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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 26.03.2019 - unbekannt - asyl.net: M27167
https://www.asyl.net/rsdb/M27167
Leitsatz:

Nur nationales Abschiebungsverbot bei Wehrdienstentziehung in Syrien:

1. Keine Flüchtlingsanerkennung für jungen Syrer aus Deir ez-Zor, der sich durch die Ausreise dem Wehrdienst in Syrien entzogen hat. Die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung durch den syrischen Staat erfolgt nicht zielgerichtet wegen der tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Überzeugung. Nur bei Desertion oder bereits erfolgten Maßnahmen zur Einberufung kann unter Umständen Verfolgung wegen politischer Überzeugung drohen.

2. Kein subsidiärer Schutz, da weder Todesstrafe, noch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder individuelle Bedrohung durch einen bewaffneten Konflikt drohen. In Syrien besteht kein Konflikt. Im Gebiet um Deir ez-Zor finden weiterhin vereinzelte Angriffe statt, diese gefährden aber Zivilpersonen nicht in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit. Zwischenzeitlich gibt es in Syrien weitgehend befriedete Gebiete, in denen Zivilpersonen weitgehend gefahrlos leben können.

3. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt vor.

a. Zwar droht dem Antragsteller in Syrien keine individuelle Gefahr der Art. 3 EMRK-Verletzung durch einen konkret handelnden Akteur, so dass keine andere Bewertung als bei der Prüfung des subsidiären Schutzes denkbar ist (unter Bezug auf BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 - asyl.net: M20529).

b. Aufgrund der derzeitigen humanitären Bedingungen in Syrien droht bei Rückkehr eine Art. 3 EMRK-Verletzung.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Syrien, Abschiebungsverbot, Militärdienst, Wehrpflicht, politische Verfolgung, Flüchtlingseigenschaft, Verfolgungsgrund, Rückkehrgefährdung, Asylantrag, Auslandsaufenthalt, subsidiärer Schutz, illegale Ausreise, Wehrdienstentziehung, Christen, Tartus, bewaffneter Konflikt, willkürliche Gewalt, extreme Gefahrenlage, Europäische Menschenrechtskonvention, humanitäre Bedingungen, allgemeine Gefahr, Bescheid,
Normen: AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 5, AsylG § 3a Abs. 3, AsylG § 4 Abs. 1 Nr. 2, AsylG § 4 Abs. 1 Nr. 3, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

Auch bezüglich seiner Befürchtung, vom syrischen Regime zur Ableistung des Militärdienstes eingezogen zu werden, ergibt sich keine andere Beurteilung. Eine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung, Wehrdienst- bzw. Kriegsdienstverweigerung oder Desertion führt für sich allein grundsätzlich nicht zur Annahme einer drohenden politischen Verfolgung. In eine solche Verfolgung schlagen Maßnahmen im Zusammenhang mit einer Wehrpflicht erst dann um, wenn sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt werden, etwa wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Überzeugung. Dies könnte nach derzeitiger Einschätzung der Lage in Syrien unter Umständen für Personen angenommen werden, die aus dem bereits aktiv geleisteten Wehrdienst geflohen sind (Deserteure) oder wenn konkrete Anhaltspunkte oder bereits erfolgte Maßnahmen für eine bevorstehende Einberufung/Einziehung zum Wehrdienst erfolgt sind. Dies hat der Antragsteller jedoch auf ausdrückliche Nachfrage verneint. Gleiches gilt für die Befürchtung des Antragstellers, potentiell seitens einer anderen kämpfenden Partei herangezogen zu werden. Die bloße Vermutung reicht allein dafür nicht aus. Darüber hinaus ist es dem syrischen Regime mittlerweile gelungen, beide Teile seines Landes zurückzuerobern, so dass nicht mehr von flächendeckenden Kriegshandlungen auszugehen ist. Zwar finden auch im Gebiet um Deir ez-Zor weiterhin vereinzelte Angriffe statt, die sich jedoch schwerpunktmäßig seitens des Regimes auf noch vorhandene Stellungen des IS bgziehungweise andere Milizen beziehen. Aktive Kampfhandlungen gegen das syrische Regime unter Heranziehung wehrfähiger Kräfte, wie etwa junger Männer, finden jedoch aktuell nicht mehr statt. Sein Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG war nach alledem abzulehnen. [...]

3. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus liegen nicht vor. [...]

Eine Schutzfeststellung nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 Asyl scheidet aus. Im Herkunftsland des Antragstellers besteht kein Konflikt.

Das syrische Regime hat gemeinsam mit seinen Verbündeten weite Teile des Landes zurückerobert, so dass nicht mehr für alle Landesteile Syriens generell von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt auszugehen ist. Zwar finden auch im Gebiet um Deir ez-Zor weiterhin vereinzelte Angriffe statt, die sich jedoch schwerpunktmäßig seitens des Regimes auf noch vorhandene Stellungen des IS beziehungsweise andere Milizen beziehen. Etwaige Kampfhandlungen erreichen jedoch bei weitem nicht das Ausmaß wie in der Vergangenheit, in der praktisch jede dort lebende Zivilperson potentiell gefährdet war. [...] Darüber hinaus gibt es zwischenzeitlich in Syrien weitgehend befriedete Gebiete ohne stattfindende Kampfhandlungen, in denen Zivilpersonen weitgehend gefahrlos leben können.

4. Ein Abschiebungsverbot liegt vor. [...]

Wie bereits im Rahmen der Prüfung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG festgestellt, droht dem Antragsteller in Syrien keine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. In Bezug auf Verletzung des Art. 3 EMRK, die individuell durch einen konkret handelnden Täter drohen, ist daher keine andere Bewertung als bei der Prüfung des subsidiären Schutzes denkbar (vgl. BVerwG, U. v. 13.01.2013, 10 C 15.12). [...]

Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Syrien führen zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt.

Die humanitären Bedingungen nach Beendigung der bisherigen Kampfhandlungen innerhalb Syriens erfüllen derzeit diese Voraussetzungen. [...]