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VG Frankfurt/Oder

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Zitieren als:
VG Frankfurt/Oder, Urteil vom 07.12.2018 - 5 K 1915/16.A - asyl.net: M26979
https://www.asyl.net/rsdb/M26979
Leitsatz:

Äthiopische Staatsangehörigkeit eritreischer Volkszugehöriger bei Weiterwanderung nach Äthiopien vor Unabhängigkeit Eritreas:

1. Eritreische Volkszugehörige, die auf dem heutigen Gebiet Eritreas geboren, aber schon vor der Unabhängigkeit Eritreas nach Äthiopien weitergewandert sind, haben die äthiopische Staatsangehörigkeit. Sie können einen Asylantrag nicht auf eine Verfolgungsgefahr in Eritrea stützen.

2. Allein wegen der eritreischen Abstammung droht keine flüchtlingsrelevante Verfolgung. Denn es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der äthiopische Staat Personen eritreischer Abstammung die Staatsangehörigkeit entzieht, sie ausweist, ihnen die Einreise verweigert oder nach Eritrea abschiebt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Eritrea, Äthiopien, Staatsangehörigkeit, Unabhängigkeit, eritreische Abstammung, äthiopische Staatsangehörigkeit, Entziehung der Staatsangehörigkeit,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3a, AsylG § 3b, AsylG § 3c, AsylG § 3d,
Auszüge:

[...]

27 Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Denn die Kammer geht unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin und der vorliegenden Quellen, Stellungnahmen und Auskünften davon aus, dass die Klägerin jedenfalls die Staatsangehörigkeit Äthiopiens besitzt und dort vor politischer Verfolgung sicher ist. Mithin kommt es vorliegend auf die Frage, ob ihr in Eritrea eine politische oder sonstige Verfolgung droht, nicht an. Eine Abschiebung nach Eritrea ist nicht angedroht und / oder beabsichtigt.

28 Der Heimatstaat eines Asylbewerbers ist grundsätzlich nach dem jeweiligen Staatsangehörigkeitsrecht des in Frage kommenden Staates zu bestimmen, da Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit im Allgemeinen durch innerstaatliche Rechtsvorschriften geregelt werden. Mit ihrer nach eigenen Angaben der Klägerin im Jahre 1986 erfolgten Geburt in A..., Äthiopien, vormalige äthiopische Provinz Eritrea, und der insofern nach der damaligen Rechtslage entsprechenden Abstammung von äthiopischen Eltern hat die Klägerin nach dem seinerzeit geltenden äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetz aus dem Jahre 1930 unzweifelhaft zunächst die äthiopische Staatsangehörigkeit erworben. Denn zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin im Jahre 1983 existierte der Staat Eritrea noch nicht. Daher waren nach internationalem und äthiopischem Recht alle Personen äthiopischer, eritreischer oder gemischt äthiopisch-eritreischer Herkunft, die in Eritrea, Äthiopien und Drittländern lebten und die vor der Unabhängigkeit Eritreas im Jahre 1993 geboren worden sind, äthiopische Staatsbürger.

29 Diese Staatsangehörigkeit hat die Klägerin auch später nicht auf Grund der Entstehung des neuen, selbständigen Staates Eritrea bzw. wegen ihrer behaupteten und hier unterstellten eritreischen Abstammung verloren. Dies gilt zunächst unabhängig davon, ob sie nach der Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6. April 1992 (Pro. Nr. 21/1992) (vgl. Abdruck in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Eritrea) (zusätzlich) die eritreische Staatsangehörigkeit erworben hat. Denn nach dem bis Dezember 2003 gültigen äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetz aus dem Jahre 1930 verlor ein äthiopischer Staatsangehöriger seine Staatsbürgerschaft nur, wenn er diese auf eigenen Antrag hin wechselte und eine fremde Staatsangehörigkeit erwarb (vgl. VG Arnsberg, Urteil vom 24. Oktober 2014 – 12 K 1874/13.A –, juris). Einen solchen, zum Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit führenden Antragserwerb einer fremden Staatsangehörigkeit nahm die äthiopische Regierung bei solchen Personen, deren Eltern vor der Unabhängigkeit Eritreas auf dem nunmehr zu Eritrea gehörenden Staatsgebiet geboren wurden, nicht etwa generell an. Vielmehr bezog die äthiopische Anwendungspraxis hinsichtlich der maßgeblichen Regelungen des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1930 voluntative Elemente mit ein (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Februar 2010, - 8 A 72/08.A -). So erfolgte eine entsprechende Bewertung regelmäßig dann, wenn der Betreffende eine Beziehung zum eritreischen Staat durch entsprechende Handlungen, insbesondere durch die Teilnahme am Unabhängigkeitsreferendum, zum Ausdruck gebracht hatte (vgl. mit ausführlichen Belegen: Günter Schröder, Gutachten; Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Äthiopien). Der äthiopische Staat nahm eine Beziehung zum eritreischen Staat mit der Folge des Verlusts der äthiopischen Staatsangehörigkeit auch dann an, wenn die Person eine eritreische ID-Karte, die allein zur Teilnahme am eritreischen Unabhängigkeitsreferendum berechtigte, beantragte und erwarb, oder wenn die betreffende Person Geldzahlungen an den eritreischen Staat geleistet hatte (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Februar 2010 - 8 A 5 72/08.A -). [...]

35 Der Klägerin droht derzeit (§ 77 AsylG) auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung wegen einer drohenden Aussperrung durch den äthiopischen Staat. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch der Entzug der Staatsangehörigkeit eine asylerhebliche Verfolgung darstellen und zur Flüchtlingsanerkennung nach § 3 Abs. 1 AsylG führen kann. [...] Es gibt aktuell keinen Anhaltspunkt dafür, dass der äthiopische Staat Personen mit Bezug zu Eritrea die Staatsangehörigkeit entziehen will. Im Zuge der Annäherung der Regierungen Eritreas und Äthiopiens erfolgt auch keine Ausweisung von (vermeintlichen) Staatsangehörigen Eritreas durch Äthiopien. Ganz im Gegenteil wurden zwischenzeitlich die Grenzübergänge geöffnet, so dass eine große Zahl von Staatsangehörigen Eritreas nach Äthiopien gereist ist und dort einen Schutzstatus zugesprochen bekommt. Gemäß der aktuellen Erkenntnislage ist es zudem auch für Eritreer möglich, äthiopische Reisepapiere zu erlangen. Gemäß den vorliegenden Berichten ist die eritreische Abstammung kein Grund für die Verweigerung der Einreise nach Äthiopien. Abschließend ist festzuhalten, dass Personen eritreischer Herkunft in Äthiopien derzeit weder Deportationen noch andere Formen von relevanten Diskriminierungen befürchten müssen, so dass nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit eine diesbezügliche Verfolgung bei einer Rückkehr nach Äthiopien festgestellt werden kann. [...]