VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 26.02.2019 - 3 K 161/17 - asyl.net: M27115
https://www.asyl.net/rsdb/M27115
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für alleinerziehende Frau mit Kind aus Somalia:

1. In Mittel Shabelle liegt zwar ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt vor. Zivilpersonen sind dort jedoch keiner ernsthaften, individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt, da die dafür erforderliche Gefahrendichte nicht erreicht ist.

2. Einer alleinerziehenden Frau mit nichtehelichem Kind ist aufgrund der humanitären Lage für intern Vertriebene ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zu erteilen, wenn sie nicht mit der Unterstützung durch ihre Familie in Somalia rechnen kann.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Somalia, subsidiärer Schutz, Abschiebungsverbot, alleinerziehend, nichteheliches Kind, Al Shabaab, Mittel-Shabelle, Shabelle, alleinstehende Frauen, Frauen, uneheliches Kind, intern Vertriebene, Binnenflüchtling, Binnenvertriebene,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, AsylG § 4,
Auszüge:

[...]

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, weil sie eine ihr drohende individuelle Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nicht glaubhaft gemacht hat. Ihr Vorbringen hinsichtlich der Bedrohung durch die Al-Shabaab ist bei Würdigung der vorgetragenen Gesamtumstände nicht glaubhaft.

Es droht ihr auch kein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.

Der BayVGH führt hinsichtlich eines Klägers aus der Provinz Hiraan, die in einschlägigen Gefährdungsanalysen unter dem Oberbegriff Hirshabelle zusammen mit der Provinz Mittel Shabelle erfasst ist, im Urteil vom 17.07.2018 - 20 B 17.31659 - u.a. aus:

" [...] In dieser Region Somalias herrscht im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. [...]

Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes "allgemein" ausgesetzt ist, stellen normalerweise zwar keine individuelle Bedrohung dar. Eine Ausnahme davon gilt aber bei besonderer Verdichtung der Gefahr, die unabhängig von individuellen gefahrerhöhenden Umständen zu deren Individualisierung führt. Davon ist auszugehen, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein [...].

Gemessen an den vorgenannten Kriterien fehlt es an einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Klägers bei einer Rückkehr in sein Heimatdorf in der Provinz Hiraan. [...]

Auch die allgemeine Lage ist nicht so gefährlich, dass sie sich unabhängig von persönlichen Merkmalen bei jeder Zivilperson individualisiert. Die dafür erforderliche Gefahrendichte ist in der Provinz Hiraan nicht gegeben. [...]"

Dem schließt sich die Kammer fallbezogen für die aus Mittel (Middle) Shabelle stammende Klägerin an.

3. Der Klägerin steht indes nicht zuletzt im Hinblick darauf, dass unterstellt werden muss, dass sie mit ihrem in Deutschland geborenen Sohn, dem Kläger des Verfahrens 3 K 1126/17, nach Somalia zurückkehrt, ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG zu.

Ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist gegeben. Es bestehen aufgrund der persönlichen Situation der Klägerin Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, wonach eine Abschiebung dann verboten ist, wenn dem Ausländer in dem Zielstaat der Abschiebung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung landesweit droht. Der konkrete Einzelfall stellt sich als ein ganz außergewöhnlicher dar, in dem nach Auffassung des EGMR die Aufenthaltsbeendigung in einen Staat mit schlechten humanitären Verhältnissen bzw. Bedingungen, die keinem Akteur i.S.d. § 3c AsylG zugeordnet werden können, eine Verletzung des Art. 3 EMRK begründen kann (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - juris Rz. 23 ff. und vom 13. Juni 2013 - 10 C 13.12 -, juris Rz. 25, jeweils mit Nw. zur Rspr. d. EGMR). [...]

Die Klägerin (und ihr in Deutschland geborener Sohn) wären im Falle einer Rückkehr nach Somalia auf sich selbst gestellt. Dass in ihrem Fall die Möglichkeit besteht, sich allein oder etwa mit Hilfe von Familienangehörigen am für die Beurteilung hier zunächst einmal zugrunde zu legenden Abschiebezielort Mogadischu (vgl. BayVGH, etwa Urteil vom 17.07.2018 - 20 B 17.31659 - unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, juris) zurechtzufinden und ohne erhebliche Beeinträchtigungen zu leben, ist weder unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Situation noch mit Blick auf die Erkenntnislage zur Situation von Binnenvertriebenen in Mogadischu ersichtlich.

Die Klägerin hat vorgetragen, keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie in Somalia zu haben. Auch unter Berücksichtigung der durchgreifenden Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer Verfolgungsgeschichte, nimmt das Gericht der Klägerin dies ab. Diese Wertung wird gestützt von der Tatsache, das ihr Sohn, der Kläger des Verfahrens 3 K 1126/17 ca. ein Jahr nach dem durchgehend vorgetragenen Kontaktverlust zu ihrem Ehemann während des Aufenthaltes im Sudan zur Welt gekommen ist, so dass alles dafür spricht, dass ihr Ehemann nicht der Vater des Kindes sein kann.

Ist demnach fallbezogen davon auszugehen, dass die Klägerin und ihr Kind im Falle einer Rückführung nach Somalia am Abschiebezielort auf sich allein gestellt sein werden, begründet dieser Umstand angesichts der dort herrschenden Verhältnisse ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG.

Nach Angaben der UN gab es zu Jahresbeginn 2017 ca. 1,1 Millionen Binnenvertriebene in Somalia, davon schätzungsweise 400.000 Menschen in Mogadischu allein. Durch die Folgen der schweren aktuellen Dürre soll sich die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen (so genannten IDPs) laut dem Humanitarian Response Plan von UN OCHA seitdem auf ca. 2,1 Millionen erhöht haben. Die Vertriebenen sind andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, ihre besondere Schutzlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden von allerlei nichtstaatlichen, aber auch staatlichen Stellen ausgenutzt und missbraucht. Schläge, Vergewaltigungen, Abzweigung von Nahrungsmittelhilfen, Bewegungseinschränkungen und Diskriminierung aufgrund von Clan-Zugehörigkeiten sind an der Tagesordnung (AA. Lagebericht Somalia vom 07.03.2018, Stand Januar 2018, S. 19). Single- oder allein erziehende Frauen und Kinder sind besonders gefährdet. Die Regierung und Regionalbehörden bieten den IDPs nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung und trugen sogar in manchen Fällen zur Vertreibung von IDPs bei. In Mogadischu sind für Vergewaltigungen bewaffnete Männer - darunter Regierungssoldaten und Milizionäre - verantwortlich. Weibliche IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet (Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, 12.01.2018, S. 115). Bei dieser Ausgangslage ist es auch unrealistisch, anzunehmen, dass die Klägerin mit ihrem Kind einen anderen Ort - etwa ihre Herkunfts- oder eine andere Region, an der ihr diese Gefahren so nicht drohen - nach einer Abschiebung zumutbar erreichen kann. [...]