VG Trier

Merkliste
Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 17.04.2018 - 6 K 8338/17.TR - asyl.net: M26994
https://www.asyl.net/rsdb/M26994
Leitsatz:

Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistan für Hazara, der aufgrund von Drogen- und Alkoholabhängigkeit psychische und physische Beeinträchtigungen hat:

1. Nach den UNHCR-Leitlinien ist davon auszugehen, dass es bei einer Rückkehr Unterstützung durch Familie oder Gemeinschaft bedarf. Eine Ausnahme ist nur zuzulassen bei alleinstehenden, leistungsfähigen Männern und verheirateten Paaren im arbeitsfähigen Alter ohne besonderen Schutzbedarf.

2. Eine solche Leistungsfähigkeit ist jedoch zu verneinen, wenn der Betroffene aufgrund von Drogen- und Alkoholabhängigkeit psychische und physische Probleme hat.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, Iran, faktischer Iraner, Hazara, Krankheit, Rauschmittel, Drogenabhängigkeit, Leistungsfähigkeit, familiäre Beistandsgemeinschaft, Unterstützung, Abschiebungshindernis, Abschiebungsverbot, zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, Alkoholabhängigkeit, Konvertiten, Existenzminimum, UNHCR, UNHCR-Richtlinien,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 7,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat allerdings Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG -. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. [...]

Dem Kläger wird es mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht gelingen, bei Rückkehr in sein Heimatland das für ihn erforderliche Existenzminimum zu gewährleisten, so dass er zeitnah in Lebensgefahr geraten würde. Afghanistan ist nach wie vor durch eine äußerst problematische wirtschaftliche Situation geprägt, die zu einer schwierigen Versorgungslage führt. Das Land ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. [...] Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 - UNHCR-Richtlinien -, S. 10) geht davon aus, dass es für eine Neuansiedlung grundsätzlich bedeutender Unterstützung durch die (erweiterte) Familie, die Gemeinschaft oder den Stamm bedarf. Die einzige Ausnahme von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar (vgl. UNHCR-Richtlinien a.a.O.; vgl. OVG RP, Beschluss vom 29. August 2017 - 8 A 10982/17.OVG -; BayVGH, Urteil vom 21. November 2014 - 13a B 14.30285 -, juris).

[...] Der Kläger gehört nicht zu der vom UNHCR in den Blick genommenen Personengruppe der alleinstehenden, leistungsfähigen Männer, die sich auch ohne Unterstützung durch den Familienverband u.a. durch Ausübung von Tagelöhnertätigkeiten ein Überleben in Afghanistan sichern kann. Losgelöst von der Tatsache, dass an der grundsätzlichen Einschätzung, wonach alleinstehende, erwerbsfähige Personen auch ohne Zuhilfenahme des Familienverbandes ein Existenzminimum sichern können, nichts ändert, wenn sich der Betroffene - wie der Kläger - langjährig im Iran aufgehalten hat und der Volksgruppe der Hazara angehört (vgl. hierzu etwa OVG RP, Beschluss vom 12. September 2017 - 8 A 11006/17.OVG - mit Verweis auf Urteil vom 13. Juni 2012 - 8 A 10377/12.OVG -), ist zu berücksichtigen, dass der Kläger aufgrund seines gesundheitlichen Gesamtzustandes nach Dafürhalten der Kammer in diesem speziellen Einzelfall nicht über die Möglichkeit verfügen wird, sich durch vornehmlich körperliche Arbeiten auf dem hart umkämpften afghanischen Arbeitsmarkt zu behaupten. Die von ihm vorgelegten Atteste zu den Erkrankungen, die er bereits in der Anhörung beim Bundesamt beschrieben hat, belegen gerade, dass er für schwere Arbeiten nicht in Betracht kommt. Er leidet noch immer unter dem schädlichen Einfluss von Rauschmitteln und Alkohol. Zudem bestehen erhebliche psychische Beeinträchtigungen, die bereits zu mehrtägigen Krankenhausaufenthalten geführt haben. Auch nach dem Eindruck der Kammer in der mündlichen Verhandlung kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich um einen leistungsfähigen jungen Mann handelt, der auf dem umkämpften afghanischen Arbeits- und Wohnungsmarkt Fuß fassen könnte. Vielmehr wirkte er stark gehandicapt, unselbständig und auf fremde Hilfe - vornehmlich seiner Schwester - angewiesen. Der Kläger hat zudem sowohl im Verwaltungs- als auch im gerichtlichen Verfahren glaubhaft angegeben, keinen erweiterten Familienverband in Afghanistan zu haben. Nach alledem wird der Kläger ein Existenzminimum in Afghanistan nicht gewährleisten können, so dass er in seinem Heimatland keine Lebensgrundlage mehr hätte. [...]