VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 04.12.2018 - 5 C 18.2372 - asyl.net: M26961
https://www.asyl.net/rsdb/M26961
Leitsatz:

1. Somalische Identitätsnachweise (z.B. eine Geburtsurkunde) sind zu unzuverlässig, um Zweifel an der Identität infolge früherer Identitätstäuschung auszuräumen.

2. Eine Geburtsurkunde wird in Somalia aufgrund der eigenen Angaben der Person ausgestellt und hat daher keinen echten Beweiswert. Geburtsurkunden stellen daher nur ein Indiz für die Klärung der Identität dar.

3. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass es aufgrund der politischen Lage in Somalia unmöglich ist über amtliche Register Zugang zu verlässlichen Informationen zu erhalten.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Somalia, Einbürgerung, Täuschung über Identität, Identitätsnachweis, Zweifel an der Identität,
Normen: StAG § 10,
Auszüge:

[...]

9 Die Klärung der Identität eines jeden Einbürgerungsbewerbers ist grundsätzlich zwingende Voraussetzung einer Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG, weil die Einbürgerung nicht dazu dient, einer Person eine vollkommen neue Identität oder eine zusätzliche Alias-Identität zu verschaffen. Es besteht ein erhebliches staatliches Interesse daran zu verhindern, dass ein- und dieselbe Person im Rechtsverkehr mit mehreren unterschiedlichen Identitäten und amtlichen Ausweispapieren auftreten kann (BayVGH, B.v. 13.11.2014 - 5 ZB 14.1356 - juris Rn. 9; BVerwG, U.v. 1.9.2011 - 5 C 27.10 - BVerwGE 140, 311 = juris Rn. 11 f.). Diesen unverzichtbaren Nachweis hat der Einbürgerungsbewerber in der Regel durch Vorlage seines nationalen Reisepasses oder eines anderen Dokuments seines Heimatstaates mit Identifikationsfunktion zu führen. Hingegen bestehen ernsthafte und aufklärungsbedürftige Zweifel an der Identität, solange geeignete Identitätsdokumente seines Herkunftsstaates fehlen oder wenn er gefälschte Urkunden vorlegt (OVG NW, B.v. 13.9.2018 - 19 E 728/17 - juris Rn. 5). Wegen der erheblichen Missbrauchsgefahren bei einer völlig ungeprüften Übernahme der Identitätsangaben eines Antragstellers entfällt die Notwendigkeit der Identitätsprüfung im Einbürgerungsverfahren sogar bei anerkannten Flüchtlingen nicht, obwohl bei diesem Personenkreis typischerweise Beweisschwierigkeiten in Bezug auf ihre Identität bestehen. Dem wird lediglich durch Erleichterungen bei der Beweisführung, nicht aber durch einen generellen Verzicht auf die Identitätsfeststellung Rechnung getragen (BVerwG, U.v. 1.9.2011 - 5 C 27.10 - juris Rn. 16). Ist die Identität des Einbürgerungsbewerbers nicht geklärt, geht dies nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen zu dessen Lasten (BayVGH, B.v. 13.11.2014 - 5 ZB 14.1356 - juris Rn. 7; BVerwG, U.v. 27.7.2006 - 5 C 3.05 - BVerwGE 126, 283; OVG NW, U.v. 10.12.2015 - 19 A 2132/12 - juris Rn. 59).

10 Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Identität der Antragstellerin gegenwärtig trotz Vorlage der am 19. September 2017 von der Botschaft der Bundesrepublik Somalia in Berlin ausgestellten Geburtsurkunde als ungeklärt anzusehen. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens zur besonderen Situation in Somalia angesichts des Fehlens von effektiver Staatsgewalt und staatlichen Strukturen. Bei der Beurteilung, ob die Identität der Antragstellerin geklärt ist, ist zwar zu berücksichtigen, dass somalische Bürger Schwierigkeiten haben, ihre Identität nachzuweisen, weil keine Möglichkeit besteht, über amtliche Register verlässliche Auskünfte zu erhalten (vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amts zur asyl- und abschieberelevanten Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 7. März 2018 [Stand: Januar 2018], S. 22). Da Dokumente und Bestätigungen der somalischen Botschaft in der Regel nur auf Grundlage der Angaben der Antragsteller ausgestellt werden, werden diese von Einbürgerungsbehörden zumeist nicht für die Klärung der Identität von Einbürgerungsbewerbern anerkannt (s. auch Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zur rechtlichen Lage von somalischen Staatsbürgern in Deutschland, BT-Drs. 19/4022 vom 27. August 2018, S. 3 und 9). Ein förmliches Überprüfungsverfahren für somalische Urkunden besteht derzeit nicht (vgl. Auswärtiges Amt, Deutsche Botschaft in Kenia, Somalia und den Seychellen,  Urkundenüberprüfung, nairobi.diplo.de/ke-de/service/urkundenueberpruefung/1510466). Unter diesen Umständen sind somalische Personenstandsurkunden lediglich dazu geeignet, Anhaltspunkte zur Identität des jeweiligen Antragstellers und Indizien für die Klärung des Sachverhalts zu geben. Es ist im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden, ob die Identität des Einbürgerungsbewerbers auf der Grundlage der persönlichen Angaben des Betroffenen und der gegebenenfalls vorgelegten Dokumente als geklärt angesehen werden kann. [...]