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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 10.08.2018 - V ZB 123/18 - asyl.net: M26973
https://www.asyl.net/rsdb/M26973
Leitsatz:

Zur Aufklärungspflicht des Haftgerichts bei Zweifeln über die Minderjährigkeit im Rahmen der Anordnung von Abschiebungshaft:

"Zweifel an der Volljährigkeit eines Betroffenen, denen das Gericht gemäß § 26 FamFG nachzugehen hat, können sich auch aus der Anordnung einer Vormundschaft für ihn ergeben. Eine solche Anordnung schließt es aber nicht aus, dass der Haftrichter aufgrund der gebotenen sorgfältigen amtswegigen Sachaufklärung zu der Überzeugung gelangt, dass der Betroffene nach dem ausländer- und sicherungshaftrechtlich maßgeblichen deutschen Recht volljährig ist."

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Volljährigkeit, Abschiebungshaft, minderjährig, Altersfeststellung, Vormundschaft, unbegleitete Minderjährige, Amtsermittlung, Aufklärungspflicht, Sicherungshaft,
Normen: FamFG § 26, AufenthG § 61 Abs. 1 S. 3, AufenthG § 80 Abs. 3, S. 1, AufenthG § 62 Abs. 1 S. 3,
Auszüge:

[...]

Der in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG zulässige Antrag auf einstweilige Aussetzung der Vollziehung der Sicherungshaft bleibt in der Sache ohne Erfolg. [...]

Die Auffassung des Beschwerdegerichts, dass der auf einem zulässigen Haftverlängerungsantrag beruhenden Verlängerung der Sicherungshaft insbesondere das Alter des Betroffenen nicht entgegensteht, wird nicht zu beanstanden sein.

a) Allerdings kommt bei minderjährigen Ausländern dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Anordnung von Sicherungshaft wegen der Schwere des Eingriffs besondere Bedeutung zu (Senat, Beschlüsse vom 29. September 2010 - V ZB 233/10, NVwZ 2011, 320 Rn. 9 und vom 12. Februar 2015 - V ZB 185/14, InfAuslR 2015, 238 Rn. 5). [...]

b) Der Senat wird indes an die Feststellung des Beschwerdegerichts gebunden sein, dass der Betroffene das 18. Lebensjahr vollendet hat und damit im Sinne von § 62 Abs. 1 Satz 3, § 62a AufenthG volljährig ist (vgl. § 80 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, § 2 BGB).

aa) Bestehen Zweifel an der Volljährigkeit des Betroffenen, hat das Gericht gemäß § 26 FamFG den Sachverhalt aufzuklären. [...]

(2) Zweifel an der Volljährigkeit des Betroffenen können sich auch aus der Anordnung einer Vormundschaft für ihn ergeben. Eine solche Anordnung schließt es aber nicht aus, dass der Haftrichter aufgrund der gebotenen sorgfältigen amtswegigen Sachaufklärung zu der Überzeugung gelangt, dass der Betroffene nach dem ausländer- und sicherungshaftrechtlich maßgeblichen deutschen Recht volljährig ist. Das gilt insbesondere dann, wenn die Familiengerichte - wie hier - aufgrund der dargestellten Zweifelsregel eine vorläufige Vormundschaft angeordnet haben.

bb) Die gebotene summarische Prüfung ergibt, dass sowohl der Haftrichter als auch das Beschwerdegericht diesen Anforderungen gerecht geworden sind. Sie sind der Frage einer altersgerechten Unterbringung des Betroffenen nachgegangen und haben ihre Würdigung, der Betroffene habe das 18. Lebensjahr vollendet, auf das Gutachten des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf gestützt. Insbesondere das Beschwerdegericht hat sich auch mit den Erwägungen auseinandergesetzt, auf die das Familiengericht seine gegenteilige Einschätzung gestützt hatte. Es hat eingehend begründet, weshalb den Darlegungen in den wissenschaftlichen Gutachten demgegenüber der Vorzug zu geben ist, und dabei berücksichtigt, dass der Betroffene bei der Prüfung seines in der Schweiz gestellten, später aber zurückgenommenen Asylantrags im November 2016 mit dem Ziel, Minderjährigkeit vorzuspiegeln, als Geburtsdatum zunächst den 1. Januar 2000, sodann aber korrigierend den 1. Januar 1998 angegeben hatte. Von diesem Geburtsdatum gehen auch die Behörden des Heimatstaates des Betroffenen aus. Bei summarischer Prüfung werden dieses Vorgehen und die Würdigung im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zu beanstanden sein.