LG Braunschweig

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Zitieren als:
LG Braunschweig, Beschluss vom 29.04.2019 - 8 T 133/19 - asyl.net: M27220
https://www.asyl.net/rsdb/M27220
Leitsatz:

Kein Ausreisegewahrsam im Dublin-Verfahren:

1. Stellt die Behörde einen Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft (hier -Dublin-Überstellungshaft), so darf das Haftgericht nicht stattdessen Ausreisegewahrsam anordnen.

2. Ausreisegewahrsam darf darüber hinaus in Verfahren nach der Dublin-III-Verordnung auch grundsätzlich nicht angeordnet werden, da hierfür keine Rechtsgrundlage vorliegt.

(Leitsätze der Redaktion).

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Dublinverfahren, Überstellungshaft, Rechtsgrundlage, Ausreisegewahrsam, Dublin III-Verordnung, Haftantrag, Haftanordnung, Haftbeschluss, Rechtsgrundlage, Abschiebung, offensichtliche Unrichtigkeit,
Normen: AufenthG § 62b, AufenthG § 2 Abs. 15 S. 2, FamFG § 417, GG Art. 104 Abs. 1 S. 1, VO 604/2014 Art. 28 Abs. 2, AufenthG § 62 Abs. 3, AufenthG § 2 Abs. 15 S. 3, FamFG § 42,
Auszüge:

[...]

Die Anordnung des Ausreisegewahrsams des Betroffenen durch das Amtsgericht Braunschweig mit Beschluss vom 09.01.2019 ist rechtswidrig, weil es insoweit an einem Antrag der beteiligten Behörde fehlt. Nach § 417 Abs. 1 FamFG darf das Gericht die Freiheitsentziehung nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen. Die beteiligte Behörde hatte die Anordnung von Sicherungshaft beantragt und nicht von Ausreisegewahrsam nach § 62b AufenthG.

Zwar kann ein zunächst unterbliebener Haftantrag von der Behörde auch nachträglich - auch in der Beschwerdeinstanz - gestellt werden. Hiermit wird die mit einer richterlichen Haftanordnung ohne behördlichen Antrag einhergehende Verletzung des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG aber nicht rückwirkend geheilt, sondern lediglich beendet (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 114/13, FGPraxis 2015, 91 Rn. 15). Ein nunmehr nachgeholter Haftantrag hätte somit im vorliegenden Verfahren auf die Rechtswidrigkeit keine Auswirkung, da die angeordnete Haftzeit bereits abgelaufen und der Betroffene am 24.01.2019 aus der Haft entlassen und abgeschoben wurde.

Im Übrigen ist ein solcher Antrag von der Behörde auch nicht im Beschwerdeverfahren gestellt worden. Die Anordnung von Ausreisegewahrsam ist in Verfahren nach der Dublin III-Verordnung - wie hier - auch nicht vorgesehen. Im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin-III-Verordnung) ergeben sich die Voraussetzungen für die Anordnung von Haft zur Sicherung der Rücküberstellung unmittelbar aus Art. 28 Abs. 2, Art. 2 Buchstabe in der Dublin-III-Verordnung i.V.m. § 2 Abs. 15 AufenthG. Ein Rückgriff auf die in § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG geregelten Haftgründe kommt seit dem Inkrafttreten von § 2 Abs. 15 AufenthG nicht in Betracht. Auch verweist § 2 Abs. 15 Satz 3 AufenthG nicht auf § 62b AufenthG, so dass auch ein Ausreisegewahrsam in solchen Fällen nicht angeordnet werden kann.

Die Anordnung des Ausreisegewahrsams im Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 09.01.2019 stellt auch keine offensichtliche Unrichtigkeit i.S.d. § 42 FamFG dar. [...]