VG Stuttgart

Merkliste
Zitieren als:
VG Stuttgart, Beschluss vom 02.08.2018 - A 15 K 5484/18 - asyl.net: M26946
https://www.asyl.net/rsdb/M26946
Leitsatz:

Amtsermittlungspflicht des Bundesamtes bei Prüfung, ob Zweitantrag und Wiederaufgreifensgründe vorliegen:

1. Das Bundesamt muss den negativen Abschluss des Erstverfahrens belegen. Es darf sich nicht allein auf die Angaben der antragstellenden Person verlassen, da diese in der Regel keine verlässlichen Angaben zum Verfahrensablauf machen können. Macht die antragstellende Person widersprüchliche Angaben, muss das Bundesamt versuchen, diese Widersprüche aufzulösen (z.B. durch ein Info-Request).

2. Das Bundesamt kann das Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen nur beurteilen, wenn es über Kenntnis des Vorverfahrens, der dort angeführten Gründe und des dortigen Verfahrensablaufs einschließlich der jeweiligen Entscheidungen verfügt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Zweitantrag, Unzulässigkeit, Zulässigkeit, Amtsermittlung, Wiederaufnahme des Verfahrens, Erstantrag, Dublinverfahren, Asylantragstellung, Sachentscheidung, Info-Request
Normen: AsylG § 76 Abs. 4 S. 1, VwGO § 80, AsylG § 75, AsylG § 71a Abs. 1, AsylG § 71a Abs. 4, AsylG § 34 Abs. 1, AsylG § 36 Abs. 4 S. 1, AufenthG § 59, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, AsylG § 77 Abs. 1 S. 1, AsylG § 26a, VwVfG § 51 Abs. 1, VwVfG § 51 Abs. 2, VwVfG § 51 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

Der Antrag ist auch begründet. Prüfungsmaßstab für die Frage der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die auf § 71a Abs. 1 und Abs. 4, § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung ist § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG. Hiernach darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (vgl. auch Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG). Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1516/93 -, BVerfGE 94, 166 [Leitsatz 2.b)]).

Solche Zweifel bestehen hier. Es bestehen erhebliche Bedenken, ob die von der Antragsgegnerin gewählte Vorgehensweise, den von der Antragstellerin im Bundesgebiet gestellten Antrag als unzulässigen Zweitantrag zu bewerten, rechtmäßig ist. Die Voraussetzungen des § 71a Abs. 1 AsylG dürften hier nicht vorliegen. [...]

Es obliegt dem Bundesamt, den negativen Abschluss des Erstverfahrens im Rahmen der Amtsermittlungspflicht zu belegen. Bei der Prüfung nach § 71 a Abs. 1 AsylG, ob ein erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat vorliegt, darf sich das Bundesamt nicht allein auf die Angaben der Antragsteller zum Verlauf von Asylverfahren in anderen Mitgliedstaaten stützen. Denn diese haben in aller Regel den Verfahrensablauf nicht durchschaut und können dazu deshalb auch keine verlässlichen Angaben machen. Zudem kann das Bundesamt das Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen nur beurteilen, wenn es Kenntnis des Vorverfahrens, der dort angeführten Gründe und des dortigen Verfahrensablaufs einschließlich der jeweiligen Entscheidungen besitzt (vgl. VG München, Beschluss vom 16.01.2018 - M 21 S 17.44077 -, mit Verweis auf Bayerischer VGH, Urteil vom 20.10.2016 - 20 B 14.30320 - jeweils juris). [...]

Die Angaben des Antragstellers zum Verlauf seines Asylverfahrens sind vorliegend mangels hinreichender Belastbarkeit nicht geeignet, als hinreichend tragfähige Informationsquelle des Bundesamts angesehen werden zu können (vgl. dazu VG München, Beschluss vom 16.01.2018 - M 21 S 17.44077 -, mit Verweis auf Bayerischer VGH, Urteil vom 20.10.2016 - 20 B 14.30320 - jeweils juris). Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass der Antragsteller im Verfahren widersprüchliche Angaben gemacht hat. [...] Das Bundesamt hat es unterlassen, zu versuchen, diesen Widerspruch aufzuklären. Es hat auch trotz zweier Eurodac-Treffer Italien aus September 2015 kein Info-Request an die zuständige italienische Behörde gerichtet. [...]