OVG Thüringen

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Zitieren als:
OVG Thüringen, Urteil vom 21.12.2018 - 3 KO 337/17 - asyl.net: M27079
https://www.asyl.net/rsdb/M27079
Leitsatz:

1. Auf Grundlage des aktuellen Erkenntnismaterials gelangt der Senat zur Überzeugung, dass eine Mutter mit zwei Kleinkindern (4 und 6 Jahre), der in Bulgarien bereits Flüchtlingsschutz gewährt wurde, im Falle ihrer Rücküberstellung in ihrer spezifischen Lebenssituation mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit eine Art. 3 EMRK verletzende Behandlung ausgesetzt sein wird.

2. Bei der Prüfung der Frage, ob Art. 3 EMRK verletzt wird, ist den Belangen von Familien mit Kleinkindern angesichts der Bestimmungen der EU-Aufnahmerichtlinie für besonders schutzbedürftige Personen in Art. 21 ff. und der Tarakhel-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Entscheidung vom 4. November 2014 - 29217/12 -) besonders Rechnung zu tragen.

3. Für den Fall der Rücküberstellung ist grundsätzlich von einer generellen Mitwirkungsbereitschaft und einer Integrationswilligkeit eines zurückkehrenden Flüchtlings auszugehen, wie sie von jedem Schutzsuchenden und -bedürftigen erwartet werden muss.

4. Eine Integrationsvereinbarung nach der bulgarischen Verordnung des Ministerrates Nr. 144 vom 19. Juli 2017 (zur Annahme der Verordnung über die Bedingungen und das Verfahren für den Abschluss, die Umsetzung und die Aufhebung des Abkommens über die Integration von Ausländern mit gewährtem Asyl oder internationalem Schutz) ist nach der aktuellen Erkenntnislage für rückkehrende Familien mit Kleinkindern in Bulgarien praktisch nicht erreichbar.

5. Die mangelnde faktische Möglichkeit des Abschlusses einer Integrationsvereinbarung begründet im Einzelfall tatsächlich bestehende unzumutbare und nicht mehr mit Art. 3 EMRK zu vereinbarende Schwierigkeiten für rückkehrende Familien mit Kleinkindern beim konkreten Zugang zu grundlegenden Lebensbedingungen, wie etwa der Versorgung mit Wohnraum zur Vermeidung der Gefahr einer Obdachlosigkeit.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Bulgarien, internationaler Schutz in EU-Staat, Abschiebungsverbot, Kleinkind, Integration, Integrationsmaßnahme, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung,
Normen: AsylG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4,
Auszüge:

[...]

Der Senat kann dahinstehen lassen, ob und inwieweit die Behandlung von als Flüchtlinge bzw. subsidiär Schutzberechtigte anerkannten Personen in Bulgarien grundsätzlich Art. 3 EMRK zuwiderläuft. Jedenfalls die Umstände, welche für eine mangelhafte Situation von anerkannt Schutzberechtigten in der Situation der Klägerin und ihrer Familie mit zwei minderjährigen Kindern unter 7 Jahren in Bulgarien sprechen, ist ein größeres Gewicht beizumessen als den dagegen sprechenden Tatsachen.

aa. Für diese besondere familiäre Situation muss nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 29. August 2017 - 2 BvR 863/17 - juris und vom 17. September 2014 - 2 BvR 732/14 - juris Rdn. 10 ff.) angesichts der Bestimmungen der EU-Aufnahmerichtlinie für besonders schutzbedürftige Personen in Art. 21 ff. und der Tarakhel-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Entscheidung vom 4. November 2014 - 29217/12 - juris) den Belangen von Familien mit Kindern besonders Rechnung getragen werden. Das Bundesverfassungsgericht begründet dies mit dem hohen Schutzgut des Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen nach dem Dublin-System vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der uneingeschränkten Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und der Gewährleistung des Kindeswohls. Jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit neugeborenen (vgl. Art. 15 Abs. 1 und 2 der Dublin II-Verordnung und Art. 16 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung) und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren ist in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft - jedenfalls regelmäßig in dem dort allgemein üblichen Standard (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. Juni 2011 - 2 M 38/11 - InfAuslR 2011, S. 390 / 392) - erhält, um erhebliche konkrete Gefahren in dem genannten Sinne für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen (vgl. für die Abschiebung von Familien und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren: BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 - juris). Diese Rechtsprechung ist auch für den vorliegenden Fall anwendbar, weil bei der Klägerin und ihren zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt gerade einmal vierjährigen Sohn und der sechsjährigen Tochter diese Voraussetzungen einer erhöhten Schutzbedürftigkeit vorliegen. Dabei erstreckt der Senat die Schutzbedürftigkeit auch auf die Kinder der Klägerin im Vorschul- bzw. Grundschulalter, die jedenfalls bis zu einem Alter von 6 Jahren in gleichem Maße wie Kleinstkinder in ihrer psychischen und physischen Entwicklung auf ihre Eltern angewiesen sind.

Die fachgerichtliche Beurteilung solcher möglicherweise gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Aufnahmebedingungen in dieser besonderen familiären Situation muss, jedenfalls wenn diese ernsthaft zweifelhaft sind, etwa weil dies in der jüngsten Vergangenheit noch von der Bundesregierung und der EU-Kommission bejaht wurde und damit der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens erschüttert ist, auf einer hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen (vgl. hierzu BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. April 2016 - 2 BvR 273/16 - juris, Rdn. 11). Es müssen, wie der EGMR (für die Abschiebung von Familien und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren) ausgeführt hat, "hinreichend detaillierte und verlässliche Informationen betreffend die konkrete Einrichtung, die materiellen Aufnahmebedingungen und die Wahrung der Familieneinheit" geliefert werden; die Unterbringungsbedingungen müssen also konkret dargestellt sein (vgl. OVG Saarland, Urteil vom 13. Dezember 2016 - 2 A 260/16 - juris, Rdn. 28 und 32).

Dabei ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits bei der behördlichen Entscheidungsfindung geboten, das Vorhandensein einer Unterkunftsmöglichkeit in die Prognose für Abschiebungsschutzgründe im Sinne des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG einzustellen, was sich bereits aus dem Untersuchungsgrundsatz der § 24 Abs. 2 und § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG ergibt. Für das hier relevante Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK bedeutet dies, dass alle für die Beurteilung des Vorliegens einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung relevanten Lebensbedingungen im Zielstaat der Abschiebung zu ermitteln und zu würdigen sind (BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25/18 - juris Rdn. 16, mit weiteren Nachweisen zur umfangreichen Rechtsprechung des EGMR und des EuGH). Danach kann die Berücksichtigung einer Zusage über die Sicherstellung einer Unterkunftsmöglichkeit nur dann gegen einen Abschiebungsschutz sprechen, wenn diese auch konkret abgegeben wurde. Es ist nicht entscheidungserheblich, ob hierfür die Behörden des Mitgliedstaates zuständig sind (vgl. BVerwG, a. a. O - Rdn. 25). Die Verfügbarkeit einer Unterkunftsmöglichkeit ist eine zielstaatsbezogene Tatsache, die das Bundesamt zu klären hat.

bb. Ausgehend hiervon liegen bei einer zusammenfassenden und qualifizierten Würdigung aller tatsächlichen Umstände, die der Senat nach Durchführung der Beweisaufnahme für den aktuellen Zeitraum bis zur Entscheidung ermittelt hat, nach seiner Überzeugung hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vor, dass sich ernsthafte und durchgreifende Bedenken an grundlegenden menschenrechtskonformen Bedingungen für rückkehrende Familien, deren Angehörige dort bereits einen internationalen Schutzstatus erworben hatten, in Bulgarien ergeben. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass keine detaillierten und verlässlichen Informationen dahingehend vorliegen, dass für eine vierköpfige Familie mit Kleinkindern eine konkrete Unterbringung zur Verfügung steht, die materiellen Aufnahmebedingungen gesichert sind und die Familieneinheit gewahrt bleibt.

Dies gilt auch, unter Berücksichtigung einer generellen Mitwirkungsbereitschaft und einer Integrationswilligkeit eines zurückkehrenden Flüchtlings, wie sie von jedem Schutzsuchenden und -bedürftigen erwartet werden muss. Entgegen der Auffassung der Beklagten beantwortet ein pauschaler Verweis auf möglicherweise nicht stets gegebene Integrationsbereitschaft die Frage aber nicht, ob im konkreten Einzelfall ein Abschiebungsverbot festzustellen ist.

(1) Eine Art. 3 EMRK gerecht werdende Situation von Familien mit Kleinkindern kann nicht mit Hinweis auf die im bulgarischen Recht vorgesehene "Intergrationsvereinbarung" zwischen Rückkehrern und Kommunen angenommen werden.

(a) Nach der bulgarischen Gesetzgebung ist der Abschluss einer sogenannten Integrationsvereinbarung des Flüchtlings mit einer Kommune die grundlegende Bedingung ist, um im weiteren Verlauf der Integration grundlegende Lebensbedürfnisse, wie den Zugang zu Wohnraum, Krankenversorgung und Arbeit sicherzustellen ("Verordnung des Ministerrates Nr. 144 vom 19. Juli 2017 zur Annahme der Verordnung über die Bedingungen und das Verfahren für den Abschluss, die Umsetzung und die Aufhebung des Abkommens über die Integration von Ausländern mit gewährtem Asyl oder internationalem Schutz").

Nach der vom Senat eingeholten Auskunft des Österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (Länderinformationsblatt Staatendokumentation Bulgarien vom 27. November 2017, Seite 19) ist der Schutzberechtigte gemäß aktueller Bestimmungen nach Unterzeichnung einer solchen Vereinbarung umfassend zu unterstützen, also durch Sozialleistungen wie bulgarische Staatsbürger, Kostenerstattung für medizinische Behandlung und Anspruch auf nur zur zeitweisen Unterbringung für drei Kalendermonate pro Jahr. Weiter heißt es dort:

"Für den Zugang zu sozialer staatlicher Unterstützung ist für Schutzberechtigte die Wohnsitzmeldung - also der Eintrag in das Melderegister - unerlässlich. Diese wird vom Bürgermeister der Wohnsitzgemeinde vorgenommen … Zugang zu Gemeindewohnungen besteht nur, wenn mindestens ein Familienmitglied bulgarischer Staatsbürger ist. Daher haben Schutzberechtigte üblicherweise keinen Zugang zu diesen Wohnungen."

Die zentrale Bedeutung der Erlangung einer Integrationsvereinbarung insbesondere für eine Familie mit Kleinkindern ergibt sich darüber hinaus auch aus der Arbeitsübersetzung zum Bericht des bulgarischen Finanzministeriums vom 28. Oktober 2016 (Seite 3):

"Die Integration in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben geschieht auf dem Weg einer Integrationsvereinbarung … Im Integrationsprozess begeben sich Personen zu Ortschaften, deren kommunale Verwaltung einen entsprechenden einzelnen Person wird ein individueller Integrationsplan erstellt. Die Person nimmt an einem sechsmonatigen Bulgarischkurs teil, … Kinder gehen zur Schule …"

Auch das Auswärtige Amt bestätigt in seiner Auskunft an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht vom 18. Juli 2017, dass für minderjährige Kinder erst nach Abschluss einer Integrationsvereinbarung einzeln ein Integrationsplan ausgearbeitet wird (zu Frage 2).

(b) Eine solche Integrationsvereinbarung ist jedoch nach der aktuellen Erkenntnislage für rückkehrende Familien mit Kleinkindern in Bulgarien praktisch nicht erreichbar. Der geschaffene Rechtsrahmen erweist sich nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme jedenfalls für diese Personengruppe als wirkungslos und praktisch nicht in Gebrauch. Das Auswärtige Amt hat auf die Nachfrage des Senats hierzu am 18. Juli 2018 mitgeteilt:

"Die praktische Umsetzung der am 19.07.2017 erlassenen Integrationsverordnung (IntVO) verläuft schleppend. Sie regelt den Abschluss von Integrationsvereinbarungen zwischen anerkannten Flüchtlingen (Einzelpersonen oder Familien) und dem Bürgermeister einer Gemeinde … Laut Angaben der Nationalen Flüchtlingsagentur wurde eine Integrationsvereinbarung gemäß der IntVO geschlossen … Sie wurde mit einem alleinstehenden Flüchtling abgeschlossen."

Diese Lage bestätigt auch nach der vom Senat eingeholte Bericht des UNHCR vom 18. Oktober 2018:

"Eine nationale Verordnung betreffend den Abschluss, die Umsetzung und die Auflösung von Integrationsvereinbarungen wurde im März 2017 durch die Übergangsregierung aufgehoben. Obwohl direkt im August 2017 eine Ersatzverordnung verabschiedet wurde, fehlt zu deren Umsetzung das entsprechende Budget."

Die insoweit seitens des Senates herangezogenen Erkenntnisse bestätigen die Einschätzungen der "Expertise zu der aktuellen rechtlichen wirtschaftlichen und sozialen Situation anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien" der Sachverständigen Ilareva vom 7. April 2017 (dort Seite 2, zu Frage 2):

"Jedoch seit dem 31. März 2017 hat nicht eine einzige Gemeinde Interesse am Abschluss von Integrationsvereinbarungen mit Schutzstatusinhabern gezeigt. Mit anderen Worten, seit Verabschiedung der Verordnung im August 2016 wurde sie noch nicht in der Praxis angewandt… Dieser andauernde Status quo der "Null-Integration ("zero-integration") von Flüchtlingen in Bulgarien wurde in einer Reihe von Berichten, einschl. dem letzten UNHCR report beleuchtet."

Demgegenüber überzeugt der Verweis der Beklagten auf das Handbuch des Bulgarischen Roten Kreuzes 2017 nicht. Es enthält keine verlässlichen und detailreichen Informationen zu Integrationsvereinbarungen bei Familien mit Kleinkindern. Sie hat auf die Nachfrage des Senates vom 15. März 2018 mit Schriftsatz vom 11. April 2018 ebenfalls mitgeteilt, dass nach Auskunft der Deutschen Botschaft "die Umsetzung der Verordnung bisher noch nicht richtig gelungen" ist.

(2) Diese insoweit bestehenden Umsetzungsmängel des Rechtsrahmens begründen eine im Einzelfall tatsächlich bestehende unzumutbare und nicht mehr mit Art. 3 EMRK zu vereinbarenden Schwierigkeiten für rückkehrende Familien mit Kleinkindern beim konkreten Zugang zu grundlegenden Lebensbedingungen, wie etwa der Versorgung mit Wohnraum zur Vermeidung der Gefahr einer Obdachlosigkeit. Das betrifft die Möglichkeit der privaten Anmietung einer Mietwohnung, die Erlangung sozialen Wohnraums oder anderer staatlicher Unterkünfte gleichermaßen.

Die grundlegenden materiellen Aufnahmebedingungen sind für schutzbedürftige Rückkehrer mit Kleinkindern außerhalb des bulgarischen Systems der Integrationsvereinbarungen nach der Überzeugung des Senats nicht als hinreichend gesichert anzusehen.

(a) Zwar existiert ein System der freiwilligen karitativen Unterstützung, jedoch verbleiben die konkreten Hilfsangebote nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ungewiss, im Vagen, nur sporadisch und insgesamt unzureichend.

Diese Organisationen vermitteln auch keinen Zugang zu einem gesetzlichen Aufnahmeverfahren. Das ergibt sich aus der vom Senat eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 18. Juli 2018 zu den Integrationsbemühungen der Nichtregierungsorganisationen (Frage 4 des Beweisbeschlusses vom 13. März 2018), wonach "besonderes Augenmerk auf vulnerable Personen, zu denen auch Kleinkinder und ihre Familien gehören" gelegt werde. Der pauschale Hinweis darauf, dass diese sich zudem an das Bulgarische Rote Kreuz, die Caritas, den Rat der Flüchtlingsfrauen und das Auswärtige Amt wenden könnten, um in Programme aufgenommen zu werden, welche die Familie bei der Arbeits- und Wohnungssuche sowie der Beantragung von Sozialleistungen unterstützen, lässt eine konkrete Hilfe bei dem Abschluss einer Integrationsvereinbarung nicht erkennen. In der vom Senat eingeholten Auskunft des UNHCR vom 18. Oktober 2018 heißt es:

"Im begrenzten und oftmals lediglich projektbezogenen Maße werden für anerkannte Flüchtlinge Unterstützungsleistungen durch Nichtregierungsorganisationen erbracht... Bezüglich besonderer Unterstützungsleistungen im Hinblick auf Familien mit Kleinkindern liegen keine Erkenntnisse vor."

(b) Soweit nicht - wie im vorliegenden Fall - bereits vor der Abschiebung ein Mietvertrag vorliegt, liegt es zunächst für den Senat auf der Hand, dass Rückkehrer auf staatlich zugewiesenen Wohnraum angewiesen sind. Dabei ist nach dem Bericht des UNHCR vom 18. Oktober 2018 der Zugang zu Sozialwohnungen für Personen mit Schutzstatus unmöglich. Die Bedingungen in Obdachlosenunterkünften, die zudem als Meldeadresse nicht anerkannt werden, sind für Kleinkinder ebenfalls nicht geeignet. Genügend Aufnahmekapazitäten für eine Unterbringung in Flüchtlingsunterkünften, auf die Rückkehrer keinen Anspruch haben, stehen ebenfalls nicht zur Verfügung. Zu Frage 3 der vom Senat eingeholten Auskunft heißt es:

"Aufgrund verschiedener rechtlicher und praktischer Hindernisse beim Zugang zu Wohnraum besteht für Flüchtlinge durchaus das Risiko der Obdachlosigkeit … Wie bereits oben erwähnt führt dies dazu, dass Flüchtlinge eine Wohnung samt eines Vermieters finden müssen … Der Zugang zu Sozialwohnungen ist durch kommunale Gesetze geregelt, welche Bedingungen vorschreiben, die für Personen mit internationalem Schutzstatus unmöglich zu erfüllen sind. Hierzu gehört beispielsweise die Bedingung, dass einer der Ehepartner bulgarischer Staatsangehöriger sein und bereits einen bestimmten Zeitraum in der Gemeinde gelebt haben muss (in Sofia muss beispielsweise ein über zehn Jahre ununterbrochener Wohnsitz nachgewiesen werden). Darüber hinaus ist der Bedarf an Sozialwohnungen weitaus höher als die tatsächliche Verfügbarkeit… Obdachlosenunterkünfte sind daher ihre einzige Möglichkeit"

Auch die medizinische Versorgung - soweit keine Notversorgung zu erfolgen hat - ist nach dem Bericht des UNHCR vom 18. Oktober 2018 an die eigenständige Zahlung von Krankenversicherungsbeiträgen geknüpft, die ohne Bezug von Sozialleistungen nicht gesichert ist. Da finanzielle Unterstützung wiederum eine Meldeadresse voraussetzt, besteht eine besondere Abhängigkeit von einem Zugang zu Wohnraum. Demgemäß bestätigt auch die vom Senat eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amtes zu Frage 3) vom 18. Juli 2017, dass die Bedingungen für den Bezug von Sozialhilfe schwer zu erfüllen sind.

(3) Letztlich hat der Senat auch berücksichtigt, dass unabhängig davon, dass kein EU-Vertragsverletzungsverfahren wegen der Aufnahmebedingungen für anerkannt Schutzberechtigte anhängig sind, in mittlerweile 8 Mitgliedsstaaten der EU von einer Abschiebung von Familien mit Kleinkindern nach Bulgarien abgesehen wird.

(4) An der Überzeugung des Senates ändert auch der Umstand nichts, dass die Familie bereits für kurze Zeit im Jahr 2014 in Bulgarien eine Wohnung und der Ehemann der Klägerin eine Arbeit hat finden können. Die Familie ist nach der Rückkehr auf günstigen Sozialwohnraum oder eine anderweitige Unterkunft angewiesen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie von Freunden aus Deutschland dauerhaft eine materielle Unterstützung unterhalten, auf die sie nach eigenen Angaben zur Begleichung der Lebenshaltungskosten angewiesen waren. Zudem besteht mit der Geburt des zweiten Kindes im Dezember 2014 eine geänderte und mithin schützenswerte Familiensituation.

(5) Insgesamt kann der Senat im Hinblick auf die strengen Maßstäbe, die auf Grundlage der oben angeführten Rechtsprechung insbesondere des EMRK und des Bundesverfassungsgerichts an die Abschiebung von Familien mit Kleinkindern zu stellen sind, feststellen, dass auch eine minimale Hilfe im Falle der Rückkehr faktisch nicht zur Verfügung steht bzw. als rechtlich unzureichende Möglichkeit in Aussicht steht. [...]