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VG Mainz

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Zitieren als:
VG Mainz, Beschluss vom 07.11.2018 - 4 L 1068/18.MZ - asyl.net: M26911
https://www.asyl.net/rsdb/M26911
Leitsatz:

Humanitäre Gründe als Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen:

"1. Ein dringender humanitärer Grund im Sinne des § 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG liegt insbesondere vor, wenn die Familieneinheit auf absehbare Zeit nur im Bundesgebiet hergestellt werden kann. Besitzt ein Ehegatte in einem anderen Land als dem Herkunftsland ein Daueraufenthaltsrecht (hier: Kanada), ist ein Verweis auf die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft in diesem Land nur zulässig, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der andere Ehegatte dort eine Aufenthaltserlaubnis erhält.

2. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kommt auch dann in Betracht, wenn der Anwendungsbereich der §§ 27 ff. AufenthG (Aufenthalt aus familiären Gründen) eröffnet ist."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, Kanada, Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft, familiäre Lebensgemeinschaft,
Normen: AufenthG § 29, AufenthG § 30, AufenthG § 25 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

16 cc) Gemäß § 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf die Aufenthaltserlaubnis dem Ehegatten und dem minderjährigen Kind eines Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 22, 23 Abs. 1 oder Abs. 2 oder § 25 Abs. 3 oder Abs. 4a Satz 1, § 25a Abs. 1 oder § 25b Abs. 1 besitzt, nur aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland erteilt werden.

17 Der Gesetzgeber ist bei der Regelung in § 29 Abs. 3 AufenthG davon ausgegangen, dass ein genereller Anspruch auf Familiennachzug zu aus humanitären Gründen aufgenommenen Ausländern die Möglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland zur humanitären Aufnahme unvertretbar festlegen und einschränken würde. Nicht familiäre Bindungen allein, sondern alle Umstände, die eine humanitäre Dringlichkeit begründen, sollen für die Entscheidung maßgeblich sein, ob und wann welche Ausländer aus humanitären Gründen aufgenommen und ihnen der Aufenthalt im Bundesgebiet erlaubt werden soll. Der Familiennachzug wird daher grundsätzlich nur für Personen zugelassen, die selbst die Voraussetzungen für die Aufnahme aus dem Ausland aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen erfüllen. Ein dringender humanitärer Grund kann insbesondere vorliegen, wenn die Familieneinheit auf absehbare Zeit nur im Bundesgebiet hergestellt werden kann (vgl. zum Ganzen: BT-Drs. 15/420, S. 81). Ob die Herstellung in einem anderen als dem Herkunftsstaat möglich ist, bedarf nur der Prüfung, sofern ein Ehegatte oder ein Kind in einem Drittland ein Daueraufenthaltsrecht besitzt (vgl. Ziffer 29.3.1.1 AVV-AufenthG). [...]

35 Der Anwendbarkeit des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG steht auch nicht entgegen, dass vorliegend auch der Anwendungsbereich des sechsten Abschnitts des zweiten Kapitels des AufenthG (Aufenthalt aus familiären Gründen) eröffnet ist. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz früher vertreten, dass in solchen Fällen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht erteilt werden könne, weil die §§ 27 ff. AufenthG den Familiennachzug von Ausländern abschließend regelten und deshalb weder ein Rückgriff auf die allgemeinen Bestimmungen noch ein solcher auf andere Aufenthaltszwecke in Betracht komme (vgl. Beschluss vom 17. August 2010 – 7 B 10804/10.OVG –, ESOVG). In seinem Urteil vom 18. April 2012 – 7 A 10112/12 – (juris Rn. 48) hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz diesbezüglich jedoch wie folgt ausgeführt:

36 "Hat der Kläger nach alledem einen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, so hat offenzubleiben, ob der Zweck des Aufenthaltes des Klägers im Bundesgebiet, die familiäre Lebensgemeinschaft mit seinen Töchtern fortzusetzen, der Erteilung der hilfsweise begehrten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG entgegensteht (so die Beschlüsse des erkennenden Senats vom 17. August 2010 – 7 B 10804/10.OVG – ESOVGRP, vom 4. November 2009 – 7 A 10943/09.OVG –, vom 13. Oktober 2009 – 7 D 10877/09.OVG –, vom 2. März 2009 – 7 B 10066/09.OVG – und vom 22. September 2008 – 7 D 10943/08.OVG –) oder ob dem Kläger ein dahingehender Anspruch auch nach § 25 Abs. 5 Sätze 1 und 2 AufenthG zusteht. Dem Kläger ist allerdings einzuräumen, dass für letzteres aus den im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. November 2010 – 17 A 2434/07 – dargelegten Gründen einiges spricht, zumal das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass eine Ausreise auch dann im Sinne von § 25 Abs. 5 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich ist, wenn sich ein Abschiebungsverbot aus Art. 6 GG ergibt (vgl. grundlegend dessen Urteil vom 27. Juni 2006 – 1 C 14.05 – BVerwGE 126, 192 [197 f. Rn. 17]). Auch deutet der Umstand, dass § 25 Abs. 5 AufenthG die einzige Vorschrift ist, nach der eine Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG erteilt werden kann, auf einen allgemein "subsidiären Charakter" (vgl. Storr in Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Auflage 2008, § 12 AufenthG Rn. 24) von § 25 Abs. 5 AufenthG bzw. auf dessen "Funktion als Auffangtatbestand" (vgl. Zeitler in HTK-AuslR, Nr. 1.1 zu § 25 Abs. 5 AufenthG [Stand: 11/2010]) hin."

37 Die vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz aufgezeigten Gründe, die für eine umfassende Anwendbarkeit des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG sprechen, über- zeugen die Kammer. Zwar muss – soweit das Oberverwaltungsgericht auf die Möglichkeit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 11 AufenthG abstellt – berücksichtigt werden, dass die Anordnung in § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG, wonach die aufenthaltsrechtliche Entscheidung "abweichend von § 11 Abs. 1" getroffen werden konnte, zwischenzeitlich entfallen ist (vgl. das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015, BGBl. I 2015, S. 1386, 1389). Das Argument des Oberverwaltungsgerichts verliert hierdurch jedoch nicht gänzlich an Bedeutung. Denn der Gesetzgeber hat gleichzeitig in § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG die Möglichkeit geschaffen, die Beseitigung der Sperrwirkung in einem Aufhebungsverfahren zu erreichen, und dabei in Satz 2 der Vorschrift geregelt, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufgehoben werden soll, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. [...]