VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 12.11.2018 - 10 K 12248/17.TR - asyl.net: M27142
https://www.asyl.net/rsdb/M27142
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für politisch aktive Belutschen aus Pakistan:

1. Politisch aktive Angehörige der Minderheit der Belutschen müssen in Pakistan - unabhängig vom Vorliegen einer Vorverfolgung - mit Verfolgung rechnen.

2. Der Verfolgungsfurcht kann auch die exilpolitischer Betätigung für die belutschische Unabhängigkeitsbewegung zugrunde liegen, soweit diese Betätigung einer festen, bereits im Herkunftsland bestehenden politischen Überzeugung entspricht.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Pakistan, Balutschen, politische Verfolgung, Nachfluchtgründe, Exilpolitik,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3e,
Auszüge:

[...]

Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer landesweiten Verfolgung für Belutschen, die sich aktiv für die Unabhängigkeitsbewegung einsetzen, ergibt sich aus einer Gesamtschau verschiedener, gegen die Belutschen gerichteter Maßnahmen durch die pakistanischen Sicherheitskräfte. Diesbezüglich führt das Bundesamt für Asyl und Fremdwesen der Republik Österreich in seinem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Pakistan vom 22. März 2017 aus, belutschisehe Aufständische kämpften um mehr politische Autonomie und größere Kontrolle über die Bodenschätze. Die pakistanischen Sicherheitskräfte gingen gegen Belutschen vor, von denen vermutet werde, dass sie Teil der nationalistischen Bewegung seien. Im Kontext der Bekämpfung der separatistischen Gewalt in Belutschistan hielten Berichten zufolge "Verschwindenlassen", Folter und außergerichtliche Tötungen durch die Sicherheitskräfte von bewaffneten Separatisten und Aktivisten weiterhin in einem Klima der Straflosigkeit an. Die Human Rights Commision of Pakistan (HRCP) habe berichtet, dass es im Jahr 2014 106 Fälle von "Verschwindenlassen" aus der Provinz Belutschistan gegeben habe.

Im Artikel "Vergessenes Belutschistan" - Quantara vom 28. Mai 2015 - wird erläutert, dass in den letzten Jahren in der Region Belutschistan Militärorganisationen regelrecht aus dem Boden geschossen seien, genauso wie zahlreiche Polizeistationen. Abgesehen davon agierten paramilitärische Gruppierungen, die im Interesse lslamabads handeln und Jagd auf belutschisehe Aktivisten und Politiker machen würden. Berichten zufolge würden ganze 21.000 Menschen als vermisst gelten (vgl. hierzu auch VG Potsdam, Urteil vom 31. Mai 2016 - VG 11 K 1714/15.A -; VG Giessen, Urteil vom 9. Juni 2017 - 5 K 1 07/15.GI.A -).

Das Auswärtige Amt führt in einer Auskunft an das VG Wiesbaden vom 6. Juli 2017 aus, es gebe eine Vielzahl von Organisationen, die sich die Unabhängigkeit Belutschistans von Pakistan zum Ziel gesetzt hätten. Die Hauptorganisationen würden aus den USA und Großbritannien agieren. ln Belutschistan würden sie im Untergrund handeln, da ihnen als separatistisch eingestuften Gruppierung von pakistanischen Behörden und Sicherheitskräften Verfolgung drohe. Es sei nicht auszuschließen, dass sich Asylbewerber im Ausland unter Nachfluchtgesichtspunkten zu diesen Organisationen hingezogen fühlen könnten. Die Beobachtung dieser Personen durch den pakistanischen Staat könne nicht ausgeschlossen werden.

Dies zugrunde gelegt ist beachtlich wahrscheinlich, dass politisch aktive Belutschen, die für die Unabhängigkeit von Belutschistan kämpfen, eine Verfolgung durch in § 3 AsylG genannte Akteure droht. Insbesondere ist auch davon auszugehen, dass die exilpolitische Betätigung für belutschisehe Unabhängigkeitsbewegungen in Deutschland einen Nachfluchtgrund i.S.d. § 28 AsyiG darstellt, soweit diese Betätigung einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung entspricht.

Nach den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist dieser in Pakistan seit 2008 Mitglied in der BSO gewesen und 2010 Mitglied bei "Voice For Baloch Missing Persons" geworden. Weiter ist das Gericht nach seinem glaubhaften Vortrag in der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass er sich in Pakistan aktiv für seine Partei und die belutschische Unabhängigkeitsbewegung eingesetzt hat, etwa durch Teilnahme an Demonstrationen und Protesten. Auch legte er fundiert und nachvollziehbar in der mündlichen Verhandlung dar, in Deutschland weiter politisch aktiv zu sein. Hierzu reichte er Lichtbilder von Teilnahmen an Demonstrationen, etwa in Berlin, zur Akte (Bl. 124 d.A). Zudem schilderte er, dass von den Demonstrationen und deren Teilnehmern Lichtbilder gemacht würden, die öffentlichkeitswirksam auf der Internetseite seiner Partei gezeigt würden. Ferner gebe es Berichte und Videos über die Demonstrationen bei Facebook und YouTube. [...]