OLG Stuttgart

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Zitieren als:
OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.12.2018 - 8 W 108/16 - asyl.net: M27089
https://www.asyl.net/rsdb/M27089
Leitsatz:

Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für gerichtliches Verfahren, welches darauf gerichtet ist, die Beischreibung des Geburtsdatums des (nigerianischen) Vaters zum Geburtseintrag des Kindes zu erreichen. 

Die Bewertung der Beweismittel ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Im Verfahren über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe dürfen daher die Fragen der Beweiswürdigung nicht vorweggenommen werden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Geburtsurkunde, Identitätsnachweis, Identitätsfeststellung, Nigeria, Personenstand, Prozesskostenhilfe, Legalisation, Urkunden, Personenstandsurkunden, Beweismittel, Geburtseintrag, Personenstandsrecht,
Normen: PStG § 21, PStG § 9,
Auszüge:

[...]

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Für den maßgeblichen Zeitpunkt und mit der vorgegebenen Prüfungstiefe kann die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung für den Antrag nach § 49 PStG nicht verneint werden.

1. Gem. §§ 76 FamFG, 114 ZPO ist dem Rechtssuchenden Verfahrenskostenhilfe zu gewähren, wenn die - hier gegebenen - wirtschaftlichen Voraussetzungen vorliegen, die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig ist.

Hinreichende Erfolgsaussicht setzt voraus, dass es nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich ist, dass der Antragsteller mit seinem Begehr durchdringen wird (Geimer, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl., Rdnr. 19 zu § 114). Erweist sich der Ausgang des Verfahrens - aus tatsächlichen und/oder rechtlichen Gründen - als offen, so ist Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen. Eine Vorverlagerung der Beweiserhebung in das PKH-Prüfverfahren findet nicht statt (Geimer, in: Zöller, a.a.O., Rdnr. 22 zu § 114).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Erfolgsprognose (so genannte "Bewilligungsreife") für diese Prüfung ist der Sachstand nach schlüssiger Darlegung des Antrags, Einreichung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie Ablauf einer angemessenen Stellungnahmefrist für den Gegner (Geimer, in: Zöller, a.a.O., Rdnr. 44ff. zu § 119 m. weit. Nachw.)

2. Hiervon ausgehend, bietet die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Prüfung der Erfolgsaussichten ergibt, dass der Ausgang des Verfahrens zumindest als offen anzusehen ist.

a) Die für den beurkunden Teil eines Geburtseintrags benötigten Angaben ergeben sich aus § 21 PStG; im hinweisenden Teil des Eintrags werden ggf. die Angaben zur Geburt der Eltern vermerkt (§ 21 Abs. 3 PStG).

Die Beurkundsgrundlagen sind in § 9 PStG definiert.

b) Den Reisepass seines Vaters hat der Antragsteller in Kopie vorgelegt; eine Geburtsurkunde lag und liegt nicht vor. Zu Recht hat daher das Standesamt eine Urkundenüberprüfung - mit dem unter 1. mitgeteilten Ergebnis - veranlasst; eine Legalisation nigerianischer Urkunden erfolgt seit dem Jahr 2000 nicht mehr.

c) Die durchgeführten Ermittlungen geben Anlass zu folgender Bewertung:

(1) Soweit der Vertrauensanwalt des Generalkonsulats in seinem Bericht mitgeteilt hat, das Zertifikat der National Population Commission sei "nicht rechtskräftig", weil diese Behörde nur für die Beurkundung von Standesfällen zuständig sei, die sich ab 1992 ereignet haben, so bleibt - die Richtigkeit dieser Bewertung unterstellt - offen, welche rechtlichen Schlussfolgerungen hieraus für ein deutsches Personenstandsverfahren zu ziehen sein sollen. Dass die Unzuständigkeit der ausstellenden Behörde ohne Weiteres zur Unrichtigkeit der beurkundeten Angaben oder zur Unverwertbarkeit der ausländischen Personenstandsurkunde im deutschen Verfahren führt, liegt zumindest nicht auf der Hand (siehe etwa § 2 Abs. 3 FamFG, der ausdrücklich die Wirksamkeit gerichtlicher Handlungen auch örtlich unzuständiger Gerichte anordnet).

(2) Dass die eidesstattliche Versicherung der Schwester des Vaters des Antragstellers erst 2012 und damit 42 (nicht 32) Jahre nach der angegebenen Geburt abgegeben wurde, trifft zwar zu (genauso wie unterstellt werden kann, das Kalenderdaten in Nigeria nicht die Bedeutung haben, die ihnen hier zukommt), aber auch insoweit erschließt sich nicht ohne Weiteres, was sich hieraus für die Beweiswürdigung (die ja zudem nicht vorweggenommen werden darf) ergeben soll. Der Antragsteller bzw. sein Vater hatten offenbar zu früherer Zeit keinen Anlass, die im Reisepass vermerkten Angaben durch eine eidesstattliche Versicherung untermauern zu lassen. Die eidesstattliche Versicherung ist jedenfalls ein in § 9 Abs. 2 PStG - wenn auch nur für Ausnahmefälle - vorgesehenes Beweismittel. In einem solchen Ausnahmefall muss das Beweismittel dann konsequenterweise individuell bewertet werden (was freilich dem Hauptsacheverfahren vorbehalten ist).

(3) Schließlich gehen auch Standesamt und Amtsgericht selbst davon aus, dass die möglichen und gebotenen Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, weil eine Überprüfung des Original-Reisepasses des Beteiligten zu 3 aussteht.

Das Ergebnis dieser Prüfung und die Beurteilung der Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten des verfahrensgegenständlichen Antrags gehören in das Hauptsacheverfahren. Dies im Verfahrenskostenhilfeverfahren zu antizipieren, käme einer Vorwegnahme der Beweisaufnahme gleich, die nach obigen Ausführungen im Verfahrenskostenhilfeverfahren nicht stattfinden soll. Aus demselben Grund kann dem Antragsteller nicht schon im Verfahrenskostenhilfeprüfungsverfahren zum Nachteil gereichen, dass sein Vater den Original-Reisepass bisher nicht vorgelegt hat.

(4) Die Möglichkeit, das Geburtsdatum zwar einzutragen, jedoch mit einem so genannten "Zweifelszusatz" zu versehen (§ 35 PStV), hat das Amtsgericht gesehen, dem aber keine Bedeutung für die Prüfung der Erfolgsaussicht beigemessen. Dass der Antrag, für den der Antragsteller Verfahrenskostenhilfe begehrt, auch mit dieser Maßgabe keinen Erfolg haben könnte, erscheint nach Aktenlage jedenfalls nicht zwingend (siehe etwa OLG Düsseldorf, Beschl. v.'27.07.2016, 3 Wx 87/16), so dass auch unter diesem Gesichtspunkt der Ausgang des erstinstanzlichen Verfahrens als offen anzusehen ist.

Nach allem hat das Rechtsmittel des Antragstellers Erfolg. Ihm ist Verfahrenskostenhilfe für den ersten Rechtszug - angesichts seiner Einkommensverhältnisse ohne Zahlungsbestimmung - zu bewilligen. Die Voraussetzungen für die Beiordnung des Verfahrensbevollmächtigten (§ 121 Abs. 2 ZPO) liegen angesichts der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeit der Angelegenheit und der Minderjährigkeit des Antragstellers vor. [...]