LG Hannover

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Zitieren als:
LG Hannover, Beschluss vom 18.01.2019 - 8 T 2/19 - asyl.net: M26923
https://www.asyl.net/rsdb/M26923
Leitsatz:

Unzulässige Haftanordnung wegen Verstoß gegen Beschleunigungsgrundsatz bei unzureichenden Vorbereitungsmaßnahmen:

Scheiterte ein vorangegangener Versuch zur Dublin-Überstellung daran, dass die zu überstellende Person Widerstand leistete, so müssen vor dem nächsten Abschiebungsversuch ausreichende Maßnahmen getroffen werden. Ansonsten wird der Beschleunigungsgrundsatz nach Art. 28 Abs. 3 Dublin-VO verletzt und hierdurch die Haftanordnung unrechtmäßig.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Abschiebung, Abschiebungsversuch, Widerstand, Beschleunigungsgebot, Überstellungshaft, Dublin,
Normen: VO 604/2013 Art. 2, FamFG § 58 Abs. 1, VO 604/2013 Art. 28 Abs. 2, VO 604/2013 Art. 28 Abs. 3 UAbs. 3, AufenthG § 2 Abs. 15 S. 1, AufenthG § 2 Abs. 14,
Auszüge:

[...]

2. Die Beschwerde ist begründet.

Der Betroffene ist zwar vollziehbar ausreisepflichtig. [...]

Auch Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin III-Verordnung stand der Anordnung von Haft nicht entgegen. Nach dem zwischenzeitlich ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 13. September 2017 (Khir Amayry, C-60/16, EU:C:2017:675, Rn. 39) gilt die in dieser Vorschrift vorgesehene Höchstfrist von sechs Wochen, innerhalb deren die Überstellung einer in Haft genommenen Person erfolgen muss, nur in dem Fall, dass sich diese bereits in Haft befindet, wenn eines der beiden in dieser Bestimmung angeführten Ereignisse (Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs oder das Ende der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung oder der Überprüfung einer solchen Entscheidung) eintritt (vgl. auch BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - V ZB 81/17, juris Rn. 3). Hier wurde die Haft aber erst nach der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs angeordnet. Daher findet die Sechs-Wochen-Frist des Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 Dublin III-Verordnung keine Anwendung.

Es ist jedoch der Beschleunigungsgrundsatz verletzt worden. Nach Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung ist die Haft so kurz wie möglich zu halten, sie darf nicht länger sein, als es bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung durchgeführt wird. Nach der o.a. Entscheidung des EuGH soll die betroffene Person nicht für einen Zeitraum in Haft genommen werden, der die Dauer von sechs Wochen, in denen die Überstellung effektiv vorgenommen werden konnte, erheblich überschreitet, da sich aus Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin III-Verordnung ergibt, dass dieser Zeitraum - u.a. aufgrund dessen, dass es sich bei dem mit dieser Verordnung eingeführten Verfahren zur Überstellung zwischen den Mitgliedstaaten um ein vereinfachtes Verfahren handelt - grundsätzlich ausreichend ist, damit die zuständigen Behörden die Überstellung vornehmen können (EuGH C-60/16, Rn. 45). [...]

Bereits am 07.11.2018 musste der Überstellungsversuch abgebrochen werden, weil sich der Betroffene weigerte, das Dienstfahrzeug zu verlassen. Mit derselben Situation hätte bei gebotener Sorgfalt bei dem Überstellungsversuch am 10.12.2018 gerechnet werden müssen, so dass bereits zuvor ausreichende Maßnahmen hätten getroffen werden müssen - sei es durch einen dritten Begleitbeamten oder andere zulässige Maßnahmen zur Überwindung des Widerstands. Es ist auch nicht erkennbar, dass nicht schon zu diesem Termin ein Charterflug hätte gebucht werden können. [...]