OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 22.10.2002 - 2 L 2583/00 - asyl.net: M2705
https://www.asyl.net/rsdb/M2705
Leitsatz:

Keine hinreichende Gefahr unmittelbarer oder mittelbarer Verfolgung in Syrien wegen christlichen Glaubens; keine hinreichende Verfolgungsgefahr, wenn die Taufe lediglich als Bestätigung des christlichen Bekenntnisses, nicht jedoch als Apostasie vom Islam angesehen wird; Bestrafung wegen Desertion nicht asylrelevant, wenn der Betroffene nicht als Regimegegner hervorgetreten ist; keine hinreichende Verfolgungsgefahr wegen illegaler Ausreise und Asylantrag in Deutschland.

Schlagwörter: Syrien, Christen, religiös motivierte Verfolgung, Konversion, Apostasie, Glaubwürdigkeit, Mischehe, Militärdienst, Gruppenverfolgung, Desertion, illegale Ausreise, Antragstellung als Asylgrund, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53
Auszüge:

[...]

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg; denn dem Kläger kann der von ihm begehrte - im Berufungsrechtszug nur noch streitige - Abschiebungsschutz nach den §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG nicht gewährt werden, auch ist die Abschiebungsandrohung (nach Syrien) in dem angefochtenen Bescheid vom ... Oktober 1997 nicht zu beanstanden. [...]

2. 1 Der Kläger ist nicht vorverfolgt ausgereist. [...]

2.1.1 Soweit sich der Kläger für eine ihm vor der Ausreise drohende bzw. teilweise schon erlittene politische Verfolgung auf sein offenes Bekenntnis zum Christentum beruft, kann dies nicht zur Annahme einer Vorverfolgung führen.

2.1.1.1 Der Senat kann offen lassen, ob die Behauptung des Klägers, er sei im Gegensatz zu seiner Schwester nicht bei seiner Geburt getauft worden, der Wahrheit entspricht; denn auch wenn eine Taufe des Klägers als Erwachsenentaufe im Kloster (...) erst im (...) stattgefunden hat, ist diese Taufe nach der Überzeugung des Senats nicht unter Umständen geschehen, die als Provokation der muslimischen Mehrheitsbevölkerung aufgefasst werden konnte, mithin sich hieraus für den Kläger keine Verfolgungsgefahren ergeben konnten. Der Kläger war nach eigenem Bekunden in einer muslimisch-christlichen Mischehe aufgewachsen, auch war seine Schwester sogar bereits bei ihrer Geburt getauft worden. Vor diesem Hintergrund, erscheint es dem Senat auch nach den von ihm als überzeugend angesehenen Ausführungen des in dieser Sache eingeholten Gutachtens des Deutschen Orient-Instituts vom 31. März 2001 nur plausibel, dass sich der die Taufe vollziehende Priester des Klosters Sidnaya hinreichend über die christliche Herkunft des Klägers vorab, d.h. vor dem Taufvorgang informiert hat und dass dieser Priester in der dann vollzogenen (Erwachsenen-)Taufe lediglich eine Bekräftigung der christlichen Religionszugehörigkeit des Klägers, nicht aber eine Konversion des Klägers vom Islam zum Christentum gesehen hat. Wenn der Kläger demgegenüber behauptet, die Taufe sei durch einen Bekannten ("Kumpel") lediglich wie eine rasch abrufbare Dienstleistung vermittelt worden, insbesondere habe vor der Taufe ein Taufgespräch mit dem Priester nicht stattgefunden, der nur froh darüber gewesen sei, zusätzlich einen Christen taufen und gewinnen zu können, so vermag dem der Senat keinen Glauben zu schenken. Diese Behauptung widerspricht nämlich in eklatanter Weise dem Selbstverständnis der christlichen Kirchen in Syrien (vgl. hierzu Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 11.3.2002, S. 8), die darauf bedacht sind bedacht sein müssen, das Verhältnis zu den staatliche Institutionen, aber auch und gerade zu der muslimischen Mehrheitsbevölkerung und deren religiösen Repräsentanten nicht durch die provokative, sei es auch nur durch eine leichtfertig vorgenommene Taufe eines Apostaten zu belasten, wie dies das Deutsche Orient-Institut in seinem Gutachten vom 31. März 2001 überzeugend ausgeführt hat. Gerade weil die Taufe des Klägers in (...) nach dessen Erklärungen nicht im Verborgenen stattgefunden haben soll, sondern unter Anteilnahme einer über den engsten Bekanntenkreis hinausgehenden interessierten Öffentlichkeit und weil es sich bei dem Kloster (...) um eine der berühmtesten Kirchenanlagen der griechisch-orthodoxen Kirche in Syrien, nicht aber um eine abgelegene, der interessierten Öffentlichkeit verborgene Kirche handelt, muss sich der Priester, der die Taufe an diesem exponierten Ort vollzogen hat, Gewissheit darüber verschafft haben, dass es sich bei dem Kläger nicht um die Taufe eines Apostaten gehandelt hat und dass der Taufakt von der interessierten Öffentlichkeit (s. o.) auch nicht als Apostatentaufe eingeschätzt werden würde (sondern nur als - bekräftigende - Taufe eines ohnehin der christlichen Religionsgemeinschaft schon seit langem zugehörigen Täuflings). Verhält es sich aber so, so können sich aus der Taufe des Klägers in (...) für ihn entgegen seiner Behauptung nicht Verfolgungsgefahren als Konvertit/Apostaten ergeben haben.

2.1.1.2 Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang behauptet, er sei bei seinem Versuch, seine Taufe beim Standesamt registrieren zu lassen, für zwei Tage inhaftiert und von einem Richter mit dem Tode bedroht worden, falls er - der Kläger - nicht "wieder zum Islam" zurückkehre, so vermag der Senat dem ebenfalls keinen Glauben zu schenken. [...]

2.1.2. Auch soweit der Kläger behauptet, wegen seiner Religionszugehörigkeit während seines Militärdienstes in ... (vor-)verfolgt worden zu sein, vermag der Senat dem ebenfalls keinen Glauben zu schenken, auch insoweit hat der Senat die Überzeugung gewinnen müssen, dass der Kläger nicht glaubwürdig ist. [...]

2.2 Dem somit unverfolgt aus Syrien ausgereisten Kläger droht auch bei Rückkehr nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - dieser Maßstab ist beim Fehlen einer Vorverfolgung anzuwenden (s. Tz. 1) - politische Verfolgung, so dass er auch deshalb die Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht beanspruchen kann.

2.2.1 Soweit es um das Bekenntnis des Klägers zum Christentum geht, droht ihm hieraus nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in sein Heimatland politische Verfolgung.

2.2.1.1 Schon im Zusammenhang mit der Frage der Vorverfolgung ist dargelegt worden, dass der Kläger in Syrien selbst mit Rücksicht auf eine in (...) als Erwachsener empfangene Taufe (als griechisch-orthodoxer Christ) nicht als Apostat anzusehen sein wird, zumal der Taufvorgang, auch wenn er sich in dem berühmten Kloster von (...) ereignet hat, nunmehr (...) Jahre zurückliegt. [...]

2.2.1.2 Droht dem Kläger damit wegen seiner Religionszugehörigkeit aus individuellen Gründen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung, so kann eine solche auch nicht unter dem Gesichtspunkt der gruppengerichteten Verfolgung angenommen werden. Es entspricht nämlich der ständigen Rechtsprechung des Senats (Urt. v. 17.8.1993 - 2 L 664/91 - u. v. 23.4.1996 - 2 L 4624/92 - UA, S. 13; Beschl. v. 21.4.1998 - 2 L 4607/97 - Beschl. v. 15.6.1998 - 2 L 198/96 - , Beschl. v. 11.8.1998 - 2 L 3072/98 -), die ebenfalls mit der gefestigten Rechtsprechung anderer Obergerichte übereinstimmt (s. z.B. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.5.1998 - A 2 S 28/198 - BayVGH, Urt. v. 5.10.1992 - 19 B 90.31673 - ; Beschl. v. 4.11.1999 - 19 ZB 99.32740; Beschl. v. 22.3.2000 - 12 ZB 99.32931 -), dass die Minderheit der Christen in Syrien weder einer unmittelbaren noch einer mittelbaren, dem syrischen Staat zurechenbaren (staatlichen) politischen Verfolgung ausgesetzt ist. Eine Diskriminierung der Christen findet in Syrien durch staatliche Stellen nicht statt, auch ist der syrische Staat bemüht, kommt es überhaupt zu Übergriffen einzelner Araber gegenüber Christen, diesem Einhalt zu gebieten, so dass die staatliche Schutzbereitschaft ebenfalls gegeben ist. Diese Einschätzung entspricht auch den Gutachten des Deutschen Orient-Instituts (Gutachten v. 30.6.1999 an das VG Gießen v. 31.3.2001, S. 6 an das Nds. OVG - in dieser Sache) sowie dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes (v. 11.3.2002, S. 8 f.).

2.2.2 Eine dem Kläger - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - im Falle der Rückkehr nach Syrien drohende politische Verfolgung ist auch insoweit zu verneinen, als der Kläger Syrien illegal verlassen, in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat und er - möglicherweise - wegen Desertion mit Bestrafung in Syrien zu rechnen hat.

2.2.2.1 Nach der ebenfalls ständigen Rechtsprechung des Senats (s. z. B. die Urt. v. 22.6.1999 - 2 L 666/98 - u. - 2 L 670/98 - sowie v. 27.3.2001 - 2 L 5117/97 -; Beschl. v. 5.10.1999 - 2 L 3034/99 - u. v. 2.12.1999 - 2 L 4261/99 -) und der Rechtsprechung an derer Obergerichte (s. etwa OVG NW, Urt. v. 21.4.1998 - 9 A 6597/95.A - ; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.5.1998 - A 2 S 28/98 - ; Bremisches OVG, Urt. v. 12.4.2000 - OVG 2 A 467/99.A - ; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 6.5.2002 - 3 Q 51/01 -) begründet die illegale Ausreise aus Syrien und die Stellung eines Asylantrages in Deutschland bei Personen, die als Oppositionelle oder auf andere Weise wie hier der Kläger - da der Kläger gerade nicht als Apostat angesehen werden wird, ist er auch in sonstiger Weise nicht in besonderem Maße hervorgetreten - nicht besonders hervorgetreten und damit nicht in das Blickfeld der syrischen Stellen geraten sind, nicht die Gefahr, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei der Rückkehr nach Syrien asylrechtlich bedeutsamen Maßnahmen des syrischen Staates ausgesetzt zu sein.

2.2.2.2 Auch die dem Kläger - möglicherweise - bei Rückkehr drohende Bestrafung wegen Desertion kann nicht dazu führen, ihm Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zuzubilligen. Die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung/Desertion kann nur dann eine politische Verfolgung darstellen, wenn sie neben der Ahndung kriminellen Unrechts in Gestalt der Missachtung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten (hier zur vollen Ableistung des Wehrdienstes) auch und gerade darauf ausgerichtet ist, den Rückkehrer wegen eines asylerheblichen Persönlichkeitsmerkmals zu treffen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.12.1985 - 2 BvR 361, 449/83 -, BVerfGE 71, 276 (294) ; BVerwG, Urt. v. 24.11.1992 - BVerwG 9 C 70.91 - DVBl. 1993, 325). Dies lässt sich nach der Rechtsprechung des Senats (s. z.B. das Urt. v. 22.6.1999 - 2 L 666/98 u. die Beschl. v. 20.10.1999 - 2 L 532/97 - u. v. 24.7.2002 - 2 L 5835/97 -) bei Personen, die sich lediglich der weiteren Ableistung des Wehrdienstes in Syrien entzogen haben, ansonsten aber nicht - als Oppositionelle oder auf andere Weise - als Regimegegner hervorgetreten, nicht feststellen. Vielmehr erfolgt bei diesen Fahnenflüchtigen in Syrien lediglich eine Bestrafung wegen Missachtung ihrer staatsbürgerlicher Verpflichtungen in einem Umfang und in einer Art und Weise, wie sie auch in anderen Staaten üblich ist und die einen sog. Politmalus nicht erkennen lässt. So wird es sich bei Einschätzung des Senates auch bei dem Kläger, sollte er wegen Desertion belangt werden, verhalten; denn der Kläger ist, wie dies schon mehrfach ausgeführt wurde, nicht, auch nicht wegen seines Bekenntnisses zum Christentum, in besonderer Weise für die syrischen Stellen hervorgetreten.

3. Aus der rechtlichen Würdigung des im vorliegenden Fall - als nur glaubhaft gemacht - zu Grunde zu legenden Sachverhalts folgt zugleich, dass zu Gunsten des Klägers auch keine Abschiebungshindernisse i.S. des § 53 AuslG bestehen. [...]