VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Beschluss vom 27.12.2018 - A 7 K 5461/18 - asyl.net: M26912
https://www.asyl.net/rsdb/M26912
Leitsatz:

Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach Albanien für eine junge Mutter, die in Albanien wegen ihres unehelichen Kindes von ihrem Vater und dem Kindsvater während der Schwangerschaft bedroht wurde und gezwungen werden sollte, die Schwangerschaft abzubrechen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Albanien, geschlechtsspezifische Verfolgung, Frauen, alleinerziehend, Zwangsabtreibung, offensichtlich unbegründet, Suspensiveffekt, Abschiebungsverbot, zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, interner Schutz, Schutzfähigkeit, Schutzbereitschaft,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 7,
Auszüge:

[...]

Es ist jedoch offen, ob die Abschiebungsandrohung im Hinblick auf die in dem angefochtenen Bescheid darüber hinaus getroffene Feststellung, dass kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt, rechtmäßig ist. Insoweit besteht für das Gericht noch Aufklärungsbedarf. Gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG soll von einer Abschiebung des Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60 Abs. 7 AufenthG setzt keine staatliche oder staatsähnliche Gewalt des Verfolgers voraus, sondern knüpft allein an eine erhebliche faktische Gefährdung an. Es kommt nicht darauf an, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird. Allerdings genügt allein eine theoretische Möglichkeit, das Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden, nicht. Für eine Schutzgewährung ist vielmehr erforderlich, dass eine einzelfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit besteht (vgl. Schleswig-Holsteinisches OVG, Urteil vom 27.01.2006 - 1 LB 22/05 -, NordÖR 2007, 326 m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs führt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Interessenabwägung dazu, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in dem angefochtenen Bescheid anzuordnen. Würde die Anordnung nicht erfolgen, wäre die Antragstellerin bei einer Abschiebung nach Albanien möglicherweise ganz erheblichen Gefahren ausgesetzt. Das öffentliche Vollzugsinteresse hat demgegenüber auch im Licht von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zurückzustehen. Falls die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren unterliegt, wäre lediglich die Abschiebung für einen gewissen Zeitraum verzögert worden.

Die Antragstellerin machte bei ihrer Anhörung beim Bundesamt am 26.04.2018 im Wesentlichen geltend, dass sie Albanien wegen Problemen mit ihrem Freund und ihrer Familie verlassen habe. Ihr Freund gehöre zu einem Klan mit mafiösen Strukturen, der auch sehr gute Beziehungen zu Behörden und der Polizei habe. Nachdem ihr Freund erfahren habe, dass sie schwanger sei, hätte er ihr gesagt, dass sie das Kind abtreiben solle. Auch ihr Vater sei für einen Schwangerschaftsabbruch gewesen, da alles andere eine Schande für die Familie gewesen wäre. Sowohl ihr Freund, als auch ihr Vater hätten gedroht sie umzubringen, falls sie das Kind nicht abtreiben lasse. Daraufhin habe sie das Land verlassen. Bei einer Rückkehr nach Albanien fürchte sie, von ihrem Vater oder dem Erzeuger ihres Kindes umgebracht zu werden.

Auf Grundlage dessen bestehen erhebliche Zweifel daran, dass für die Antragstellerin - aufgrund ihrer besonderen Situation - in Albanien keine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Zwar sind die albanischen Sicherheitsbehörden als Teil des albanischen Staates trotz nach wie vor bestehender Defizite grundsätzlich fähig und willig, vor einem befürchteten Schaden durch kriminelles Unrecht Schutz zu gewähren (vgl. § 3d Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG). Ob dies jedoch angesichts der glaubhaft geschilderten sehr gute Beziehungen der Familie des ehemaligen Freundes der Antragstellerin zu Behörden und der Polizei im Falle der Antragstellerin gilt, bedarf in diesem Zusammenhang einer genaueren Feststellung. Diese Aufklärung muss in einer mündlichen Verhandlung erfolgen. Weiterhin muss vor diesem Hintergrund in einer mündlichen Verhandlung aufgeklärt werden, ob die Antragstellerin sich - höchst ausnahmsweise - nicht gemäß § 3e AsylG auf internen Schutz verweisen lassen muss. Hierbei ist auch die besondere Situation der Antragstellerin als unverheiratete, alleinerziehende Mutter zu beachten, welche zudem nicht auf die Unterstützung ihrer Familie zurückgreifen kann. [...]