VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 30.10.2018 - A 13 K 804/16 - asyl.net: M27009
https://www.asyl.net/rsdb/M27009
Leitsatz:

1. Für die Rechtmäßigkeit einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (juris: AsylVfG 1992) kommt es nicht darauf an, ob der Betroffene im Falle einer Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefe, im einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK (juris: MRK) ausgesetzt zu werden (im Anschluss an OVG des Saarlandes, Urteil vom 13.12.2016 - 2 A 260/16) (Rn. 22).

2. Einer Verpflichtungsklage auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach erledigter Anfechtungsklage gegen eine Abschiebungsandrohung fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Kläger bereits über ein anderweitiges Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland verfügt, das ihm eine bessere Rechtsstellung gewährt als diejenige, die sich aus dem Erfolg seiner Klage ergeben würde. Eine nach Eheschließung mit einem Deutschen erteilte Aufenthaltserlaubnis (§ 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004)) erfüllt diese Voraussetzungen und führt daher zur Unzulässigkeit der Klage (Rn. 28).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Unzulässigkeit, internationaler Schutz in EU-Staat, Abschiebungsverbot, Rechtsschutzinteresse, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, Wegfall des Rechtsschutzinteresses, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, EMRK Art. 3
Auszüge:

[...]

22 2.2.3 Dabei kommt es entgegen der Auffassung des Klägers nicht darauf an, ob er im Falle einer Überstellung nach Bulgarien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Weder das Unionsrecht noch das deutsche Recht sehen vor, dass diese Frage im Rahmen der Unzulässigkeitsentscheidung zu berücksichtigen ist.

23 Denn ungeachtet dessen, wie sich die tatsächlichen Verhältnisse für international Schutzberechtigte in Bulgarien darstellen, hat der Kläger als anerkannter Schutzberechtigter keinen Anspruch auf die erneute Zuerkennung internationalen Schutzes durch die Beklagte (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.06.2014 – 10 C 7.13 –, juris, Rn. 28 f.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.08.2016 – 13 A 63/16.A. –, juris, Rn. 40 f. und Beschluss vom 10.11.2016 – 11 A 548/16.A –, juris, Rn. 8; OVG des Saarlandes, Urteil vom 13.12.2016 – 2 A 260/16 –, juris, Rn. 22 ff.).

24 Der entgegenstehenden Auffassung (vgl. Hessischer VGH, Urteil vom 04.11.2016 – 3 A 1292/16.A –, juris, Rn. 19 ff. [nicht rechtskräftig]; die Auffassung des Hessischen VGH ebenfalls ablehnend das Bundesverwaltungsgericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen, vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage vom 02.08.2017 – 1 C-37.16 [beim EuGH anhängig unter C-540/17] –, juris, Rn. 22-25) schließt sich das erkennende Gericht nicht an. Denn das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS), und darin insbesondere das dem materiellen Asylverfahren vorgeschaltete Dublin-System, basiert auf dem Grundsatz, dass ein einzelner Mitgliedstaat für die Durchführung des Verfahrens und die Entscheidung über den Asylantrag zuständig ist (vgl. Filzwieser/Sprung Dublin III-Verordnung, 2014, Art. 3 Dublin-III-VO Rn. K5; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Thym EUV/AEUV, 64. EL Mai 2018, Art. 78 AEUV Rn. 3 f.). Damit wird das Verfahren beschleunigt und vermieden, dass in unterschiedlichen Mitgliedstaaten doppelt geprüft und in der gleichen Sache unter Umständen divergierend entschieden wird. Ferner wird der Anreiz genommen, dass Schutzsuchende versuchen, sich aus in mehreren Mitgliedstaaten getroffenen Entscheidungen die für sie günstigste auszuwählen.

25 Eine Sachprüfung von Zweitanträgen soll daher auch nach der Konzeption der Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG, § 26a Abs. 1 AsylG bei "sicheren Drittstaaten", zu denen Bulgarien als EU-Mitgliedstaat ipso iure zählt, nicht erfolgen. Daher ist das Bundesamt nach § 60 Abs. 1 S. 3 AufenthG nur zu einer sachlichen Prüfung des Asylantrags verpflichtet, wenn nicht – wie vorliegend geschehen – bereits ein anderer Staat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat. Die unbedingte Geltung menschenrechtlicher Mindestgewährleistungen droht dieses Ergebnis freilich nicht in Frage zu stellen: Mithilfe nationaler Abschiebungsverbote und der Gewährung ausländerrechtlicher Aufenthaltstitel werden die deutschen Behörden und Gerichte in die Lage versetzt, drohende Menschenrechtsverletzungen und unzumutbare Rückführungen zu vermeiden und abzuwenden (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage vom 02.08.2017 – 1 C 37.16 –, juris, Rn. 24). [...]

28 Denn dem Kläger fehlt derzeit das Rechtsschutzinteresse an der grundsätzlich als Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO) statthaften Klage. Wer wie der Kläger über ein anderweitiges Bleiberecht in Deutschland verfügt, das ihm eine bessere Rechtsstellung gewährt, als er sie mit der Klage auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses erreichen kann, kann das für jedweden gerichtlichen Rechtsbehelf erforderliche Rechtsschutzinteresse nicht geltend machen (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 – 1 C 5.01 –, juris, Rn. 9; Hofmann/Möller/Stiegeler, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 AufenthG Rn. 49).

29 Insofern hat der Kläger aufgrund der ihm am 02.08.2018 erteilten Aufenthaltserlaubnis kein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der begehrten gerichtlichen Entscheidung. Der Besitz dieses Aufenthaltstitels gewährt ihm ein gesichertes Bleiberecht mit Verlängerungs- und Verfestigungsanspruch (vgl. § 28 Abs. 2 AufenthG), das die Ausreisepflicht entfallen lässt (§ 50 Abs. 1 AufenthG). Selbst im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwächst dieses unter den Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 und 2 AufenthG in ein eigenständiges Aufenthaltsrecht. [...]