VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 25.04.2019 - 11 A 12311/17 - asyl.net: M27230
https://www.asyl.net/rsdb/M27230
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für exilpolitisch tätigen Belutschen aus Pakistan:

Schutzsuchenden, die sich in einer exponierten Weise für die belutschische Unabhängigkeit und gegen das Vorgehen der staatlichen und nichtstaatlichen Gegner in Belutschistan einsetzen, droht in Pakistan Verfolgung. Bei Rückkehr drohen ihnen Festnahme, Folter oder eine extralegale Tötung im Wege des sogenannten Verschwindenlassens durch pakistanische Sicherheitskräfte oder Dritte, deren Handlungen dem pakistanischen Staat zuzurechnen sind.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Pakistan, Exilpolitik, Belutschen, politische Verfolgung, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, Flüchtlingsanerkennung,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3e,
Auszüge:

[...]

In Anwendung dieser Grundsätze kann es dahin gestellt bleiben, ob der Kläger bereits vorverfolgt ausgereist ist. Denn der Kläger kann sich mit Erfolg auf beachtliche Nachfluchtgründe stützen.

Er ist in Deutschland Mitglied des BNM. Dabei hat sich er sich nicht nur auf eine bloße Teilnahme an wenigen Veranstaltungen beschränkt, sondern ist durch eine regelmäßige Teilnahme an Demonstrationen in verschiedenen Städten aufgefallen, wie er durch die beim Bundesamt und im Klageverfahren durch die vorgelegten Unterlagen und Fotos dokumentiert hat. Er setzt sich mit dem Protest gegen das Verschwinden und extralegale Tötungen von Belutschen durch pakistanische Sicherheitskräfte, gegen Atomversuche in Balutschistan ein. Darüber hinaus tritt er [durch] die Unterstützung von auswärtigen Demonstrationsteilnehmen und das Verteilen von Flyern in Erscheinung.

Im Falle einer Rückkehr würde dem Kläger wegen seines exponierten exilpolitischen Einsatzes für die belutschische Unabhängigkeit und gegen das Vorgehen der staatlichen und nichtstaatlichen Gegner gegen die Belutschen eine Verfolgung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit drohen. Denn angesichts des Umgangs pakistanischer Sicherheitskräfte bzw. dem pakistanischen Staat zuzurechnender Handlungen Dritter drohen ihm Festnahme, Folter oder eine extralegale Tötung im Wege des sogenannten Verschwindenlassens. [...]

Wenn regelmäßig sogar unpolitische belutschische Bürger allein aufgrund zugeschriebener separatistischer Aktivitäten von den Geheimdiensten und anderen Verfolgern angegriffen werden, ist davon auszugehen, dass erst Recht exponiert aktive Mitglieder der BRP wie der Kläger in den Fokus der Geheimdienste geraten. Es kommt hinzu, dass der Kläger aufgrund seiner Angaben bereits früher in das Visier pakistansicher Behörden geraten ist.

Es ist davon auszugehen, dass die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers dem pakistanischen Geheimdienst nicht unbekannt geblieben sind. Die exilpolitischen Aktivitäten von Organisationen wie der dem BNM, der BRP oder dem FBM sind in den sozialen Medien und auf den Internetseiten der Bewegungen umfänglich dokumentiert. In den letzten Jahren ist eine große Anzahl an belutschischen Aktivisten ausgewandert und hat um Asyl in westlichen Ländern ersucht. Es ist davon auszugehen, dass die pakistanischen Geheim-dienste deren exilpolitische Aktivitäten beobachten, weil der pakistanische Staat sich durchgehend bemüht von der Unterdrückung der Belutschen abzulenken und den regio-nalen Konflikt nicht in den Fokus der internationalen Staatengemeinde rücken zu lassen. [...]

Für den Kläger besteht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit das Risiko, dass er bereits beim Grenzübertritt nach Pakistan verhaftet und anschließend misshandelt wird. [...]

Das Gericht wertet diese Vorfälle dahin, dass pakistanische Behörden Rückkehrer einer unmenschlichen Behandlung unterziehen, wenn die Befragung am Flughafen Anhaltspunkte für eine exilpolitische Betätigung für die Unabhängigkeit Belutschistans ergibt oder solche bereits aus anderen Quellen vorliegen.

Der Kläger unterläge darüber hinaus einer landesweiten politischen Verfolgung. Er kann schon aufgrund seiner persönlichen Umstände nicht auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden. [...] Dem Kläger ist angesichts dessen ein Untertauchen in der Anonymität von Großstädten nicht zumutbar. Denn damit müsste einhergehen, dass er seine politischen Überzeugungen, nämlich das Eintreten gegen die Unterdrückung seines Volkes hinsichtlich der Region Belutschistans aufgibt, um nicht erneut in den Fokus von staatlichen Stellen zu stellen. Bei einem Umzug wäre die Weiterführung seiner politischen Arbeit nicht möglich. [...]