in den Herkunftsstaat weiterer medizinischer Untersuchungen bedarf und das Fehlen einer endgültigen Diagnose bis zur Entscheidung durch das Gericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht im Verantwortungsbereich des Asylsuchenden anzusiedeln ist.

4. In diesem Fall ist die befristete Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 5 Satz 5 VwGO) regelmäßig sachgerecht, um einerseits dem Asylsuchenden im Interesse effektiven Rechtsschutzes die Möglichkeit zu geben, die bisher noch keiner abschließenden Diagnose zugänglichen medizinischen Fragen zu klären und dem Gericht innerhalb der Frist ein ärztliches Attest über seinen Gesundheitszustand vorzulegen, das den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG vollständig genügt, zugleich aber andererseits den gesetzgeberischen Entscheidungen eines Entfallens der aufschiebenden Wirkung der Klage im Falle der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet und der grundsätzlichen Nachweispflicht des Asylsuchenden für die einer Abschiebung entgegenstehenden gesundheitlichen Gründe Rechnung zu tragen.

5. Die gemäß § 80 Abs. 5 Satz 5 VwGO befristete Anordnung der aufschiebenden Wirkung stellt sich als teilweises Unterliegen da und führt zu einer Kostenentscheidung auf Grundlage von § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wenn eine unbefristete Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragt worden ist."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Suspensiveffekt, Diagnose, fachärztliches Attest, fachärztliches Gutachten, befristete Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Teilobsiegen, effektiver Rechtsschutz,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 60a Abs. 2c, GG Ar. 19 Abs. 4, VwGO § 80 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

6 c. Zwar liegt noch keine abschließende Einschätzung darüber vor, welchen Schweregrad die Erkrankung der Antragstellerin aufweist und welche Folgen sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben; insoweit genügt der Arztbrief der ... vom ...  2018 zwar nicht den Anforderungen eines qualifizierten ärztlichen Attests im Sinne des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG, die auch an den Nachweis eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu stellen sind (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. Oktober 2018 - 1 A 11020/18.OVG -; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 2. Oktober 2018 - 6 A 11552/17.OVG -; vgl. auch OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28. September 2017 - 2 L 85/17 - juris; BayVGH, Beschluss vom 24. Januar 2018 - 10 ZB 18.30105 -, juris; BremOVG, Beschluss vom 13. Juni 2018 - 2 LA 50/17 -,  juris; NiedersOVG, Beschluss vom 7. September 2018 - 10 LA 343/18 -, juris).

7 Die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 124 LVerfRP) gebietet es jedoch, im eng beschränkten Ausnahmefall im Rahmen der summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten etwaig verbleibende, formell bedingte Restzweifel außer Acht zu lassen, wenn hinreichend greifbare Anhaltspunkte für den grundsätzlich lebensbedrohlichen Charakter der diagnostizierten Erkrankung vorliegen, eine endgültige Beurteilung des Schweregrads der Erkrankung und der zu erwartenden Auswirkungen im Falle der hypothetischen Rückkehr in den Herkunftsstaat weiterer medizinischer Untersuchungen bedarf und das Fehlen einer endgültigen Diagnose nicht im Verantwortungsbereich eines Antragstellers anzusiedeln ist. Diese Voraussetzungen liegen vor, da die Antragstellerin seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet am ...09.2018 ausweislich der vorgelegten Nachweise alle ihr realistisch zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um eine abschließende medizinische Einschätzung ihres Gesundheitszustands zu erlangen. Es widerspräche verfassungsrechtlich verankerten Anforderungen an die rechtsprechende Gewalt, in einer derartigen prozessualen Ausgangslage letztlich allein aufgrund der nachweislich faktischen Unmöglichkeit der Beibringung eines allen Belangen genügenden Attests im Sinne des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG bis zur Entscheidung des Gerichts im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes von der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung (vollständig) abzusehen.

8 d. Der Einzelrichter erachtet es vorliegend im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens als sachgerecht, die aufschiebende Wirkung der Klage lediglich unter einer Befristung anzuordnen (§ 80 Abs. 5 Satz 5 VwGO). Hierdurch erhält die Antragstellerin einerseits im Interesse des effektiven Rechtsschutzes die Möglichkeit, die bisher noch keiner abschließenden Diagnose zugänglichen medizinischen Fragen zu klären und dem Gericht innerhalb der Frist ein ärztliches Attest über ihren Gesundheitszustand vorzulegen, das den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG vollständig genügt. Zugleich wird den gesetzgeberischen Wertungen des Entfallens der aufschiebenden Wirkung der Klage im Falle der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet einerseits (§ 75 Abs. 1 AsylG e contrario) und der grundsätzlichen Nachweispflicht des Ausländers für die einer Abschiebung entgegenstehenden gesundheitlichen Gründe andererseits (§ 60a Abs. 2c Satz 1 und 2 AufenthG) Rechnung getragen. Da die Antragstellerin jedoch eine unbefristete Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt hat, ist ihr Antrag im Übrigen abzulehnen. [...]