LG Ingolstadt

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Zitieren als:
LG Ingolstadt, Beschluss vom 10.05.2019 - 22 T 742/18 - asyl.net: M27258
https://www.asyl.net/rsdb/M27258
Leitsatz:

Inhaftierung von Minderjährigen bei fehlender Altersaufklärung rechtswidrig:

1. Weist das Gericht eine Beschwerde gegen eine Haftanordnung zurück, ohne die zuvor beantragte Akteneinsicht in die Ausländerakte zu gewähren, stellt dies einen Verfahrensfehler und mithin einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör dar.

2. Liegen widersprüchliche Angaben bezüglich des Alters einer (möglicherweise) minderjährigen Person vor, so muss das haftanordnende Gericht eine erweiterte Prüfung des Alters vornehmen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, minderjährig, Altersfeststellung, Volljährigkeit, Beschwerde, Ausländerakte, Akteneinsicht, Zurückschiebungshaft, Dublin-Verfahren, rechtliches Gehör, Anhörung, einstweilige Zurückschiebungshaft, Haftanordnung, Haftbeschluss,
Normen: FamFG § 62, FamFG § 44, FamFG § 417, AufenthG § 62, VO 604/2013 Art. 28, VO 604/2013 Art. 2 Bst. n, AufenthG § 2 Abs. 15, AufenthG § 2 Abs. 14,
Auszüge:

[...]

Eine Entscheidung des Gerichts ohne Beiziehung der Ausländerakten ist gemäß nunmehriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verfahrensfehlerhaft, da dadurch die Rechte des Betroffenen beschnitten werden. Die Beiziehung der Ausländerakten war auch bereits mit Beschwerdeeinlegung 18.04.2018 beantragt worden. Es war zugleich angekündigt worden, dass nach erfolgter Akteneinsicht die Beschwerde begründet wird. Das Landgericht hätte vor seiner Entscheidung zumindest darauf hinweisen müssen, dass eine Entscheidung ohne Beiziehung der Ausländerakten beabsichtigt sei und hierzu das Einverständnis des Verfahrensbevollmächtigten erholen müssen. Dies ist nicht geschehen.

2. Der Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 13.04.2018 hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt. Es hätte keine weitere Haftanordnung gegen den Betroffenen ergehen dürfen.

Wie sich aus dem Anhörungsprotokoll ergibt, hat der Betroffene gerade gar keine Angaben gemacht, daher zwangsläufig auch nicht solche zu seiner Person oder zu seinem Alter.

Allerdings ergibt sich aus den beigezogenen Ausländerakten, dass im Fragebogen zur Bestimmung des für die Prüfung des Antrags zuständigen Mitgliedsstaates des BAMF das Geburtsdatum des Betroffenen mit ... 2002 angegeben ist. In seiner Vernehmung vor der Bundespolizeidirektion München am ... 2018 hat der Betroffene weitergehend keine Angaben dahin gemacht, am ... 1996 geboren zu sein. Allerdings lag bezüglich des Betroffenen in Identitätsdokument aus Österreich, dortige Asylkartennummer vor, wonach er am ... 2001 geboren war (Bl. 118 d.A. der Beteiligten).

Weiter hatte unter dem 28.03.2018 die zuständige Dublin-Abteilung Österreichs das Übernahmeersuchen Deutschlands abgelehnt (Bl. 218 f. der Ausländerakte). Hintergrund war, dass der Betroffene in Österreich als minderjährig geführt wurde. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 06.06.2013, Az. C-648/11, war die Bundesrepublik Deutschland damit für die Durchführung des Asylverfahrens des Betroffenen zuständig. Jedenfalls hätten die große Anzahl der widersprüchlichen Angaben bezüglich des Alters des Beteiligten dazu führen müssen, dass bereits am 13.04.2018 eine erweiterte Prüfung des Alters stattfand und im Zweifelsfall bereits dort eine Haftentlassung stattfinden müssen, wie dann auch am 23.04.2018 geschehen. [...]