Keine Notwendigkeit einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung im Haftverfahren; zur Fesselung im Krankenhaus:
1. Tritt bei einer bereits inhaftierten Person eine behandlungsbedürftige Erkrankung auf, so ist es die Pflicht der haftbeantragenden Behörde, weitere Informationen etwa über die Reisefähigkeit einzuholen und die notwendigen Maßnahmen bis hin zur Entlassung aus der Abschiebungshaft zu treffen.
2. Im Abschiebungshaftverfahren kommt es nicht darauf an, ob Betroffene eine den Vorgaben des § 60a Abs. 2 c AufenthG genügende qualifizierte ärztliche Bescheinigung vorlegen können oder nicht.
3. Eine Fesselung an das Gestell des Krankenhausbettes während der Behandlung in dem Zeitraum, für den die Inhaftierung angeordnet ist kann als Einzelmaßnahme des Vollzugs nicht Gegenstand des Freiheitsentziehungsverfahrens sein. Die Art und Weise der Haftvollstreckung macht die Haftanordnung somit nicht rechtswidrig und schlägt auch nicht auf die Haftanordnung durch.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
a) Maßgeblich ist insoweit, dass die Betroffene bereits im Rahmen der Anhörung durch das Amtsgericht am 23.05.2018 in Gegenwart eines Vertreters der beteiligten Behörde angegeben hat, etwa in der sechsten Schwangerschaftswoche schwanger zu sein, und bereits am darauffolgenden Morgen des 24.05.2018 in der Justizvollzugsanstalt Hannover - Abteilung Langenhagen - über Unterleibsschmerzen und Blutungen klagte und nach einer Untersuchung durch einen externen Notarzt in das Klinikum ... verlegt wurde, wo ein Abortus incompletus und eine Entzündung der Gebärmutterschleimhaut diagnostiziert wurden, weswegen dort noch am selben Tat eine Saug- und Nachcurettage durchgeführt wurde. Diese neu eingetretene Sachlage hätte die beteiligte Behörde als Herrin des Verfahrens zum Anlass nehmen müssen, unverzüglich abzuklären, ob angesichts dieser Entwicklung und des sich daraus ergebenden veränderten gesundheitlichen Zustandes der Betroffenen noch eine Reisefähigkeit der Betroffenen vorlag und deren Überstellung nach Schweden bis zum 12.06.2018 als letztmöglichen Termin überhaupt noch durchgeführt werden konnte, auch wenn sie den Angaben der Betroffenen keinen Glauben geschenkt haben mag, nachdem mehrfach in Angriff genommene Überstellungsversuchen allein wegen des Verhaltens der Betroffenen gescheitert waren und eine Überstellung nur noch bis zum 12.06.2018 möglich war. Dies hat sie unter Verstoß gegen ihre Pflicht zur Amtsermittlung des Sachverhalts jedoch nicht hinreichend getan.
b) Die antragstellende Behörde ist aufgrund des öffentlich-rechtlichen Verhältnisses zu der Betroffenen verpflichtet, während des Verwaltungsvollzugs in geeigneter Weise eigenständig den Fortbestand der gesetzlichen Voraussetzungen der Freiheitsentziehung zu überwachen. Ergibt sich ein Sachverhalt, aufgrund dessen sich für die Behörde der Schluss aufdrängen muss, dass die Voraussetzungen für die Freiheitsentziehung nicht mehr vorliegen, kann die Behörde sich nicht darauf beschränken, einen Antrag der Betroffenen auf Aufhebung der Freiheitsentziehung abzuwarten oder selbst dem Gericht eine Mitteilung zu machen, die dort gegebenenfalls im Rahmen der amtswegigen Entscheidung zur Aufhebung der Freiheitsentziehung führt. Vielmehr ist die Behörde verpflichtet, unverzüglich selbst für die Freilassung der Betroffenen zu sorgen und das Gericht davon zu unterrichten. Die Behörde als Herrin des Verfahrens muss daher sicherstellen, dass sie unverzüglich Mitteilung erhält, wenn die Voraussetzungen der weiteren Abschiebungshaft zweifelhaft werden. Aus dem Beschleunigungsgebot in Abschiebungshaftsachen ergibt sich, dass nach Wegfall der Haftvoraussetzungen seitens der antragstellenden Behörde unverzüglich das für eine Entlassung Erforderliche veranlasst werden muss, und zwar auch dann, wenn sie sich anderer Behörden im Wege der Rechtshilfe bedient. Denn die Abschiebungshaft dient ausschließlich zur Sicherung der Durchführung der Abschiebung. Ist die Abschiebung aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen, würde die Fortsetzung der Haft einen unzulässigen Sanktionscharakter annehmen.
c) Ausgehend von den vorstehenden Grundsätzen konnte sich die beteiligte Behörde als Herrin des Verfahrens nach der rechtmäßigen Haftanordnung vom 23.05.2018 weder darauf beschränken, von der Betroffenen auf der Grundlage und unter Hinweis auf § 60 a II c AufenthG die Glaubhaftmachung ihrer Erkrankung durch Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung zu verlangen, noch sich darauf verlassen, dass das Amtsgericht die erforderlichen Ermittlungen durchführt und auf der sich dann ergebenden Grundlage die notwendigen Maßnahmen veranlasst. Als Herrin des Verfahrens musste sie vielmehr insbesondere angesichts der von der Betroffenen im Rahmen der Anhörung durch das Amtsgericht angegebenen Schwangerschaft dafür Sorge tragen, dass sie bei einer erheblichen Veränderung der Sachlage, d.h. vor allem des gesundheitlichen Zustandes der Betroffenen, die erforderlichen Informationen erhält und die notwendigen Maßnahmen bis hin zu einer Entlassung der Betroffenen aus der Abschiebungshaft trifft, wenn sich herausstellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Freiheitsentziehung nicht mehr vorliegen. Denn sie war aufgrund des öffentlich-rechtlichen Verhältnisses zu der Betroffenen verpflichtet, während des Vollzugs der Abschiebungshaft in geeigneter Weise eigenständig den Fortbestand der gesetzlichen Voraussetzungen der Freiheitsentziehung zu überwachen. Wenn sie dies in hinreichender Art und Weise getan hätte, hätte sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits am 24.05.2018 ein Sachverhalt ergeben, aufgrund dessen sich für sie der Schluss hätte aufdrängen müssen, dass die Voraussetzungen für den Vollzug der Abschiebungshaft nicht mehr vorliegen, weil wegen des gesundheitlichen Zustandes der Betroffenen und deren deswegen bis zum 14.06.2018 fehlender Reisefähigkeit eine Überstellung nach Schweden bis zum 12.06.2018 als letztmöglichem Termin nicht mehr in Betracht kam. Dass eine solche Überstellung wegen des gesundheitlichen Zustandes der Betroffenen nicht mehr in Betracht kam, ergibt sich aus der Ärztlichen Bescheinigung des Ärztlichen Dienstes der Justizvollzugsanstalt Hannover - Abteilung Langenhagen - vom 25.05.2018, wonach die Betroffene bis voraussichtlich 14.06.2018 nicht reisefähig war, und dessen Arztbericht vom 01.06.2018, aus dem sich ergibt, dass die Betroffene zeitnah noch einem Kardiologen und einem Gynäkologen vorgestellt werden sollte und aus ärztlicher Sicht vorerst keine Reise- und Flugtauglichkeit bis voraussichtlich zum 14.06.2018 gegeben ist, und der dem Amtsgericht Veranlassung gab, am 01.06.208 die Haftanordnung vom 23.05.2018 aufzuheben.
d) Der Umstand, dass die Ärztliche Bescheinigung vom 25.05.2018 und der Arztbericht nicht die Anforderungen einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung im Sinne des § 62 II c AufenthG erfüllen, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Denn diese Vorschrift ist im vorliegenden Zusammenhang nicht einschlägig. Denn dort geht es um die von der Betroffenen auszuräumende Vermutung, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Hier geht es darum, dass nach der ursprünglich rechtmäßigen Haftanordnung durch Beschluss des Amtsgerichts vom 23.05.2018 und begonnenem Vollzug der Abschiebungshaft eine erhebliche Veränderung des gesundheitlichen Zustandes der bereits inhaftierten Betroffenen eingetreten ist, die der beteiligten Behörde - wie bereits ausgeführt - aufgrund ihres durch die Freiheitsentziehung begründeten öffentlich-rechtlichen Verhältnisses zu der Betroffenen und der damit verbundenen Verpflichtung zur eigenständigen Überwachung des Fortbestandes der gesetzlichen Voraussetzungen der Freiheitsentziehung durch die Abschiebungshaft Veranlassung zum Handeln geben musste, weil sich der Schluss aufdrängen musste, dass die Voraussetzungen für die Freiheitsentziehung nicht mehr vorliegen (könnten). Die beteiligte Behörde durfte sich nicht darauf beschränken, einen Antrag der Betroffenen auf Aufhebung der Freiheitsentziehung oder das Ergebnis der sorgfältigen und umfangreichen Ermittlungen des Amtsgerichts abzuwarten, sondern musste vielmehr selbst tätig werden, um den seit dem 24.05.2018 erheblich veränderten Sachverhalt aufzuklären und dann die notwendigen Maßnahmen zu veranlassen. Dies hat sie - wie bereits ausgeführt - nicht hinreichend getan, sondern es pflichtwidrig unterlassen, die Freiheitsentziehung am 24.05.2018 zu beenden. Da eine von der Behörde pflichtwidrig unterlassene Beendigung der Freiheitsentziehung Gegenstand eines Antrags auf Feststellung der Rechtsverletzung durch den Vollzug der Freiheitsentziehung für den davon betroffenen Zeitraum sein kann, ist vorliegend festzustellen, dass der Vollzug der Abschiebungshaft aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Stade vom 23.05.2018 die Betroffene in der Zeit vom 24.05.2018 bis zum 01.06.2018 in ihren Rechten verletzt hat.
c) Die Beschwerde ist ebenfalls nicht begründet, soweit die Betroffene sie darauf stützt, dass sie im Klinikum ... auf entsprechende Anordnung der Justizvollzugsanstalt Hannover - Abteilung Langenhagen - vom 25.05.2018 über die Bewachung durch zwei Bedienstete der Justizvollzugsanstalt in ihrem Zimmer hinaus in der Zeit bis zum 28.05.2018, 20:00 Uhr, mit einem Fuß an das Bettgestell gefesselt war. Zum einen kommt es bereits von vornherein nicht mehr darauf an, ob allein diese Fesselung und mithin die Art und Weise der Haftvollstreckung die Haftanordnung rechtswidrig macht und insofern auf die Haftanordnung durchschlägt. Denn es ist bereits aus den unter Ziffer 1. vorstehenden Gründen festzustellen, dass der Beschluss des Amtsgerichts Stade vom 23.05.2018 die Betroffene in der Zeit vom 24.05.2018 bis zum 01.06.2018 in ihren Rechten verletzt hat, und es ist weder von der Betroffenen vorgebracht worden noch sonst ersichtlich, dass die Fesselung bereits vor dem 24.05.2018 erfolgt wäre. Zum anderen ist die in Form der Fesselung angeordnete Sicherheitsmaßnahme von vornherein auch nicht Gegenstand des vorliegenden Freiheitsentziehungsverfahrens. Denn die gesetzliche Unterscheidung zwischen dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in dem eine Freiheitsentziehung angeordnet worden ist, und dem anschließenden Verwaltungsvollzug führt im Grundsatz dazu, dass Einzelmaßnahmen des Vollzugs nicht Entscheidungsgegenstand des Freiheitsentziehungsverfahrens sein können (vgl. BGH FGPrax 2015, 40 mwN.; Keidel/Budde, FamFG, 19. Aufl., § 422 Rdnr. 10). Dementsprechend macht nicht allein die Art und Weise der Haftvollstreckung die Haftanordnung rechtswidrig und schlägt nicht auf die Haftanordnung durch. [...]