AG Hannover

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Zitieren als:
AG Hannover, Beschluss vom 16.01.2019 - 44 XIV 7/19 - asyl.net: M26991
https://www.asyl.net/rsdb/M26991
Leitsatz:

Einmaliges Nichtantreffen bei einem unangekündigten Abschiebungsversuch reicht nicht für Anordnung der Überstellungshaft aus:

Bei einer Person, die eine sog. Stubenarrestverfügung erhalten hat und am darauffolgenden Tag nicht für eine unangekündigte Überstellung in der Unterkunft anzutreffen war, sich ansonsten aber regelmäßig bei der Ausländerbehörde gemeldet und auch ihre persönlichen Gegenstände in der Unterkunft gelassen hat, ist nicht der Haftgrund der "erheblichen Fluchtgefahr" erfüllt. Dies ergibt sich auch aus dem Dublin-Leitfaden des BAMF.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Überstellungshaft, Überstellungsfrist, Fristverlängerung, Haftverlängerung, flüchtig, Abschiebungshaft, Stubenarrest, einmaliges Nichtantreffen, erhebliche Fluchtgefahr, Überstellung,
Normen: AufenthG § 2 Abs. 4 Nr. 1, AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 6, AufenthG § 50 Abs. 4, VO 604/2013 Art. 28,
Auszüge:

[...]

Die beantragte Verlängerung der durch Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig angeordneten Haft lässt jedoch in der Gesamtschau des vorliegenden Sachverhaltes begründete Umstände dafür erkennen, dass hier im Einzelfall nachfolgend benannte Gründe vorliegen, die gegen die Annahme einer Fluchtgefahr im Sinne von § 2 Abs. 14 Nr. 1,6 AufenthG zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 17.12.2018 sprechen und damit aktuell jedenfalls mit hinreichender Sicherheit - unter Berücksichtigung der Abschiebungshaft als ultima ratio - keine ausreichende Rechtsgrundlage dafür besteht, dem Verlängerungsbegehr stattzugeben; die aktuelle Widerstandshandlung des Betroffenen als möglicher Anwendungsfall gemäß § 2 Abs. 14 Nr. 5, 6 AufenthG heilt dabei auch nicht die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der nunmehr gemäß heutiger Antragstellung zu verlängernden Haftentscheidung des Amtsgerichts Braunschweig vom 17.12.2018 als die die Verlängerung ... tragende Grundentscheidung. Gegenwärtig kann nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass das Rechtsmittel des Verfahrensbevollmächtigten gegen den o.g. Grundbeschluss keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21.01.2010, V ZB 14/10). Folgende Zweifel an der Annahme einer "Fluchtgefahr" gemäß Beschlussfassung des Amtsgericht Braunschweig begründen vorliegend die sofortige Entlassung des Betroffenen aus der Haft.

Ausweislich der Ausländerakte wurde der Betroffene zwar zuletzt am ... 2018 nach § 50 Abs. 4 AufenthG belehrt und erhielt eine Ordnungsverfügung gemäß § 46 AufenthG. Ob jedoch infolge seines Nichtantreffens am nachfolgenden Überstellungstag, dem ...2018, bereits ein Verstoß nach § 2 Abs. 14 Nr. 1 AufenthG im Sinne eines "nicht nur vorübergehenden Wechsels seines Aufenthaltsortes" vorliegt, ist im hiesigen Fall nicht ausreichend aufgeklärt. Aus der Ausländerakte ergibt sich bislang, dass der Betroffene stets Kontakt zur Ausländerbehörde gehalten hat, und zu keinem Zeitpunkt vor und nach dem ... 2018 untergetaucht war. Noch bei seiner Vorsprache am ... 2018, erklärte der Betroffene zudem, ausreisewillig zu sein. Die unangekündigte Überstellung scheiterte sodann am ... 2019. Die Beamten vor Ort stellten dabei fest, dass der Betroffene nicht in seinem Zimmer und den Sanitäranlagen anwesend war. Zugleich wurde jedoch auch festgestellt, dass sich die persönlichen Gegenstände des Betroffenen noch in der zugewiesenen Unterkunft befanden. Der Betroffene selbst erklärte am ... 2018 vor dem AG Braunschweig, sich infolge Magenbeschwerden am ... 2018 infolge verdreckter Männer-WC lediglich auf dem Frauen-WC aufgehalten zu haben. Dieser Sachvortrag bleibt unwiderlegt. Auch erfolgte am ... 2018 keine Nachfrage bei der Heimleitung und den Zimmermitbewohnern, ob bzw. seit wann der Betroffene womöglich in der Unterkunft nicht nur vorübergehend abwesend, mithin unbekannten Aufenthaltes ist. Unklar ist mithin, ob der Betroffenen tatsächlich mit Erhalt der Ordnungsverfügung am ... 2018 alsdann flüchtig war, um sich gezielt etwaigen Überstellungsmaßnahmen zu entziehen. Bislang ist lediglich bekannt, dass der Betroffene beim ersten, Überstellungsversuch beim nicht angekündigten Termin am ... 2018 nicht angetroffen werden konnte.

Das Landgerichts Hannover hat bereits mit Beschluss vom 02.07.2018, Aktenzeichen 8 T 40/18), wie folgt ausgeführt: "§ 2 Abs. 14 Nr. 1 AufenthG setzt einen nicht nur vorübergehenden Wechsel des Aufenthaltsortes voraus, der bei bloßer Abwesenheit noch nicht (sicher) angenommen werden kann."

Dass der Betroffene im hiesigen Fall die Unterkunft vollständig verlassen hat, um sich der Überstellung nach Schweden zu entziehen, ergibt sich jedoch nicht zweifelsfrei aus den Vermerk der Beamten vom ... 2018.

Ein einmaliges Nichtantreffen bei einem unangekündigten Abschiebungsversuch reicht selbst nach dem Leitfaden Dublin-Verfahren des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge - Zusammenarbeit zwischen den Ausländerbehörden und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - aus April 2017 für die Annahme eines Untertauchens nicht per se aus. [...]

Letztlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass bereits die Anordnung der Abschiebungshaft, deren Verlängerung aktuell begehrt wird, zum Zwecke der Überstellung als "ultima ratio" vorliegend jedenfalls unverhältnismäßig war. [...]